Voller Bücher und Käfer

Von Christian Gampert |
Das herrschaftliche Haus im schwäbischen Wilflingen bewohnte Ernst Jünger fast 50 Jahre. Nach einer Renovierung gibt es als Museum präzise Auskünfte über seine Welt.
Er war ein sonderbarer Mann. Asket, Ordnungsfanatiker, Käfersammler - und auch als Schriftsteller ein ewiger Soldat. Jeden Morgen kalte Bäder und Seilspringen, genau geregelter Tagesablauf. Jeder Raum seines Hauses hatte eine fast sakral anmutende Funktion. Er mythisierte sich selbst. Und trotzdem war Ernst Jünger auch zu Leichtigkeit und Heiterkeit fähig, er experimentierte mit Drogen, er konnte auch über sich selber lachen.

Das herrschaftliche Haus, das Ernst Jünger fast 50 Jahre lang im schwäbischen Wilflingen bewohnt hat und das, nach einer Renovierungsphase, jetzt zum Museum wird, gibt präzise Auskünfte über seine Welt. 9000 Bücher, 1000 Objekte, 30.000 Käfer, ausgefallene Reisemitbringsel wie Kugelfische und Reptilien – all das musste für die Renovierung ab- und nun wieder aufgebaut werden – eine Re-Inszenierung von Lebenswirklichkeit, sagt Kurator Thomas Schmidt:

"Wenn jemand jetzt reinkommt, der das Haus kannte, und sagt: Es hat sich ja eigentlich gar nichts verändert – dann ist das das größte Kompliment. Wie bei allen Dingen, die gelungen sind, denen man aber die Arbeit nicht ansieht, die das reingesteckt wurde."

Es hat sich nichts verändert: seltsame 50er-Jahre-Blümchen-Gardinen, Biedermeiermöbel, zwei Wände Archivkästen, auf der Schlafzimmertür zahlreiche Aufkleber: Ich bin Energiesparer, bitte nicht stören. Die merkwürdige Ambivalenz dieser Inneneinrichtung relativiert unser Bild eines Schriftstellers, der in den "Stahlgewittern" mit teilnahmsloser Kälte die Gräuel des Ersten Weltkriegs protokollierte und dann der nationalkonservativen Propaganda diente, sich aber den Nazis verweigerte.

Die Familie der Schenken von Stauffenberg, Verwandte des Hitler-Attentäters, stellten ihm 1951 ein schönes barockes Nebengebäude ihres Schlosses zur Verfügung, das Forsthaus; dort blieb er bis zu seinem Tod 1998, ging in den Wald und beschäftigte junge Bewunderer als Sekretäre.

Der heutige Oberstudiendirektor des nahegelegenen Kreisgymnasiums Riedlingen, Georg Knapp, war Jüngers letzter Sekretär. Er ist auch Vorsitzender des "Freundeskreises Ernst Jünger", der zusammen mit einer Stiftung das Haus betreibt. Und er ist immer noch ergriffen, wenn er von Jünger spricht:

"Im Studio hat er die Post zur Kenntnis genommen, erste Lektüre. Dann schreiten wir im Tagesgang voran, erste Überlegungen zur Beantwortung der Korrespondenz im Studio, dann kam die Mittagszeit: häufig ein Spaziergang, und wenn ich jetzt so einen Freitag herausgreife, da war ich dann da in der zweiten Tageshälfte, da erschien dann Jünger um 15 Uhr pünktlich an der sogenannten Schreibstelle, das ist dieses Kabinett hier mit den Archivalien, und wir gingen dann die Post durch. Das war in der Woche so 10- 15 Zentimeter hoch gestapeltes Briefpapier ... Ernst Jünger hat mir Zeichen gegeben auf dem Papier, wie das zu beantworten sei ... Insofern war das ein militärisch anmutendes, exaktes Tun."

