Vom Frauenschwarm zum Misanthropen

Nicolas de Chamfort (1740-1794) wuchs als unehelicher Sohn einer Adeligen und eines Domherrn in kleinbürgerlichen Verhältnissen auf. Wegen seiner Klugheit und Schönheit machte er Karriere in der Pariser Gesellschaft, begrüßte aber später leidenschaftlich die französische Revolution, die ihm jedoch zum Verhängnis wurde. Claude Arnaud zeichnet den ungewöhnlichen Lebensweg dieses "witzigsten aller Moralisten" (Nietzsche) mit Liebe zum Detail und einfühlsam nach.
Wer war Chamfort? Ein politischer Protagonist der französischen Revolution? Ein Moralist, der dem Ancien Régime den Rücken zuwandte? Ein Erfolgsschriftsteller und Aufsteiger mit geheimnisumwitterter Herkunft? Letzteres zumindest hat sein Biograph Claude Arnaud aufklären können.

Für uns Deutsche ist Chamfort heute eine vergessene Größe. Dabei hatte er durchaus Kontakte nach Deutschland. Er hält sich in einer seiner ersten Stellen als Hauslehrer des Grafen van Eyck unter anderem in Köln auf, wo der Bruder des Grafen Kurfürst ist. Er unterrichtet den Erben des Hauses, schreibt Gedichte für den Vater und geht schließlich, weil er sich als literarischer Kammerdiener müßiggängerischer Reicher zu schlecht bezahlt fühlt: "Ich wüsste nicht, wozu ich weniger taugte als zu einem Deutschen, ruft er aus.

Die Schlegels waren frühe deutsche Leser seiner "Maximes, pensées, charactères et anecdotes", Nietzsche stellte in " Die fröhliche Wissenschaft" fest, ohne ihn "hätte die französische Revolution ihren tragischen Witz und ihren schärfsten Stachel nicht bekommen: sie würde als ein viel dümmeres Ereignis gelten und keine solche Verführung der Geister sein".

Offenbar war Chamfort - das ist ein selbstgewählter "nom de plume" - der Sohn von Jacqueline Cisternes Dauphin de Leyval, einer verheirateten Angehörigen des Hochadels in Clermont-Ferrand. Sie empfing ihn im Alter von vierundvierzig Jahren, aber der Vater war nicht ihr Mann, sondern ein einfacher Domherr der Kathedrale von Clermont. Seine Mutter gab ihn in die Krämerfamilie Nicolas.

Für seine frühen Erfolge in der Pariser Gesellschaft ist das Geheimnis seiner Abstammung nicht unwichtig. Wäre er ein gewöhnlicher Bürgerlicher gewesen, hätten die Damen der höheren Kreise mit den Achseln gezuckt. Aber so konnten sie phantasieren, es handele sich bei Chamfort um den Sohn einer Schlossherrin und eines Schäfers. Arnaud gibt hier ein brillantes Beispiel seiner genauen Kenntnisse der Verhältnisse im Frankreich der Vorromantik - zwischen 1740 und 1760. Er schreibt:

"'Ein Kind der Liebe!', seufzen zwangsweise verheiratete Frauen, die sich dabei nicht um ihre eigenen Kinder kümmern. Aus Sentimentalität und Snobismus mischen sie ihn diskret als Joker in das aristokratische Spiel der Familien, um ihre endlosen genealogischen Gespräche mit neuem Stoff zu versorgen"."

Chamfort feiert Erfolge mit dem Theaterstück "La jeune Indienne" das Rousseau wie Voltaire gleichermaßen gut gefällt - und später mit dem Trauerspiel "Mustapha et Zéangir", das er 1776 in Fontainebleau vor Ludwig dem XVI und Marie Antoinette aufführen darf. Warum aber zieht sich der Autor danach aus der Öffentlichkeit zurück?

Das berühmteste Werk Chamforts - manche sagen, es sei auch das einzige, das von ihm noch gelesen wird, sind die "Maximes, pensées, caractères et anecdotes, die "Maximen, Gedanken, Charaktere und Anekdoten". Sie entstehen in den Jahren 1780-1788 und erscheinen erstmals 1795. Eine Bemerkung darin lautet: "Berühmtheit: der Vorteil, denen bekannt zu sein, die einen nicht kennen". Das ist der Witz Chamforts. Und darin spürt man auch jene Bitterkeit, die ihm den Ruf des Misanthropen eingetragen hat.

