Vom "Doktrinär zum Dichter"
Gunnar Decker betrachtet in seiner Biografie "Franz Fühmann – Die Kunst des Scheiterns" das Leben und Schaffen des DDR-Schriftstellers Franz Fühmann. Dieser wurde in seiner Jugend durch den Nationalsozialismus geprägt, entwickelte sich nach dem Krieg zum Anhänger des Sozialismus, von dem er aber in seinen späten Jahren bitter enttäuscht war.
Franz Fühmann galt bis zu seinem Tod 1984 als Instanz in der DDR. Seine Essays, Märchen, Novellen zeigten Gegenwelten zum platten Realismus, seine Einmischungen stifteten Unruhe.
Als Mentor förderte er Wolfgang Hilbig, Uwe Kolbe, Katja Lange-Müller. Zu Unrecht sind seine literarischen Arbeiten heute kaum mehr im Gespräch, denn in seinen witzig pointierten Briefen lernt man einen exzellenten Wortfechter, in seinen Essays und Tagebüchern den Skeptiker, kritischen Beobachter und Dichter, in seinen Kinderbüchern den Sprachspieler kennen. Fühmanns Werk und Biografie zeigen den argen Weg der Erkenntnis eines "Unzeitgemäßen", der gleichsam für seine Generation steht.
Fühmann, Jahrgang 1922, ist in Böhmen geboren, überlebt den Krieg im Osten und den Einsatz in Griechenland. Er fühlt sich schuldig für die deutschen Verbrechen. Als er 1949 aus einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager zurückkehrt, ist Deutschland geteilt.
Fühmann will teilhaben an der neuen Gesellschaft, die sich demokratisch, antifaschistisch, friedlich nennt, und er will Dichter werden. Zunächst betritt er die politische Bühne, in der NDPD macht er schnell Karriere und hat seine erste "Wandlung", dieser Begriff wird ihn fortan begleiten, hinter sich. Allerdings bekommt er schnell zu spüren, dass Kunst und Politik ein ungleiches Paar sind.
Bereits im Titel seiner Biografie zielt Gunnar Decker auf die Brüche in Fühmanns Leben und Schreiben. Vor seinem Tod bilanzierte dieser:
"Der bitterste (Schmerz) ist der, gescheitert zu sein: In der Literatur und in der Hoffnung auf eine Gesellschaft, wie wir sie alle einmal erträumten."
Der Biograf folgt der Chronologie des Lebens und hat in Fühmanns Werk eine Zitaten-Fundgrube, die er zu nutzen weiß. Er arbeitet die Zäsuren heraus, ruft auch Fühmann-Kritiker auf, um dieser Ausnahmeerscheinung der deutschen Literatur Konturen zu geben.
Fühmann benennt vor allem in seinem Tagebuch "22 Tage oder die Hälfte des Lebens"(1973) oder im Trakl-Essay "Vor Feuerschlünden"/"Der Sturz des Engels" (1982) rigoros eigene, auch ästhetische, und gesellschaftliche Irrtümer.
Die Kontroversen mit dogmatischen Realismusverfechtern führen ihn auf eigene Pfade, weg vom Bitterfelder Kurs. Im Werk des Bildhauers Ernst Barlach, der in der inneren Emigration die nationalsozialistische Zeit überstand, entdeckt er einen Gleichgesinnten.
In der Beschäftigung mit den Romantikern ETA Hoffmann und Tieck und mit dem Österreicher Georg Trakl findet der Dichter zu sich selbst.
Das berüchtigte elfte SED-Kultur-Plenum 1965 und die gewaltsame Beendigung des Prager Frühlings markieren einen tiefen Bruch. Fühmann, der nirgendwo Alternativen sieht, legt Ämter nieder, hört aber nicht auf, sich einzumischen und überwintert mit Nachdichtungen.
"Wir halten ja schon so brav den Mund und dichten alle nicht mehr vor, sondern nur noch nach", schreibt er an Sarah Kirsch. Das kräftezehrende "Bergprojekt" bleibt Fragment, auch andere Arbeiten wie das Rheinsberg-Tagebuch werden nicht vollendet, und sind dennoch großartiger Lesestoff.
Gunnar Decker leuchtet die Dimension der Dichterexistenz aus, erobert einen neuen Blick auf den intellektuellen Innenraum DDR und entdeckt einen Autor wieder, der sich vom "Doktrinär zum Dichter" wandelte. Er beleuchtet mit Franz Fühmanns Geschichte einen wichtigen Aspekt deutscher Kulturgeschichte im 20. Jahrhundert.
In dieser flüssig geschriebenen Biografie erscheint allein die Soldatenzeit in der Sowjetunion und in Griechenland – Decker stützt sich vor allem auf literarische Zitate des Autors - zu bruchstückhaft.
Eine Grafik von Nuria Quevedo, die auch im umfangreichen und übersichtlichen Anhang zu Wort kommt, schmückt den Frontispiz.
