Vom Erzählen einer Liebesgeschichte

Zwei Menschen begegnen sich zufällig, lächeln sich an. Raymond Federman erzählt in seinem preisgekrönten Werk nicht einfach die Fortsetzung dieser rudimentären Exposition, er lotet ihr ganzes Potenzial an Möglichkeiten, Glück und Leid aus.
"Die Geschichte von Moinous & Sucette. Ihre Liebesgeschichte. Sie soll erzählt werden." So pragmatisch beginnt Raymond Federman seine "Liebesgeschichte oder so was". Es ist mehr als eine Liebesgeschichte. Da wir am Ende vieles von dem, was wir unterwegs zu wissen glaubten, doch nicht wissen werden, ist es das aber vielleicht auch nicht.

Es ist die Geschichte von zwei sehr unterschiedlichen Menschen, von Armut und Einsamkeit, vom "bösartigen und unheilbaren Optimismus" und vom Geschichtenerzählen, genauer: vom Erzählen einer Liebesgeschichte. Sucette, die Ältere, Erfahrenere, wird dem erst 23-jährigen Moinous erklären, "dass Liebesgeschichten einem zwar beibringen, wie man über die Liebe redet, aber nicht notwendigerweise, wie man liebt." Ob das stimmt, ist die Frage.

Zwei Menschen begegnen sich zufällig am New Yorker Washington Square, lächeln einander flüchtig an. Raymond Federman erzählt in seinem schmalen, großen Roman nicht einfach eine Fortsetzung dieser ebenso rudimentären wie vielversprechenden Exposition, er lotet vielmehr ihr ganzes Potenzial an Möglichkeiten, Hoffnungen, Glück und Leid aus.

Dabei liefert er ein Beispiel für das, was er selbst surfiction genannt hat, Fiktion über Fiktion, ein tektonisches Geschiebe aus Erfindungen, Tatsachen und ironischen Brechungen. Jedes "hätte", "könnte", würde" vermag eine überraschende Wendung herbeizuführen oder eine andere als Illusion zu entlarven. Sucette schreibt. Moinous träumt. Aber sie begegnen sich wirklich, am Washington Square und dann, hoffentlich, in der Librairie Francaise im Rockefeller Center.

25 Jahre ist Raymond Federmans preisgekrönte Liebesgeschichte "Smiles on Washington Square" erst alt, und doch hat dieser Tage bereits zum dritten Mal ein deutscher Verlag die Übersetzung von Peter Torberg herausgebracht. Offensichtlich handelt es sich bereits um einen Klassiker. Das sind Bücher, die nicht altern oder dies auf eine Weise tun, bei der man gern zusieht.

Für Federman scheint beides zu gelten. Als Spiel des Textes mit dem Text im Text gehört die Geschichte durchaus in die 80-er Jahre, in denen sie entstanden ist. Als dichter, überraschender literarischer Versuch, eine Liebesgeschichte ohne Sentimentalität zu erzählen, bleibt sie kühn und zeitlos. Zur Beruhigung sei verraten, dass dieses Ziel misslingt.

Raymond Federman, geboren in Frankreich, 1947 in die USA emigriert, ist 2009 80-jährig gestorben. Seine berühmteste Geschichte ist die seiner Rettung, seiner "wirklichen Geburt", wie er es nannte. Als die Gestapo die jüdische Familie abholt, steckt die Mutter den 14-Jährigen in einen Schrank.

Als er diesen wieder verlässt, hat Federman keine Familie mehr, aber eine Geschichte, die er ein ums andere Mal erzählen muss. Alle seine Bücher werden um sie kreisen. In der Liebesgeschichte wird sie nicht erzählt, und doch ist sie in der Vergangenheit, in der Unsicherheit, in den Ängsten und Nöten des jungen Franzosen Moinous präsent, ein unsichtbares Zentrum. Raymond Federman hatte einen Blog und eine Website, beide sind noch online. Seine Email-Adresse lautete: Moinous@aol.com.

Besprochen von Hans von Trotha

Raymond Federman: Eine Liebesgeschichte oder so was
Aus dem amerikanischen Englisch von Peter Torberg
Gefolgt von "Erst, wenn ich das Tempus gewechselt habe." Ein Gespräch
Matthes & Seitz, Berlin 2010
224 Seiten, 19,80 Euro