Vom Eigenleben literarischer Figuren
Die neue Geschichte von Heike Geißler erzählt von einer besonderen Liebesbeziehung und einer kleinen Revolte. Eine Autorin stellt kurz vor Beendigung ihres Romans fest, dass ihre Lieblingsfigur abhanden gekommen ist, weil die sich sträubte, beschrieben zu werden.
Heike Geißler hat es mit den Anfängen. In ihrem Debüt "Rosa" von 2002 verlässt eine junge Mutter, die keine sein will, ihr neugeborenes Kind und dessen Vater, um in der Fremde ein neues Leben anzufangen. In einem Ton, "so beherrscht und so manisch zugleich, dass eine atemlose Dramaturgie den Leser weitereilen lässt", wie eine Kritikerin schrieb, wird der Versuch eines Neubeginns geschildert, ein Versuch, der im Wunsch gipfelt, selbst wieder Kind zu sein. Heike Geißlers neues, ihr zweites Buch, endet mit dem - man kann schon fast sagen - typischen Geißler-Satz: "Es lag und liegt ja stets ein Anfang in der Luft."
Eben mal was anzufangen, ist nicht schwer, nur muss man es eben auch zu Ende führen. Da liegt der Hase im Pfeffer.
"Nichts, was tragisch wäre" ist kein Roman (trägt dankenswerterweise auch keine Gattungsbezeichnung), aber doch so etwas wie eine Geschichte. Allerdings eine, die aus drei Perspektiven davon erzählt, wie eine Geschichte anfing, gerne weitergeführt worden wäre, aber keinen Schluss findet. Die drei Perspektiven, aus denen erzählt wird, sind erstens die der Ich-Erzählerin ("ich, die ich die Dinge in Folge reihe"), zweitens die der Autorin ("die, um die es geht") und drittens die der Heldin, der "Lieblingsfigur"; namenlos sind sie alle. Man könnte auch sagen, es ist die Geschichte einer Revolte, einer Niederlage und eines kraftlosen Weitermachens, immer in der Hoffnung: "Es lag und liegt ja stets ein Anfang in der Luft."
Die Autorin nämlich kommt mit ihrer Geschichte an kein Ende, weil ihre Heldin aufmuckt. Diese will keinen Herrn kennen lernen, wie ihre Schöpferin es eigentlich plant, sondern lieber mit einem Schimmel durch Straßen und Landschaften galoppieren. Immerhin habe es doch auch mit einem Pferd begonnen, für dieses schöne Tier habe die Autorin nun frech einen Mann eingesetzt. Das sei die reinste Willkür. – Wenn man einen Text als geistiges Kind versteht, dann schreibt Heike Geißler ihren "Rosa"-Roman hier noch einmal, nur aus der entgegengesetzten Perspektive: Das Kind, also die Geschichte, verlässt die Mutter, das heißt die Autorin.
Kein Wunder, dass dies zu einer schweren Krise führt, die dann sehr theatralisch gelöst werden soll. "Die, um die es geht" will erst das Notebook an den Nagel hängen und dann sich sogar umbringen, aber wenn, dann auch feierlich. In einem wunderschönen schwarzen Kleid, wie Dorothy Hale eines trug (auf Frida Kahlos dramatisch-naivem Bild "Der Selbstmord der Dorothy Hale" von 1939 – so ist übrigens auch das Buch ein bisschen: dramatisch-naiv), will sie sich von einem Hochhaus in Halle an der Saale stürzen.
Die Stadt Halle ist der Raum, in dem sich diese Schreibblockade abspielt, ein verhasster, aber doch am Ende geliebter Raum. In einer Diktion, die an den großen Gert Hofmann erinnert (der wie die 30-jährige Geißler aus Riesa ebenfalls aus Sachsen kam) wird hier die alte Geschichte vom Eigenleben literarischer Figuren auf eine nicht gerade leichte, aber reizvolle Art erzählt. Eine Parodie? Wahrscheinlich mehr – und tragischer. Denn Erzählerin und Autorin nähern sich schließlich immer mehr an, und die Heldin ist wohl auch nicht so weit. Die echte Heike Geißler muss alle drei Gestalten in sich tragen: eine heillose Angelegenheit, und hoffentlich nicht ohne Ende.
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Heike Geißler: Nichts, was tragisch wäre
Geschichte
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007
128 Seiten. 16 Euro
Eben mal was anzufangen, ist nicht schwer, nur muss man es eben auch zu Ende führen. Da liegt der Hase im Pfeffer.
"Nichts, was tragisch wäre" ist kein Roman (trägt dankenswerterweise auch keine Gattungsbezeichnung), aber doch so etwas wie eine Geschichte. Allerdings eine, die aus drei Perspektiven davon erzählt, wie eine Geschichte anfing, gerne weitergeführt worden wäre, aber keinen Schluss findet. Die drei Perspektiven, aus denen erzählt wird, sind erstens die der Ich-Erzählerin ("ich, die ich die Dinge in Folge reihe"), zweitens die der Autorin ("die, um die es geht") und drittens die der Heldin, der "Lieblingsfigur"; namenlos sind sie alle. Man könnte auch sagen, es ist die Geschichte einer Revolte, einer Niederlage und eines kraftlosen Weitermachens, immer in der Hoffnung: "Es lag und liegt ja stets ein Anfang in der Luft."
Die Autorin nämlich kommt mit ihrer Geschichte an kein Ende, weil ihre Heldin aufmuckt. Diese will keinen Herrn kennen lernen, wie ihre Schöpferin es eigentlich plant, sondern lieber mit einem Schimmel durch Straßen und Landschaften galoppieren. Immerhin habe es doch auch mit einem Pferd begonnen, für dieses schöne Tier habe die Autorin nun frech einen Mann eingesetzt. Das sei die reinste Willkür. – Wenn man einen Text als geistiges Kind versteht, dann schreibt Heike Geißler ihren "Rosa"-Roman hier noch einmal, nur aus der entgegengesetzten Perspektive: Das Kind, also die Geschichte, verlässt die Mutter, das heißt die Autorin.
Kein Wunder, dass dies zu einer schweren Krise führt, die dann sehr theatralisch gelöst werden soll. "Die, um die es geht" will erst das Notebook an den Nagel hängen und dann sich sogar umbringen, aber wenn, dann auch feierlich. In einem wunderschönen schwarzen Kleid, wie Dorothy Hale eines trug (auf Frida Kahlos dramatisch-naivem Bild "Der Selbstmord der Dorothy Hale" von 1939 – so ist übrigens auch das Buch ein bisschen: dramatisch-naiv), will sie sich von einem Hochhaus in Halle an der Saale stürzen.
Die Stadt Halle ist der Raum, in dem sich diese Schreibblockade abspielt, ein verhasster, aber doch am Ende geliebter Raum. In einer Diktion, die an den großen Gert Hofmann erinnert (der wie die 30-jährige Geißler aus Riesa ebenfalls aus Sachsen kam) wird hier die alte Geschichte vom Eigenleben literarischer Figuren auf eine nicht gerade leichte, aber reizvolle Art erzählt. Eine Parodie? Wahrscheinlich mehr – und tragischer. Denn Erzählerin und Autorin nähern sich schließlich immer mehr an, und die Heldin ist wohl auch nicht so weit. Die echte Heike Geißler muss alle drei Gestalten in sich tragen: eine heillose Angelegenheit, und hoffentlich nicht ohne Ende.
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Heike Geißler: Nichts, was tragisch wäre
Geschichte
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007
128 Seiten. 16 Euro