Die Biographie zeichnet schlüssig und faszinierend nach, welche Lebenserfahrungen zu dieser Illusionslosigkeit angesichts der menschlichen Natur führten. So schreibt Chamfort:

""An zwei Dinge muss man sich gewöhnen, um das Leben erträglich zu finden: Die Unbilden der Zeit und die Ungerechtigkeiten der Menschen."

Es dauerte lange und war ein harter Kampf, bis er schließlich 1781 einen Sitz in der Académie Française erhielt. Und schließlich war er früh in seinen zwanziger Jahren bereits schwer erkrankt - eine Geschlechtskrankheit, vermutet man, unter deren Spätfolgen er immer wieder litt, was ihn verunstaltete und ihm von einem Tag auf den anderen die Gunst der Frauen entzogen hatte.

Und die französische Revolution? Welche Rolle spielte spielt Chamfort in ihr? Die Rolle des Theoretikers, des Schreibers - so wird etwa vermutet, die berühmten Eingangsformulierungen aus der Schrift "Was ist der dritte Stand?" von Emmanuel Joseph Sieyès stamme von Chamfort: "Was ist der dritte Stand? Alles. Was ist er in der politischen Ordnung bisher gewesen? Nichts. Was fordert er? Darin etwas zu werden."

Von 1790 bis 1791 ist Chamfort Sekretär des Clubs der Jakobiner. Sein Tod ist grausig. Im Zuge der Säuberungen Robespierres wird er verhaftet. Nach seiner Entlassung einige Tage später begeht er einen Selbstmordversuch, denn er will nicht noch einmal lebend in ein Gefängnis eingeliefert werden, wie er sagt. Er schießt sich eine Kugel in den Kopf, die ihn aber nicht tötet, sonder nur ein Auge zerstört. In halb verblutetem Zustand, nachdem er noch versucht hat, sich die Adern, die Brust und den Hals aufzuschlitzen, findet man ihn und er wird zunächst mit vielen Operationen und in langer Genesung gerettet. Einige Monate später aber, am 13. April 1794, stirbt er an den Spätfolgen, nur dreiundfünfzig Jahre alt. Die Wohnung des Toten wird übrigens kurz darauf geplündert, weswegen so viele seiner Schriften verloren sind.

Claude Arnaud ist Biograph und Romanautor, und so findet er auch in diesem Buch über Chamfort einen nacherzählenden, nuancenreichen und einfühlsamen Gestus. Das Wunderbare an seiner Biographie sind die verschwenderisch eingestreuten Details - wie die Gäste am Hof Ludwigs des XVI. und Marie Antoinettes etwa schon morgens ihre Kostüme anziehen mussten, in denen sie am Abend in den beliebten Schäferidyllen auftraten - damit die Kostüme auch echte Falten bekamen. Er fasst wichtige kulturgeschichtliche Wenden faszinierend zusammen:

"Vor den Augen des erstaunten Europa verfällt der Louis-Quinze-Stil in Agonie; doch der Reichtum eines Landes wird auch an den Werten gemessen, die es verbraucht - und Frankreich ist eines der reichsten Länder, wenn nicht gar das am stärksten von der Mode geprägte."

Wie man hieran schon sehen kann, formuliert Arnaud nicht unbedingt einfach und sein Denken ist sehr voraussetzungsreich - ein bisschen nach dem Motto: "Die französische Geschichte kennen wir aus dem Effeff". Dennoch hätte er die Handlung von "Mustapha et Zéangir" für uns skizzieren können ...

Rezensiert von Wiebke Hüster

Claude Arnaud: Chamfort. Die Frauen, der Adel, die Revolution
Übersetzt von Ulrich Kunzmann
Matthes & Seitz, Berlin 2007
528 Seiten, 39,80 Euro
Claude Arnaud: Chamfort. Die Frauen, der Adel und die Revolution (Coverausschnitt)
Claude Arnaud: Chamfort. Die Frauen, der Adel und die Revolution (Coverausschnitt)© Verlag Matthes & Seitz Berlin