Das Haus, das man nach Jüngers Tod nur in Begleitung einer blondbezopften strengen Kustodin besichtigen durfte, war modrig, dunkel und feucht; nun ist es hell und frisch geweißelt. Das Publikum kann sich auf eigene Faust bewegen, eingeladen von Jünger-Zitaten, die zu den einzelnen Räumen hinleiten. Natur und Vergänglichkeit sind die Lebens-Themen: auf der Treppe zum Garten befindet sich eine ganze Regalwand Bücher über Schiffs-Untergänge, im Flur massenweise Fachliteratur zur Käfer-Forschung, neben dem Schreibtisch die Schriften der Kirchenväter ... Auf einem Regal im Arbeitszimmer liegt Jüngers durchschossener Helm aus dem Ersten Weltkrieg, daneben der Helm eines von ihm getöteten Feindes – als wollte er mit ihm im Tod endlich Frieden schließen. Oder ist es doch eher ein Skalp, eine Trophäe?

Dass hier jemand dem Tod die Stirn bot, überlebte – und dann ein ganzes Jahrhundert durchmaß, das faszinierte ja vor allem Politiker – trotz oder gerade wegen Jüngers stilistischer Maniriertheiten. Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel hielt heute die Festrede – und lobte den Einzelgänger, den, so sagte er, "Erzähler des Ersten Weltkriegs" und den am Ende seines Lebens gläubigen Christen, der, was kaum jemand wusste, kurz vor Toresschluss zum Katholizismus konvertierte.

Natürlich ist Jünger eine politische Figur. Und trotzdem bewegen wir uns hier in Privaträumen, in die man nur mit äußerster Vorsicht eindringen darf. Thomas Schmidt, der die "Arbeitsstelle literarische Museen" in Marbach leitet, weiß natürlich um diese Problematik. Soll man zum Beispiel Jüngers Badezimmer zugänglich machen? Thomas Schmidt sagt Ja – und begründet das damit:

"... dass Jünger, und das ist ja legendär, und darüber hat er mehrfach geschrieben, und das hat er bis zu seinem 100.Geburtstag betrieben, täglich sein morgendliches Kaltbad genommen hat – was ja weit mehr ist als eine biografische Episode. Weil es ist ein habituelles Element. Es steht für eine Lebenshaltung. Sie mögen das das Soldatische nennen ... für eine Selbstdisziplin, die so weit ging, dass man sie selbst wiederum als Grenzphänomen beschreiben kann. Und da war die Überlegung: wenn wir diesen Räume ihren Intim-Charakter nehmen, das heißt die bis zuletzt, die bis vor einem halben Jahr dort befindlichen Sachen, seine Medikamente, seine Handtücher, wenn wir die dort entfernen und den Räumen ihre Intimität nehmen und sie von Jünger selbst kommentieren lassen, dann ist es ein Element, was zur authentischen Atmosphäre des Hauses unbedingt dazugehört."

Jüngers Rasierklingen und Rasierwasser stehen also museal in einer Vitrine. Seine Bücher dagegen sind aufgestellt, als könnten sie sofort benutzt werden. Aber es ist eine Bibliothek des 19., eigentlich sogar des 18.Jahrhunderts. Die Gegenwartsliteratur hat Ernst Jünger, der beim Einzug in das Wilflinger Haus erst 56 Jahre alt war, überhaupt nicht wahrgenommen: er war besessen von seinem Tagebuch und seinen Käfern und Steinen.

Bitte nicht eintreten, ich bin Energiesparer: Jüngers Selbstironie macht ihn sympathischer, als seine Kritiker immer dachten. Durch seinen pathologischen Sammeltrieb wird dieses Dichterhaus allerdings auch zu einem Zwangs-Gehäuse. Der Frontkämpfer, der Antibürger im Herrenhaus hinter Blümchengardinen: das ist ein hübscher Widerspruch, den ich ihm gar nicht zugetraut hätte.