Vom gegenseitigen Nutzen und Profit

Von Ursula Welter · 17.11.2012
Im Papstpalast in Avignon fand in dieser Woche eine Art internationaler Kulturgipfel statt. Kulturschaffende trafen auf die Chefs der Kulturindustrie, also Manager, Vermarkter und Kulturpolitiker. "Es gibt Gründe zu hoffen" lautete die Überschrift.
Vor dem Papstpalast schlägt sich ein Einzelkämpfer durch. Hinter den Mauern geht es um die fast trotzige These: "Es gibt Gründe zu hoffen" - für die Kultur, durch die Kultur. So die Überschrift des Kulturforums 2012 im Konklave-Saal mit seinen bischöflichen Stühlen, entlang der langen Seitenwände. 400 Teilnehmer aus rund 40 Ländern, das Forum in Avignon versteht sich als eine Art "Davos" der Kulturwelt. Was bringt die digitale Welt, was liegt vor uns , was hinter uns?

"Die Kultur wird gerne als ein "Anhängsel" betrachtet, als ein "Luxusartikel", als französische Besonderheit auch", sagt Frankreichs junge Kulturministerin Aurelie Filipetti, etwas, "worauf man in schlechten Zeiten auch gut verzichten könne". Die Ministerin musste selbst schon ihr Budget zusammenstreichen, die Krise verpflichtet. Aber auch sie sieht "Gründe zu hoffen";" Investitionen in die Kultur seien Zukunftsinvestitionen , Mittel sich gegen die Zentrifugalkräfte in der Krise zu stemmen:

Und da im Moment Zahlen alles sind, liefert das Kulturforum auch in diesem Jahr viele davon, über die sich nicht zuletzt die Initiatoren, Kulturministerin und Kulturindustrie, freuen: 4,5 Prozent des europäischen Wachstums, so rechnen sie vor, seien der Kultur geschuldet, Allein in Frankreich beschäftige die Branche rund 700.000 Menschen, sagt der deutsche Publizist, Philosoph, Richard David Precht, der zum dritten mal in Avignon dabei ist:

""Dieses Forum ist nicht von Independent-Leuten gegründet worden, da hat sich nicht ein Punk-Musiker, eine Ballerina und ein Computerspezialist zusammengesetzt und überlegt, wir machen mal ein Forum, sondern dahinter stehen gewaltige Wirtschaftskräfte, die große Medienindustrie steht dahinter..."

…die auf die Kreativität anderer angewiesen ist. Es geht also um Verwertungsinteressen, dazu dienen die diversen internationalen Studien, Marktuntersuchungen, die Basis der Debatte in Avignon sind und die etwa besagen, dass Musik für die Jugend im Internet das wichtigste Produkt ist, gefolgt von Videos, Filmen und Fotos.

Studien, die auch belegen, dass die Mehrzahl der befragten Jugendlichen in Deutschland vorgibt, mit dem Wort "Copyright" etwas anfangen zu können; und die davon handeln, dass der kulturelle Hunger des "homo connexus" ein Ausmaß an den Tag legt, dem Politik und Kulturindustrie kaum folgen können und, dass der Tipp von Freunden, immer noch mehr als jeder Algorithmus im Netz zählt, wenn es um Ausstellung, ein Buch, einen Film geht:

"Ich glaube, dass jenseits aller Verwertungsinteressen ,die hier eine große Rolle spielen, sie immer wieder die ein oder andere Blüte auf diesem Forum erleben, wo Sie denken, das ist aber spannend, das ist eine Außenperspektive"

Peter Gregson etwa, der sich gefragt hat, wie klingen die 140 Twitter-Zeichen? Der Komponist und Cellist aus Großbritannien hat sich die Tonalität und den Rhythmus der spontanen Botschaften vorgenommen.

Der Chef des israelischen Orchesters , Itay Talgam , ist angereist, um über Kreativität und Kontrolle zu sprechen. Talgam führt Beispiele aus seiner Berufswelt vor, Dirigenten, die mal mit Strenge, mal mit Vertrauen das Orchester zur Höchstleistung bringen, wie sein Lehrer Leonard Bernstein, der mit geschlossenen Augen, ein Lächeln auf den Lippen lauscht, die Arme verschränkt, versunken, ein Beispiel für Kontrolle ohne Zwang:

"Ich würde die Bedeutung des Forums nicht überschätzen, und sagen alle großen Probleme der Menschheit werden hier gelöst. Aber für mich persönlich ist es interessant zu sehen, wenn ich Vorträge aus Indien, Marokko, Schwarzafrika höre und deren Blickwinkel, die eigentlich in der normalen Debatte in Deutschland gar nicht vorkommen, wenn ich die höre,dann ist das für mich immer wieder inspirierend und zeigt mir, auf welchem Stand der Kultur die jeweilige Gesellschaft das Problem angeht oder reflektiert"

sagt Richard David Precht. Und andere sind aus Deutschland angereist, weil sie die französische Variante der dezentralen Kulturpolitik für erfolgreich , für nachahmenswert halten. Vertreter aus Nordrhein-Westfalen, das selbst vieles unternommen hat, um der Krise mit Kunst und Kultur zu trotzen. Die Partner NRWS sitzen im Norden Frankreichs sagt Reinhard Krämer für das nordrhein-westfälische Kulturministerium:

"Wir haben wirklich Strategien in Städten wie Nantes und Lille gesehen, die es geschafft haben in einer ähnlichen Situation wie ihm Ruhrgebiet, ein wirtschaftlicher Niedergang der Werftenindustrie, der Kohlebranche, und dann mit Mitteln der Kultur gegenzusteuern: da wurden Festivals gemacht, da wurden Straßentheatergruppen gebildet, ein Image total zu wandeln, und diese beiden Städte, die ich genannt habe, haben einen Zuzug von Kreativen, die Leute aus Paris gehen nach Nantes, und das wollen wir im Ruhrgebiet auch erreichen."

Der Straßenkünstler draußen vor dem Papstpalast weiß nicht um die weitreichenden Fragen, die sich hinter den dicken Mauern stellen. Er spielt weiter um die Groschen im Hut, auf dem Pflaster von Avignon, der Vaucluse, deren Bewohner sagen, die Stimmung sei explosiv, mehr als 30 Prozent für die Rechtsradikalen in manchen Dörfern rund um die Kulturstadt Avignon, rivalisierende Religionsgruppen an den Universitäten, das alles sei alles andere als "ein Grund zu hoffen."

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