Vom Chaos familiären Lebens

08.10.2009
Als "großes Liebeseingeständnis an das nichtlineare Wesen der Zeit" konzipiert, wechselt der Roman "Die Frequenzen" permanent die Zeit- und Erzählebenen. So entsteht ein Knäuel von Geschichten, das rasch zu einem verworrenen Sammelsurium von mal originellen, mal öden Gedanken- und Handlungssplittern wird.
Clemens J. Setz legt nach seinem viel gelobten Erstling einen 700-Seiten-Roman vor, dessen Ambitionen sich in nahezu allen Details niederschlagen. Bereits das erste der – nicht wenigen – Motti des Romans verweist auf eines seiner – nicht wenigen – poetologischen Motive. Die Rube-Goldberg-Maschine, die Setz hier beschreibt, ist eine wunderbar sinnlose Apparatur, die auf möglichst komplizierte Weise Kettenreaktionen hervorruft, um schließlich zu einem recht schlichten Resultat zu kommen. Mit diesem frühen "Zugeständnis an die Selbstreferenzialität, wie sie in allen Romanen vorzukommen hat", ist die Struktur der "Frequenzen" beschrieben, in seinen positiven wie negativen Auswirkungen.

Zwei Erzählstränge sind es vor allem, die Clemens Setz miteinander verschränkt. Alexander Kerfuchs, der in Graz lebende Ich-Erzähler des Romans, und Walter Zmal heißen die einst eng befreundeten Protagonisten, die sich nach vielerlei Irrungen und Wirrungen wieder über den Weg laufen. Walter kehrt, um sich ein "Zeitpolster" zu verschaffen, zurück ins Elternhaus, wo sein Vater, ein berühmter Architekt, das Regiment führt. Alexander hingegen, dessen Vater, ein Gymnasiallehrer für Französisch und Physik, sich von der Familie abwendet und am Ende des Romans neu verehelicht, beendet seinen Dienst als Pfleger in einem Altenheim und ist dabei, sich von seiner Freundin Lydia zu trennen, um sich der Psychotherapeutin Valerie anzuschließen.

Dieser Rahmen beschreibt nur grob, was sich im Folgenden alles an Nebenfiguren und Nebenschauplätzen auftut. Als "großes Liebeseingeständnis an das nichtlineare Wesen der Zeit" konzipiert, wechselt der Roman permanent die Zeit- und Erzählebenen. Er erinnert prägende Kindheitsmomente – etwa als Alexander nebst Mutter mitten im Winter auf offener Landstraße vom verwirrten Vater zurückgelassen wird –, lässt vergangene Liebesbeziehungen Revue passieren, kreist immer wieder um das alles berührende Chaos familiären Lebens, baut vermeintlich Dokumentarisches ein und versucht, das nicht leicht zu durchschauende Gespinst durch ein Netz von wiederkehrenden Bildern zusammenzuhalten.

Um diese Konstruktion zu legitimieren, greift Setz häufig auf den philosophischen und literarischen Fundus zurück. Er verweist auf Rimbaud und Jean Paul, spielt auf Thomas Glavinic' "Die Arbeit der Nacht" an, adaptiert den Fragebogen, den Marcel Proust zweimal beantwortete, und zitiert Ezra Pound mit bedeutungsvollen Sätzen: "We do NOT know the past in chronological sequence".

So entsteht ein "Knäuel von Geschichten", das rasch zu einem verworrenen Sammelsurium von mal originellen, mal öden Gedanken- und Handlungssplittern wird. Hinzu kommt, dass Setz seitenweise staubtrockene Dialoge schreibt, Stilblüten aneinanderreiht, wo er komisch sein will, und Sexszenen kreiert, die mit absurd höflich beschrieben sind. Dass man zudem mit dem Gedankenreichtum einer verängstigten Hündin namens Uljana konfrontiert wird, trägt nicht zur Gemütsaufhellung des Lesers bei. Ein Rätsel, wie dieses verquere, nach Jonathan Franzen oder David Foster Wallace schielende Buch auf die Buchpreis-Shortlist gelangen konnte.

Rezensent: Rainer Moritz

Clemens J. Setz: Die Frequenzen. Roman. (Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg 2009. 715 Seiten, 24,90 Euro)
Mehr zum Thema