Vom Anfang der Christen

30.04.2008
Der emeritierte Professor für Neues Testament an der der Universität Heidelberg hat sich mit vielen Publikationen den Ruf erworben, laienverständlich zu schreiben. Dies ist ihm auch mit seinem neuen Buch gelungen. In "Die Urchristen" verlegt er den Ursprung der Kirche an die Anfänge der Jesus-Bewegung zurück.
Immer wenn "Stern", "Spiegel" oder "Focus" zu Weihnachten und Ostern Jesus von Nazareth aufs Titelbild heben, summt als klagender Grundton im Hintergrund: "Jesus wollte das Reich Gottes, gekommen aber sind die Kirchen." (Alfred Loisy)

Schon das Wort "Amtskirche" suggeriert Verrat am Gründer: Eine spirituelle, revolutionäre, charismatische Liebeskommune aus Freien und Gleichen sei im Laufe der Jahrhunderte zu einer hierarchischen Institution und dogmatischen Religionsbehörde, kurz : zur"frühkatholischen" Kirche degeneriert.

Klaus Bergers Buch "Die Urchristen" hält polemisch dagegen. Die liebenswerten Spontis der ersten Stunde seien nicht aus bitterer Notwendigkeit eine ungeliebte Institution geworden – durch Verfolgungen von außen und Sinnkrisen von innen z.B. – sondern absichtsvoll und ganz nach Wunsch ihres Gründers Jesus. Das Buch "Die Urchristen" verlegt den Ur-Sprung der Kirche an die ersten Anfänge der Jesus-Bewegung zurück. Und macht so aus der historischen Not eine spirituelle Tugend.

Klaus Berger schreibt: "Dieser Kelch ist der neue Bund …, sagt Jesus zu seinen Jüngern beim letzten Abendmahl vor seiner Hinrichtung. Man könnte auch übersetzen : Diese Runde ist der Bundesschluss. Damit ist Kirche an die Gemeinschaft der Eucharistie gebunden. Jesus beruft von Anfang an Jünger und er tut dies nichtplanlos oder willkürlich… sondern stiftet den Kreis der Zwölf und setzt damit ein Zeichen, das unmittelbar danach als Zeichen der Kirchengründung verstanden wurde…. Die Nachwahl des Jüngers Matthias an Stelle des Judas bestätigt, dass es sich um eine klar umrissene, allen Beteiligte bewusste Institution handelte."

Der emeritierte Professor für Neues Testament an der evangelischen theologischen Fakultät der Uni Heidelberg hat sich mit über 40 Sachbüchern und bis zu 160 Vorträgen pro Jahr den Ruf erworben, laienverständlich zu schreiben und provokant zu reden. "Die Urchristen", sein neuestes Werk, ist da keine Ausnahme. Jesus sei zu Lebzeiten nie als gottgesandter Messias verstanden worden? Doch, das wurde er, meint Klaus Berger. Alle Hoheitstitel und Attribute religiöser Autorität seien Jesus erst post mortem bzw. nach Ostern angehängt worden? Nein, die bekam er schon vorher. Erst der Apostel Paulus habe die Ethik einer jüdischen Splittergruppe globalisiert und so das Christentum "erfunden"? Nein, schon Jesus hatte nichts anderes im Sinn.

Die juristische Verfasstheit der Kirche und die Lehr-Autorität der Bischöfe sei nur entstanden, weil das zügig erwartete Weltende ausblieb? Nein, Institution und Hierarchie, Tradition und Zählebigkeit waren von Paulus und Petrus immer schon beabsichtigt.

Klaus Bergers Buch schwingt wie eine Abrissbirne. Ihre Wucht werden aber nur solche Leser würdigen, die das Gebäude kennen, gegen die sie donnert. Es heißt "liberale protestantische Theologie", es wurde 1899/1900 durch Adolf von Harnack, 1906 von Albert Schweitzer und 1921 von Rudolf Bultmann errichtet und sein Fundament lautet: Man muss unterscheiden zwischen dem, was eine endzeitlich gestimmte, radikale kleine Jesus-Truppe zu Lebzeiten ihres Meisters dachte und hoffte und dem, was sie als Massenbewegung nach seiner Auferstehung glaubte und tat. Man muss unterscheiden zwischen dem, was dem vor-österlichen Judentum-Reformer Jesus als "Reich Gottes" vorschwebte und dem, was der nach-österliche Christentum-Missionar Paulus unter "Gemeinde" verstand.

Diesen sogenannten "Ostergraben" leugnet Klaus Berger kategorisch. Er will ihn zuschütten und planieren mit exegetischen, sozial- und kulturgeschichtlichen Argumenten, die – rhetorisch brillant und bisweilen bauernschlau arrangiert – eine nahtlose Kontinuität beweisen sollen.

Von der Berufung der ersten Jesus-Jünger am See Genezareth bis zur Entstehung des Papsttums im 3. Jahrhundert. Auch heutzutage unpopuläre Positionen macht sich der Autor dabei offenbar gern zu eigen:

"Es gibt im Buch Genesis gleich zwei Schöpfungsberichte. Nach Genesis 1 erschafft Gott `den Menschen zu seinem Bild` und ihm ähnlich. Nach Genesis 2 wird erst Adam und dann Eva geschaffen. Paulus bezieht den ersten Menschen aus Genesis 1 auf Christus. Dann liest er weiter und findet in Genesis 2 die normalen, sterblichen Menschen. In erkennbarer Rangfolge und nach dem Prinzip der Repräsentanz. Gott wird durch Christus repräsentiert, Christus wird durch den Mann repräsentiert und der Mann durch die Frau. Trifft das zu, dann bedeutet es für den sakramental-liturgischen Bereich: Eine Frau kann Christus nicht direkt repräsentieren. Da der ordinierte Priester aber Repräsentant Christi ist, folgt daraus, dass er ein Mann sein muss!"

Sollten empörte Leserinnen einwenden, dies sei die verbreitete Argumentation des antiken Judentums gewesen – "die Urchristen", das waren schließlich strenggläubige Juden – dann nivelliert Klaus Berger sogar diesen Bruch. Den Bruch der frühen Christen mit der Synagoge. Das konfliktreiche Lebensthema des Paulus, des Petrus und vieler Gemeindegründer im ersten Jahrhundert.

Über "die Urchristen" erfährt der Leser dabei auf 368 Seiten weniger als über Klaus Berger : Seit ihm 2005 von EKD-Chef Wolfgang Huber und "ZEIT"-Redakteur Robert Leicht vorgeworfen wurde, sein Katholischsein gegenüber der dienstgebenden evangelischen Fakultät Heidelberg verschwiegen zu haben, gelangt der auf einem evangelischen Lehrstuhl berühmt gewordene Professor zu immer "katholischeren" Überzeugungen. Die lesen sich zwar einleuchtend, hinterlassen aber den schalen Nachgeschmack einer persönlichen Abrechnung.


Rezensiert von Andreas Malessa

Klaus Berger: Die Urchristen.
Pattloch Verlag München 2008
368 Seiten, 19,95 €