Erstmals wird ein Vortrag über Gottfried Benn aus dem Jahr 1981 abgedruckt, der den Leser Franz Fühmann zeigt und Einblicke in das "Literaturland" DDR gibt.
Besprochen von Sigried Wesener
Gunnar Decker:
Franz Fühmann – Die Kunst des Scheitern, eine Biographie
Hinstorff-Verlag, Rostock 2009
455 Seiten, 25,90 EUR
Als Mentor förderte er Wolfgang Hilbig, Uwe Kolbe, Katja Lange-Müller. Zu Unrecht sind seine literarischen Arbeiten heute kaum mehr im Gespräch, denn in seinen witzig pointierten Briefen lernt man einen exzellenten Wortfechter, in seinen Essays und Tagebüchern den Skeptiker, kritischen Beobachter und Dichter, in seinen Kinderbüchern den Sprachspieler kennen. Fühmanns Werk und Biografie zeigen den argen Weg der Erkenntnis eines "Unzeitgemäßen", der gleichsam für seine Generation steht.
Fühmann, Jahrgang 1922, ist in Böhmen geboren, überlebt den Krieg im Osten und den Einsatz in Griechenland. Er fühlt sich schuldig für die deutschen Verbrechen. Als er 1949 aus einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager zurückkehrt, ist Deutschland geteilt.
Fühmann will teilhaben an der neuen Gesellschaft, die sich demokratisch, antifaschistisch, friedlich nennt, und er will Dichter werden. Zunächst betritt er die politische Bühne, in der NDPD macht er schnell Karriere und hat seine erste "Wandlung", dieser Begriff wird ihn fortan begleiten, hinter sich. Allerdings bekommt er schnell zu spüren, dass Kunst und Politik ein ungleiches Paar sind.
Bereits im Titel seiner Biografie zielt Gunnar Decker auf die Brüche in Fühmanns Leben und Schreiben. Vor seinem Tod bilanzierte dieser:
"Der bitterste (Schmerz) ist der, gescheitert zu sein: In der Literatur und in der Hoffnung auf eine Gesellschaft, wie wir sie alle einmal erträumten."
Der Biograf folgt der Chronologie des Lebens und hat in Fühmanns Werk eine Zitaten-Fundgrube, die er zu nutzen weiß. Er arbeitet die Zäsuren heraus, ruft auch Fühmann-Kritiker auf, um dieser Ausnahmeerscheinung der deutschen Literatur Konturen zu geben.
Fühmann benennt vor allem in seinem Tagebuch "22 Tage oder die Hälfte des Lebens"(1973) oder im Trakl-Essay "Vor Feuerschlünden"/"Der Sturz des Engels" (1982) rigoros eigene, auch ästhetische, und gesellschaftliche Irrtümer.
Die Kontroversen mit dogmatischen Realismusverfechtern führen ihn auf eigene Pfade, weg vom Bitterfelder Kurs. Im Werk des Bildhauers Ernst Barlach, der in der inneren Emigration die nationalsozialistische Zeit überstand, entdeckt er einen Gleichgesinnten.
In der Beschäftigung mit den Romantikern ETA Hoffmann und Tieck und mit dem Österreicher Georg Trakl findet der Dichter zu sich selbst.
Das berüchtigte elfte SED-Kultur-Plenum 1965 und die gewaltsame Beendigung des Prager Frühlings markieren einen tiefen Bruch. Fühmann, der nirgendwo Alternativen sieht, legt Ämter nieder, hört aber nicht auf, sich einzumischen und überwintert mit Nachdichtungen.
"Wir halten ja schon so brav den Mund und dichten alle nicht mehr vor, sondern nur noch nach", schreibt er an Sarah Kirsch. Das kräftezehrende "Bergprojekt" bleibt Fragment, auch andere Arbeiten wie das Rheinsberg-Tagebuch werden nicht vollendet, und sind dennoch großartiger Lesestoff.
Gunnar Decker leuchtet die Dimension der Dichterexistenz aus, erobert einen neuen Blick auf den intellektuellen Innenraum DDR und entdeckt einen Autor wieder, der sich vom "Doktrinär zum Dichter" wandelte. Er beleuchtet mit Franz Fühmanns Geschichte einen wichtigen Aspekt deutscher Kulturgeschichte im 20. Jahrhundert.
In dieser flüssig geschriebenen Biografie erscheint allein die Soldatenzeit in der Sowjetunion und in Griechenland – Decker stützt sich vor allem auf literarische Zitate des Autors - zu bruchstückhaft.
Eine Grafik von Nuria Quevedo, die auch im umfangreichen und übersichtlichen Anhang zu Wort kommt, schmückt den Frontispiz.
Erstmals wird ein Vortrag über Gottfried Benn aus dem Jahr 1981 abgedruckt, der den Leser Franz Fühmann zeigt und Einblicke in das "Literaturland" DDR gibt.
Besprochen von Sigried Wesener
Gunnar Decker:
Franz Fühmann – Die Kunst des Scheitern, eine Biographie
Hinstorff-Verlag, Rostock 2009
455 Seiten, 25,90 EUR