Volle Boote aus Afrika

Von Marc Engelhardt, Vorsitzender der Weltreporter · 12.10.2013
Die schrecklichen Bilder von Lampedusa haben Deutschland aufgerüttelt. Innenminister Friedrich fordert Gespräche mit afrikanischen Regierungen. Diese müssten auch mit Oppositionellen und dem Ziel, Afrika eine bessere Zukunft zu ermöglichen, geführt werden, meint Marc Engelhardt.
Die Wasserleichen sind noch nicht beerdigt, da spricht der Bundesinnenminister wieder vom vollen Boot Europa. Völlig unbegreiflich findet Hans-Peter Friedrich, dass von Deutschland größere Solidarität verlangt wird. Statt Flüchtlinge aufzunehmen, fordert er Gespräche mit afrikanischen Regierungen - mit dem Ziel, die Entwicklung in den Herkunftsländern so zu verbessern, dass die Menschenkeinen Grund hätten, ihre Heimat zu verlassen. Das ist nicht nur zynisch, sondern auch weltfremd.

Die jämmerlich vor Lampedusa Ertrunkenen flohen aus zwei Ländern.

Erstens: Eritrea, ein abgeschotteter Staat stalinistischer Prägung.
Der paranoide Diktator Isaias Afewerki lässt Fünfzehnjährige in die Armee einziehen, wo die Mädchen und Jungen mangels aktuellem Feind zur Zwangsarbeit auf Bauernhöfen und Baustellen verpflichtet werden. Innerhalb der Armee herrscht ein mittelalterliches Feudalsystem: die Teenie-Vasallen errichten ihre Fronarbeit und hoffen, dass sie dafür von den Vorgesetzten irgendwann belohnt werden. Ein perfides System, in dem nur gewinnt, wer sich besonders gut arrangiert. Wer Afewerki kritisiert, wird eingesperrt.

Wie genau, Herr Friedrich, soll eine Entwicklung aussehen, die Menschen den Grund nimmt, ein solches Land zu verlassen?

Flüchtlingsland Nummer Zwei: Somalia.
Somalia hat mehr als zwei Jahrzehnte Bürgerkrieg hinter sich, eine ganze Generation wurde ausgelöscht. In der Hauptstadt Mogadischu gibt es inzwischen wieder eine Regierung. Doch im Rest des Landes machen Islamisten und skrupellose Warlords, Geschäftsleute mit Privatarmeen, das Leben der einfachen Menschen zur Hölle.

Bombenanschläge mit zivilen Opfern gehören in Somalia zum Alltag wie die Armut, um die der kaum existente Staat sich nicht kümmert. Eine UNO-Kommission stellte kürzlich fest, dass die Regierung achtzig Prozent des Staatsetats in ihren eigenen Taschen verschwinden lässt. Solchen Dieben in teuren Anzügen sind die Lebensumstände der Bevölkerung schlicht egal.

Es ist so simpel zu sagen: ginge es den Menschen in Afrika besser, sie müssten nicht fliehen. Doch die Wirklichkeit ist nicht simpel.

Und nehmen wir Hans-Peter Friedrich einmal beim Wort.
Erstens: Geld.
Im Friedrichschen Sinn die Lebensumstände der Bevölkerung verbessern soll die staatliche Entwicklungshilfe. Doch die hat die schwarz-gelbe Bundesregierung in Afrika im vergangenen Jahr um ein Sechstel gekürzt. 0,7 Prozent des Bundeshaushalts, so hat die Regierung versprochen, sollen für Entwicklungshilfe ausgegeben werden. 2012 war es halb so viel, Tendenz fallend. Zwar schafft Geld allein noch keine besseren Lebensumstände - doch ohne Geld sind diese erst recht nicht zu erwarten.

Zweitens: Inhalte.
Einen zwischenstaatlichen politischen Dialog mit der Kraft zur Veränderung in Afrika gibt es nicht. Die Bundesregierung und ihre Verbündeten verharren weitgehend untätig, wenn Afrikas Potentaten gegen den Internationalen Strafgerichtshof wettern, ihre Bevölkerung unterdrücken oder wieder einmal Wahlen fälschen. Schließlich hat Afrika viele Ressourcen, und China steht bereit, dem Westen jeden Claim abzujagen, den er aufgibt.

Hilfe aus dem Ausland
Richtig ist, dass Veränderung nur von innen heraus geschehen kann. Die Eritreer werden sich nur selber aus dem Joch des Diktators Afewerki befreien können. Nur die Somalis selbst können Islamisten und korrupte Warlords in die Wüste jagen. Doch die Grundlagen dafür müssen mit Hilfe aus dem Ausland geschaffen werden: Bildung, Gesundheit, vernünftige Ernährung.

Die traurige Wahrheit ist: Deutschland und Europa haben sich mit den Verhältnissen in Afrika arrangiert. Überschüsse aus den EU-Agrarfabriken werden auf Afrikas Märkten verramscht, was die Existenzgrundlage einer potentiellen Mittelschicht zerstört. Wo Öl, Gas, Uran, Fisch, Land oder andere Rohstoffe zu finden sind, dürfen auch die Europäer ran. Im Gegenzug lässt auch Deutschland die regierenden Kleptokraten weitgehend in Frieden.

Dass die schrecklichen Bilder von Lampedusa Deutschland aufgerüttelt haben, hat ein Gutes. In einem nämlich hat Innenminister Friedrich recht: Es braucht Gespräche, nicht nur mit Regierenden, sondern auch mit Oppositionellen - auf Augenhöhe und mit dem Ziel, Afrika eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Bis die aber in Sicht ist, ist es das mindeste, die Opfer auch der deutschen Untätigkeitspolitik aufzunehmen.

Die Boote an Afrikas Stränden werden aus gutem Grund immer voller.
Mehr zum Thema