Vom Handwerker zum Künstler

Von Carsten Probst · 10.01.2008
Weniger durch seine Bilder als durch das von ihm verfasste "Libro dell’arte", ein Buch über die Malerei, wurde der italienische Maler Cennino Cennini bekannt. Sein im 14. Jahrhundert verfasstes Werk stand für eine neue Deutung der Malerei als Kunstform. Mit Bildtafeln Cennino Cenninis zeigt die Berliner Gemäldegalerie die Wandlung der Malerei - vom Handwerk zur Kunst.
Toskanische Maler waren beliebt am Fürstenhof und in der Stadt Padua, die sich im 14. Jahrhundert zu einem Zentrum für Gelehrte und Künstler entwickelt hatte. Giotto malte in der heute weltberühmten Scrovegni-Kapelle seine 38 Fresken mit Szenen aus dem Leben Jesu und begründete eine einflussreiche Malereischule, die mehrere Generationen überdauern sollte. Cennino Cennini war in diesem Sinn ein Giotto-Schüler der dritten Generation, er hat sein Handwerk bei Agnolo Gaddi gelernt, dem Sohn von Taddeo Gaddi, der seinerseits zu den berühmtesten Schülern von Giotto selbst gehört.

Sehr viel mehr weiß man heute nicht mehr über ihn: Was Cennini genau am Hof machte, welche Werke er schuf, ist kaum überliefert, auch die Zuschreibung der wenigen erhaltenen Werke ist bis heute ungewiss. Doch gesichert ist, dass Cennini auch der Verfasser eines Buches über seine Kunst selbst gewesen ist – des "Libro dell’arte", das unter Kunsthistorikern seit langem allerhöchste Beachtung findet, weil es einzigartig ist in seiner Zeit. Bücher oder Texte über Kunst waren zu dieser Zeit äußerst selten. Vielleicht schrieb es Cennini für ein gelehrtes Publikum am paduanischen Hof, vermutet Kunsthistoriker Wolf-Dietrich Löhr von der Freien Universität Berlin.

"Der andere Impuls ist der Kunstmarkt, der größer wird, der komplexer wird, der die Künstler dazu zwingt, vielleicht auch so etwas wie Markenzeichen zu etablieren, und da kann diese Giotto-Schule, unabhängig von ihrer konkreten historischen Relevanz, für den einzelnen als Markenzeichen eine ganz wichtige Rolle spielen. Und ist es für uns sehr spannend, wenn da jemand zur Feder greift und einen Text schreibt, der das Ganze versucht, für ein Publikum, das eben doch über den konkreten Malerburschen hinausgeht, zu fixieren, weil die Maler ein neues Publikum haben, das sich aus Dilettanten und Auftraggebern, die sich für mehr als nur das Endprodukt interessieren, zusammensetzt."

In jedem Fall ist Cenninis Buch ein Zeugnis für das enorm gewachsene Selbstbewusstsein von Malern und Künstlern allgemein im 14. Jahrhundert in Italien, eines Jahrhunderts, das für die europäische Kunstgeschichte eine Art Quantensprung bedeutete. Bevor Giotto auf den Plan trat, malten die Künstler vorwiegend Kultbilder, die eher Ikonen glichen und eine statische Form nach festen Regeln hatten. Sie standen für die ewige Gegenwart der Heiligen und der Gottesfamilie.

Giotto und seine Schule brachten buchstäblich Bewegung in das himmlische Personal, setzen es in die Natur oder in architektonische Umgebungen, gaben den Körpern und Gesichtern Spannung und Aktion. Aus Gottesbildern wurden lebensnahe Figuren, mit denen sich die Betrachter identifizieren konnten. Vor allem aber wurden aus den Künstlern direkte Vermittler zwischen dem Laienpublikum und der göttlichen Sphäre. Was die Künstler malten, war höhere Realität, also mussten die Künstler diese Realität auch kennen. Immer mehr Gläubige meinten, in den Bildern sei tatsächlich ein Stück Himmelsrealität zu sehen:

