Vom DDR-Rap zur Neuen Musik

Von Hendrik Kirchhof · 09.01.2012
Alexander Morawitz galt in den 80er-Jahren als bester Rapper der DDR. Nach der Wende machte er Schluss mit dem Hip-Hop und arbeitete als Handwerker. Über viele Umwege hat Morawitz mittlerweile zur Musik zurückgefunden - als Komponist und Klavierlehrer.
"Müsste ich eigentlich hinkriegen ... und dann das hohe E, das ist das hier wahrscheinlich ... ja."

Alexander Morawitz wirkt ausgeglichen. Der schlanke Mittvierziger, struppige Haare, kantiges Gesicht, sitzt am Flügel in seiner Wohnung in Radebeul bei Dresden, wo er mit seiner Frau lebt. Er hat Radiergummis zwischen einige Saiten geklemmt, die Töne klingen dadurch merkwürdig gedämpft. Mit der Rechten greift er von oben in den Resonanzkörper und zupft die Saiten wie bei einer Harfe.

Morawitz spielt ein Stück, das bisher nur er aufführen kann, weil nur er die handschriftlichen Noten lesen kann. Geschrieben hat er es zur Landschaft Kamtschatkas, der Halbinsel im äußersten Osten Russlands, die er mehrfach bereist hat.

"Und da das eine sehr wilde Landschaft ist, muss man sich also doch mit großem Einsatz da durchbewegen, mit schwerem Gepäck, und hat dabei unglaubliche Erlebnisse in dieser wilden, unberührten Natur. Und das hat mich so stark beschäftigt, dass ich, während ich irgendwann mal ziellos am Klavier improvisiert habe, mich dabei ertappt habe, dass plötzlich Klänge aus dem Klavier kamen, die mich an diese Erlebnisse dort erinnerten."

Sich treiben lassen, offen sein für Zufälle, auch steinige Wege konsequent verfolgen: Das scheint typisch für den gebürtigen Dresdner, nicht nur beim Reisen und Komponieren. So hat er mehrmals zu seinem Beruf gemacht, was bei anderen wohl Hobby geblieben wäre: Er war professioneller Jazz- und Rockschlagzeuger, Rapper, später selbstständiger Innenraumgestalter. Heute ist er Komponist und Klavierlehrer.

Musik hat Morawitz schon immer gemacht - obwohl seine Familie aus Malern und Grafikern bestand. Als Kind erklärt er der Mutter, dass sie die Schlaflieder falsch singt. Später bekommt er Klavierunterricht und geht in den berühmten Dresdner Kreuzchor - bis er in der achten Klasse ausgeschlossen wird: weil er sagt, dass er später nicht zur Armee will.

Als junger Erwachsener spielt er Schlagzeug in diversen Jazz- und Rockgruppen. Mit Anfang 20, Mitte der 80er-Jahre, entdeckt er Rap und Hip-Hop für sich - als einer der Ersten in der DDR.

"Und dann lief ja der Film 'Beat Street' im Kino. Und da wurde mir plötzlich klar, dass da eine ganze Kultur dahintersteht. Also dass das jetzt nicht bloß mal so eine musikalische Richtung ist, sondern dass da so ein Tanz dazu gehört und auch irgendwie diese Graffiti-Malerei damit in Verbindung steht. Das war für mich interessant, diese ganze Kombination und eben dieses rhythmische Sprechen."

Morawitz nannte sich "Electric B." und wurde schnell zum bekanntesten und ambitioniertesten Rapper der DDR. Er veranstaltete Workshops und die beiden größten Hip-Hop-Contests der Republik mit mehr als 1000 Besuchern. Er wollte eine neue Szene aufbauen, das kulturelle Leben in der DDR bereichern.

"Was mich interessiert hat, war schon eine gewisse Gesellschaftskritik zu formulieren. Und dort hatte ich eine Möglichkeit gefunden, ohne Gefahr zu laufen, dass ich gleich in Kollision mit dem Apparat geriet, weil es in Englisch war. Und tatsächlich war die Stasi offenbar nicht in der Lage, diese Texte zu verstehen. Insofern konnte ich da Dinge sagen, die in Deutsch gar nicht gegangen wären."

Aufpassen musste Alexander Morawitz trotzdem, denn die Stasi hat jeden Auftritt beobachtet. Und sie wollte ihn als IM anwerben, damit er Informationen über die Hip-Hop-Szene preisgibt - er aber weihte sofort seinen Manager ein und war als Spitzel damit von vornherein verbrannt.

Heute interessiert ihn Hip-Hop-Musik nicht mehr. Noch immer beeindruckt ihn aber die Experimentierfreude der damaligen Szene, die gesunde Konkurrenz ganz ohne Geltungssucht und Star-Allüren. Nach 1989 hat sich Alexander Morawitz bei großen Plattenfirmen in England vorgestellt. Die interessierten sich aber nur für Vermarktung.

"Und die haben auch von der Wende nicht so viel mitgekriegt offenbar, also die haben jetzt nicht mich dort mit offenen Armen aufgenommen und gesagt: Ah, aus der DDR. Und das hat mich damals ein Bisschen irritiert, weil ich dachte, Mensch, das hat uns jetzt so bewegt, und hier scheint es kaum jemanden irgendwie näher zu interessieren. Ja, und als ich dann kennengelernt habe, wie die in den Firmen arbeiten, war mir klar, dass ich so nicht arbeiten will."

Morawitz macht vorerst Schluss mit der Musik und arbeitet fast die gesamten 90er-Jahre als Innenraumgestalter - ein Kindheitstraum. Zum Komponisten wird er durch einen Zufall: Ende der 90er bittet ihn ein Freund, bei einer Taufe Orgel zu spielen. Morawitz findet kein passendes Stück. Also schreibt er selber eins.

"Also zeitgenössische Musik hab ich schon als Jugendlicher gehört. Wie Kunst sich in der heutigen Zeit ausdrückt, das hat mich besonders interessiert. Also was es da für Formen gibt. Und dann hab ich, als ich selber geschrieben habe, Verschiedenes ausprobiert und bald gemerkt, dass ich schnell an bestimmte Grenzen stoße, über die ich mit eigener Kraft irgendwie nicht so richtig hinauskam."

Andere hätten es vielleicht dabei bewenden lassen, aber der damalige Innenraumgestalter Morawitz fängt mit Mitte 30 an, Kompositionsunterricht zu nehmen. Mittlerweile gibt er sein Wissen selber weiter: Neben seiner Arbeit als freischaffender Komponist und Klavierlehrer bietet er zum Beispiel Kompositionskurse für Kinder an. Deren unvoreingenommene Fantasie dient ihm beim Komponieren manchmal sogar als Vorbild.

Alexander Morawitz' heutige Musik findet zwar viel weniger Hörer als damals der Rap. Aber das stört ihn nicht:

"Ob ich die Leute wirklich erreicht habe, ist mir sehr die Frage. Und da glaube ich doch, dass meine Musik, selbst wenn sie wenige Menschen erreicht, diese vielleicht wesentlich tiefer jetzt erreicht als damals, weil diese Musik den Menschen anders herausfordert beim Zuhören, ist meine Erfahrung jedenfalls."