Vom Abenteuer des Malens

Von Volkhard App |
Der Maler Daniel Richter erweitert die orientalischen Märchen aus Tausendundeiner Nacht um eine Null, eine Art "Ground Zero" seit dem 11. September. Und so werden die Männer im Turban auf seinen Gemälden plötzlich zu Taliban.
""Ich versuche, das kurz zu machen. Der erste Prozess ist ganz einfach der gewesen, dass ich Farbe draufgegossen habe und irgendwelche Krikelkrakel-Linien gemacht habe. Und wie wir das als Kinder kennen: eine Horizontlinie ist dann die Perspektive oder das Meer oder dahinter geht die Sonne auf. Und wenn man sieben oder acht solcher Krikelkrakel-Linien macht, dann hat man Berge.”"

Der Künstler vor seinen Werken - Daniel Richter versucht, seine Unlust an dem Ritual der Pressekonferenz zu überspielen. Dabei gibt es doch viel zu fragen - vor allem zu seinen Bildmotiven.

Zwei Männer stehen da in nächtlichem Gebirge nahe am Abhang: der eine gibt dem anderen offenbar Feuer. Der eine trägt Turban, der andere einen Cowboyhut. Höchst unterschiedliche Kulturen treffen hier aufeinander.
Figuren mit Turban hat Daniel Richter immer wieder gemalt, meist sind sie als einsame Kämpfer mit Gewehr in den Bergen unterwegs - kein Wort fällt bei der Beschreibung dieser Figuren so oft wie "Taliban”. Denn die Bilder aus den Medien sind in unseren Köpfen präsent.

Richter: ""Eigentlich ist es falsch, weil ‘Taliban' eine explizite, politisch genau umrissene Figur ist. Es finden hier Projektionen statt: Wenn jemand Taliban sehen will, kann er die auch sehen. Aber sie sind in meiner Malerei nicht nachweisbar. Nachweisbar sind Männer mit Turbanen, Bärten, Kaftanen, weiten Gewändern. Aber mit der gleichen Berechtigung könnte man sagen, das ist eine Karl May-Figur oder eine aus der Scheherazade.”"

Noch andere geheimnisvolle Gestalten hat Daniel Richter in grellen Farben auf die Leinwand gebracht: Musiker mit Gitarren, heruntergekommene Helden und rot schillernde Nomaden, die in einem langen Zug vom Horizont her auf den Betrachter zuschreiten. Gern wüsste man, was das für ein Figurenkosmos ist - wie das alles zusammen passt. Und der Ausstellungstitel der Kestnergesellschaft fällt besonders ins Auge: "10001nacht”.

Kuratorin Susanne Figner: ""Sehr viele Leihgeber haben sich gemeldet und uns darauf aufmerksam gemacht, dass wir uns bei den Nullen vertan hätten. Daniel Richter möchte mit diesem Titel das Gewohnte unterlaufen und setzt eine zusätzliche Null - eine Art ‘Ground Zero' seit dem 11. September.”"

Immer wieder geben kleine Szenen auf den Gemälden Rätsel auf: Ein giftig grüner Bösewicht will einen Maler erschlagen, dem die Palette schon aus der Hand gefallen ist. Einsame Figuren stürzen in den Abgrund, oder hängen hilflos am Rand, wie in einem Abenteuerfilm.

Die meisten seiner großformatigen Ölbilder leuchten mit ihren Flächen und den vielen Linien in den Raum hinein, ziehen sofort die Blicke an - und verweigern dann doch jene Klarheit, nach der man zwangsläufig sucht.

Dabei setzt Daniel Richter seinen Weg fort und malt Bilder, die eben nicht nur fantastischen Charakter haben, sondern zeit- und welthaltig sind, Gewalt zumindest andeuten - und sich dann doch nicht so einfach erklären lassen. Bilder also ohne Botschaft?

Richter: ""Botschaften haben ja meist Slogans. Meine Malerei kommt manchmal sloganhaft und propagandistisch daher - aber ich habe wirklich keine Wahrheiten anzubieten außer der Skepsis gegenüber Bildern und der Faszination für Bilder. Und das teile ich mit sehr vielen Leuten.”"

Vor allem erzählt die Schau vom Abenteuer des Malens: Wie Daniel Richter die Leinwand hin- und herdreht, so dass die Farbe verläuft, wie er Pinselspuren verwischt, Teile einer frühen Schicht mit Klebestreifen zudeckt und später wieder freilegt, wie er kleckst und kratzt. Mit parallel geschwungenen Linien modelliert er Gestein, als wollte er in wissenschaftlicher Manier Ablagerungen markieren.

Wenn die Inspirationsquellen des Malers zu diesen Gebirgsszenarien mit ihrem expressiven Linienreichtum genannt werden, gerät die Aufzählung schier endlos, reicht von der romantischen Landschaftsmalerei über Ferdinand Hodler und Edvard Munch bis zur Zigarettenreklame mit dem berühmten Cowboy, erstreckt sich von Nachrichtenbildern bis zur kunterbunten Welt von Computerspielen.

Die abgetakelten Helden erinnern manchen Betrachter an frühe Werke von Baselitz - und bei den geisterhaften Gestalten auf den Zeichnungen werden im Katalog prompt die Piraten aus der Kinoserie "Fluch der Karibik” als Assoziation genannt. Gibt es bei dieser Vielfalt der Einflüsse denn überhaupt eine Hierarchie?

""Nein, da gibt es keine Hierarchie - und ich würde auch nicht von Inspiration sprechen. Es ist ein offener Denkprozess, in dem ich versuche, möglichst sorgfältig - mäandernd - mir Themen zu erschließen. Wichtig für mich ist, dass sie nicht nur analytisch sind, sondern mit mir etwas zu tun haben, in mir Ängste oder Sehnsüchte wachrufen.”"

Die Ölbilder fallen durch die Herrschaft der Linien auf, gelegentlich in Korrespondenz mit neonbunten Flächen, wie sie graffitiähnlich das Frühwerk des Künstlers prägen. So wie die Gemälde zeichnerische Elemente haben, wirken die in einem separaten Raum versammelten Zeichnungen recht malerisch.

Die traditionsreiche Kestnergesellschaft, die in den vergangenen Jahren qualitativ durchwachsene Ausstellungen aufzuweisen hatte, kann hier mit vitaler Malerei aufwarten. Nicht alle Bilder sind gleich gut - die Schau aber macht deutlich, wie Daniel Richter seine Arbeit mit neuen Motiven fortgesetzt hat.

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Webseite des Künstlers Daniel Richter
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