"Es gibt in den ganzen Visionsberichten um 1400 häufig schon die Hinweise, dass die Bilder dann besonders intensiv wirken, wenn sie gut gemacht sind. Natürlich haben wir vermehrt Hinweise auch so in der Petrarca-Nachfolge, dass der Kunstcharakter und auch so eine Gelehrsamkeit von Künstlern, die wahrgenommen werden kann von dem Betrachter, auch eine Rolle spielt. Also, die nicht-ignoranten Betrachter, die man braucht, um zu verstehen, wie gut das eigentlich ist. Trotzdem sind die Themen ganz klar religiöse in den Zusammenhängen, und darum geht es auch erstmal."

Mit der Giotto-Schule zeichnet sich erstmals eine gesellschaftliche Autonomie des Künstlers ab, die dem neuzeitlichen Rang von "Kunst" nahe kommt, wie er heute noch bekannt ist. Der Künstler liefert nicht einfach seine Kultobjekte ab, sondern wendet sich auch an einen Kreis von Kennern und Kunstliebhabern, die besonders großartige Ausführungen zu schätzen wissen. Cennini reklamiert das mit seinen Worten im ersten Kapitel seines "Libro dell’arte", indem er schreibt, dass die Malerei eben zugleich Handwerk und Fantasie erfordere und dass sie daher "zu Recht die zweite Stufe nach der Weisheit" verdiene - und "die Krone von der Poesie", der bis dahin unangefochtenen Königsdisziplin aller Künste obendrein.

Zwei Bildtafeln in der Ausstellung, die einen Papst und einen Heiligen Bischof zeigen, werden Cennini zugeschrieben. Die Figuren auf Goldgrund in einem architektonischen Rahmen weisen die für die Giotto-Schule charakteristischen, ungewöhnlich lebensnahen Gesichter, die feine Physiognomie und natürliche Haltung der Körper und Gesten auf. Cenninis Bildtafeln sind dabei umgeben von denen anderer Maler der Giotto Schule, deren innere stilistische Verwandtschaften unübersehbar sind. Eine Mal-Anleitung sei aber Cenninis Kunstbuch trotzdem nicht gewesen, meint Kunsthistoriker Löhr:

"Er ist Maler oder zumindest ist er von seiner Ausbildung her Maler, was auch immer er dann konkret gemacht hat als Künstler, und was er aufschreibt, ist tatsächlich das Handwerkliche, das er allerdings dann rahmt, literarisch rahmt dann, sozusagen. Aber dass die Bilder sozusagen auf den Text replizieren, so dass er Bilder malen würde, um zu zeigen, was er im Text festgehalten hat, das wäre sozusagen genau falsch gedacht, es ist eher andersrum."

Dennoch lässt sich Cenninis Buch durchaus als Beginn der abendländischen Kunsttheorie bezeichnen. Die Ausstellung in der Berliner Gemäldegalerie führt damit hinein in den Ursprung des Kunstverständnisses, wie es sich dann in der abendländischen Geschichte durchgesetzt und diese geprägt hat. Nicht von ungefähr wurden alle historischen Epochen seither immer nach Kunststilen benannt.

Die Zusammenarbeit von Gemäldegalerie und Freier Universität erinnert fast schmerzlich daran, dass Kunstmuseen ihrer Bestimmung nach eigentlich auch öffentliche Forschungsinstitutionen sind. Weil die eventsüchtigen Museumsdirektoren aber fürchten, dass sich seriöse Forschung dem Publikum nicht vermitteln lässt, sind hochinteressante Projekte wie dieses zu einer aussterbenden Spezies unter den Museumsausstellungen geworden - welch Schande.

"Fantasie und Handwerk". Cennino Cennini und die Tradition der toskanischen Malerei von Giotto bis Lorenzo Monaco
Berliner Gemäldegalerie
Vom 10. Januar - 13. April 2008