Voller Zauber und erstaunlich modern

Von Christian Gampert |
Nächtliche Seen, wie sie im Mond schimmern, an diesem Motiv hat sich der französische Künstler Camille Corot (1796 – 1875) jahrzehntelang abgearbeitet. Licht, Nebel, Feuchtigkeit gestaltete er nach fast schon abstrakten Kriterien. Die Kunsthalle Karlsruhe gibt einen Überblick über Corots Schaffen.
Das Zentrum dieser Ausstellung sind Corots nächtliche Seenlandschaften unter mildem Mondschein, atmosphärisch meisterhafte Studien des Lichts und eines diffusen Verlangens, in die Landschaft verlegte romantische Introspektion. Insgesamt vierzig Jahre hat der Maler sich in immer neuen Varianten an diesem Motiv abgearbeitet, von 1834, auf der Rückfahrt von Italien und zunächst als Freilichtstudie, bis 1874, kurz vor seinem Tod.

Immer ist es der Blick von Riva auf den Gardasee nach Süden: der bis auf ein kleines Wasserstück verengte See erscheint im Gegenlicht, zuerst in der Sonne, in den späten Bildern unter dem Mond. Rechts der dunkle Wald ist wie ein Vorhang in das Bild gezogen, und auf dem Wasser tanzen neben einem Nachen die Mondreflexe.

Das unter all den Varianten wesentliche Bild, "Der See. Nachtstimmung", ist 1870 entstanden, zeitgleich also mit dem Beginn des deutsch-französischen Kriegs. Natürlich malt Corot das aus der Erinnerung, im Atelier. Aber nichts zeigt das Bedürfnis dieses Einzelgängers nach Abstand, Kontemplation, nach lichtdurchströmter Ferne besser als diese Traumlandschaft mitten in politisch unruhiger Zeit. Und natürlich ist das kein völlig reales Abbild, sondern konstruiert und komponiert. Wie übrigens auch schon die frühen Corot-Landschaften und seine Architekturstudien, erläutert die große alte Dame der deutschen Kunstwissenschaft, die Kuratorin Margret Stuffmann.

"Es ist eine Sinnlichkeit, die sich entfaltet an dem Sehen selbst und an dem Gesehenhaben und an der Systematik des Verhältnisses der Dinge zueinander. Das mag sich abstrakt anhören, aber das ist gleichzeitig, und das würde ich gerne sagen, ein Beweis für die ganz große Sicherheit für Corot in der Vorstellung von Gleichgewichten, von Proportionen und des Verhältnisses der Formen zueinander."

Der Weg zu Corots Meisterwerken wird von der Karlsruher Ausstellung nun minutiös nachgezeichnet. Und es ist nicht unwichtig zu wissen, dass – zu Beginn von Corots Karriere, also um 1820 – die Landschaftsmalerei in der Akademie nichts galt, dass sie, zusammen mit dem Stilleben, ein minderwertiges Fach war.

Der von den reichen Eltern am Kunststudium gehinderte Corot wird dennoch Landschaftsmaler, autodidaktisch und mit eigenem Ansatz. Zwar sind die historisch-klassischen Landschaften von Poussin ihm durchaus geläufig, aber er will in der Natur sein, malt im Freien und gestaltet die Bilder nach – im Grunde - abstrakten Prinzipien.

"Diese Handhabung des Strichs ist bei Corot von Anfang an ein absolut wichtiges Ingredienz seiner Malstruktur, die nämlich auf der einen Seite sehr wohl beschreibt und auf der anderen Seite sich die Freiheit nimmt, die Fläche des Bildes schlichtweg mit Partien von Farbe zu belegen und damit Zonen zu schaffen, die nicht gegenständlich definiert sind."

Sein erster Italienaufenthalt zeigt: Corot interessiert sich nicht für Petersdom und Barockkirchen, sondern für das Unspektakuläre, für kleine Winkel, die Rückseiten von Kirchen. Die Farben sind zurückhaltend, grau, braun, auch in seiner Spätphase wird er ja dann so silbrig-grau. Und schon die frühen Italienbilder wirken völlig konstruiert, Bergkegel, Seen, Hausfassaden sind teilweise fast präkubistisch durchorganisiert.

Der Monte Soracte, die Felsen von Civita Castellana: Landschaft als Komposition. Auch die Zeichnungen sind erstaunlich modern im Strich, windgepeitschte Bäume, durchorganisierte Landschaftsmuster. Die Porträtstudien dagegen zeigen meist melancholische Menschen, und erst spät setzt der erotisch offenbar enthaltsame Corot eine anzüglich hingeräkelte italienische "Marietta" ins Bild.

In Frankreich hat er dann ab etwa 1840 mit seinen Großformaten Erfolg, er stellt im Salon aus. Seine arkadischen Landschaften wirken nun wie befreit, mit biblischen oder mythologischen Themen rückt er in den Kreis der etablierten Maler auf, und das alles atmet den Einfluss der pastoralen Bilder des Claude Lorrain, sagt Margret Stuffmann.

"Da ist der Zauber von Lorrains Bildern. Und ich glaube, dass das entscheidend für Corot war. Das ist, dass überall, in allem, was er malt, Licht, Luft und Raum drin ist. Die Dinge sind erfüllt von einem Ton. Und diese Idee des Tons, der alles durchdringt, ist glaube ich das, was Claude Lorrain und Corot verbindet."

In diesem letzten Ausstellungs-Teil wird nun voll aufgefahren: lauter idyllische Großformate, die Corots Nähe zu Literatur und Musik demonstrieren, zu Ballett und Oper, zu Bibel und Mythos. Man muss das nicht lieben, es hat oft auch einen Zug in die, sagen wir mal: Gefühligkeit - aber da will er ja hin, mit den Literaten Gérard de Nerval und Alfred de Musset. Der Auszug aus Ägypten, der blinde Homer, Orpheus, Diana mit Gefolge, Flötenspieler, der Abendstern: die Landschaft wird zur perfekt organisierten Bühne, auf der merkwürdig inszenierte Gestalten wie auf einer Theaterprobe agieren.

Man muss das nicht lieben. Allein: Die malerische Organisation des Ganzen ist großartig, und in diesen phantastischen Wald- und Seenlandschaften spürt man Nebel, Licht, Feuchtigkeit, Kühle, alles in fahlen Farbvaleurs. Dass Corot auch in der Nachwelt Liebhaber hatte, zeigt der letzte Raum: Pissarro, Cézanne, Monet – sie alle beriefen sich auf ihn, und sie sind hier zu einem kleinen Salut versammelt.