Vom französischen Grafen zum Weltbürger

Der französische Adelige Adalbert von Chamisso wurde vor allem durch die Märchenerzählung "Peter Schlemihls wundersame Geschichte" bekannt. Doch Chamisso war auch Forscher und Dichter. In "Der wilde Europäer" zeichnet Beatrix Langner den Lebensweg des Weltumseglers und Poeten nach.
Wer den Namen Adalbert von Chamisso hört, denkt vermutlich nicht gleich an den Naturforscher und Weltumsegler – aber unweigerlich an "Peter Schlemihls wundersame Geschichte". Das Märchen von dem Mann, der seinen Schatten verkauft und zum geächteten Außenseiter wird, zu einem, der nirgends dazugehört.

Als der dänische Schriftsteller Hans Christian Andersen im Sommer 1831 dem berühmten Chamisso seine Aufwartung macht, schreibt er: "Ich trat ein – und Peter Schlemihl stand leibhaftig vor mir."
Ganz falsch war die Beobachtung gewiss nicht. Denn Schlemihl war nicht nur Chamissos Erfindung, ein wenig war er auch sein Abbild. Einer, den es hierhin und dorthin treibt, der fremd bleibt.

"Der Schattenmann", hieß Chamisso im Volksmund. Einen wilden Europäer nennt ihn seine Biographin Beatrix Langner, anknüpfend an Claude Lévi Strauss‘ Abhandlung über das wilde Denken. Das vor allem ein freies Denken ist und dann gelingt, wenn Menschen mehr als nur geographische Grenzen überschreiten, wenn sie nicht Halt suchen und sich allein orientieren an Familie, Herkunft oder Religion, sondern ihren Geist sich entfalten lassen, wie Chamisso es tat, "dessen Bestimmung es war", so Langner, "keiner Bestimmung zu folgen und selbst Autor seines Lebens zu werden."

Ein kluges Programm übrigens auch für uns im globalisierten 21. Jahrhundert.

1781 wurde Chamisso als Louis Charles Adélaide de Chamissot de Boncourt auf einem französischen Schloss in der Champagne geboren. Während der Revolution muss seine Familien fliehen. So kommt der Knabe nach Preußen. Wo er bleibt. Während seine monarchistisch gesinnten Brüder später nach Frankreich zurückgehen.

Chamisso befreit sich aus dem starren Gehäuse der aristokratischen Konvention. Ist zwar zunächst noch Fähnrich in der preußischen Armee, doch als er einmal fast auf seine französischen Brüder schießen muss, nimmt er seinen Abschied. Lebt mal hier, mal dort, auch eine Weile bei Madame de Stael, reist, schreibt, botanisiert und umrundet drei Jahre lang auf einem schmalen russischen Expeditionsschiff die Welt. Als Forscher, der Pflanzen sammelt und auch Sprachen, und die exotische Fremde keineswegs mit eurozentrischen Augen betrachtet, wie man es heute nennen würde. Er ist kein Kolonisator, der die sogenannten Wilden verachtet – er respektiert ihr Wissen, ihre Kultur, ihre Tradition. Ihr "wildes Denken."

Adalbert von Chamisso schrieb ein Tagebuch dieser Reise, zu dem Alexander von Humboldt ihn begeistert beglückwünschte. Er verfasste beachtete botanische Werke, wurde als Ordentliches Mitglied in die Preußische Akademie der Wissenschaften gewählt, schrieb ein sprachwissenschaftliches Werk über die hawaische Sprache, das spätere Ethnolinguisten geradezu hellsichtig nannten und wurde überdies ein Poet, (der auch sozialkritische Balladen verfasste) von dem Heinrich Heine jubilierte, dass er einer der "eigentümlichsten und bedeutendsten modernen Dichter" sei.

Es ist ein fulminantes Buch, das die Autorin vorgelegt hat. Die nicht nur Chamissos Lebens- sondern zugleich kenntnis- und detailreich deutsche und französische Zeitgeschichte schreibt. Und genau in dieser Stärke liegt auch die Schwäche des Bandes. Zu jedem Stichwort ein Diskurs. Dann überwuchert die Ausbeute der Rechercheurin die Arbeit der Schriftstellerin. Dann wird der Leser überschüttet mit Namen, Daten, Fakten Historie und beginnt sich zu sehnen nach dem Menschen Chamisso. Möchte ihn spüren in all seiner Widersprüchlichkeit. Diesen französischen Grafen, aus dem ein deutscher Dichter wurde. Diesen Weltbürger, der sich von keinem Patriotismus vereinnahmen ließ.

Rezensiert von Gabriele von Arnim/

Beatrix Langner: Der wilde Europäer. Adalbert von Chamisso
Matthes & Seitz, Berlin 2008
368 Seiten, 29,90 Euro