Volkstribun und Manipulator

Gesehen von Jürgen Liebing · 15.04.2012
Kaspar Holten, Intendant der Londoner Covent Garden Oper, stellt in seiner Inszenierung den Lohengrin nicht als edlen Helden, sondern als machtbewussten Ritter dar, der das Volk auf seine Seite zieht.
Das Wagnerjubeljahr wirft seine Schatten voraus, überall wagnert es. Die Opernhäuser bereiten sich vor auf einen musikalischen Marathon im Jahr 2013. Am Sonntag war die Deutsche Oper Berlin an der Reihe.

Sphärisch, ja silbrig sind die erste Klänge des "Lohengrin"-Vorspiels, den geheimnisvollen Gral musikalisch vorstellend. Doch auf der Bühne ist ein von Leichen übersätes Schlachtfeld zu sehen, auf dem Frauen nach ihren gefallenen Männern suchen. Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Die Friedensfrist ist um. Der nächste Krieg steht vor der Tür. Ein starkes Bild für den Anfang. Der Erwartungshorizont der Inszenierung von Kaspar Holten ist abgesteckt.

Brabant ist führerlos, verstrickt in Intrigen. Elsa von Brabant wird von Telramund des Brudermords bezichtigt. Nur ein Gottesgericht kann der Bedrängten helfen und ein Retter in der Not: Lohengrin, dessen Name ein Geheimnis des Grals bleiben muss und niemals genannt werden darf.

Große weiße Flügel setzt sich Klaus Florian Vogt als Lohengrin auf, der Schwanenritter macht sich zum Retter Elsas und zum Beschützer von Brabant. Er ist in der Inszenierung des Dänen Holten, Chef der Londoner Covent Garden Oper, ein Volkstribun und zugleich ein Manipulator, der das Volk auf seine Seite zu ziehen weiß – nicht der reine Held, sondern ein machtbewusster Ritter, der seine Insignien geschickt einzusetzen vermag.

Klaus Florian Vogt, der Lohengrin schlechthin von Bayreuth bis Tokio, hat diese Rolle verinnerlicht und vermag gleichwohl sich in jedes Regiekonzept einzufügen. Sein sternenklarer Tenor überbrückt Klangmassen aus dem Orchestergraben mühelos und verführt Mitspieler wie Publikum.

Seine Gegenspielerin ist Ortrud, Telramunds Gattin, eine listige Hexe, gleichfalls verführerisch und ebenso machtbewusst. Petra Lang, in dieser Rolle auch in Bayreuth zu hören, besitzt alle stimmlichen und darstellerischen Möglichkeiten, um die Verlockungen dieser Frau zu verkörpern.

Inszenierungen dieser "romantischen Oper", wie Wagner sie nennt, spielen oft mit dem Romantischen, manchmal ironisch, oder machen daraus ein Psychodrama: Lohengrin ein Wahnbild der somnambulen Elsa. Hier ist es ein Macht- und auch ein Wahlkampf (wie aktuell in Frankreich oder den USA).

Das Volk (die Männer in Uniformen der napoleonischen Befreiungskriege gekleidet, alle schon mit dem Rot der tödlichen Wunde auf dem Waffenrock gezeichnet, die Frauen in tristen Einheitskleidern und Kopftüchern) schwankt immer wieder zwischen Lohengrin und Telramund. Wer verspricht mehr? Wer macht die verlockenderen Angebote? Es schwankt wie das sprichwörtliche Rohr im Wind hin und her.

So überraschend wie der Anfang ist auch das Ende. Wie einen Erlöser feiert das Volk den Helden, der doch gerade verkündet hat, dass er sie verlassen muss, weil der Zauber gebrochen ist. Aber er bleibt bis zum Schluss, bis der Vorhang fällt, denn das Volk versperrt ihm den Fluchtweg.

Insgesamt jedoch vermag Holtens Regieansatz nicht gänzlich zu überzeugen, man merkt die Absicht und ist verstimmt.

Aber Donald Runnicles und sein Orchester, und erst recht der grandiose Chor, entwickeln sich immer mehr zu Bannerträgern eines romantischen Wagnerklangs und damit zu Konkurrenten Daniel Barenboims und seiner Berliner Staatskapelle.

Beide Opernhäuser setzen auf Wagner, dessen 200. Geburtstag im kommenden Jahr gefeiert wird. Die Staatsoper vollendet ihren "Ring", die Deutsche Oper frischt den alten "Ring" von Götz Friedrich aus dem Jahr 1983 auf. Die Staatsoper bringt in der kommenden Spielzeit einen neuen "Holländer", die Deutsche Oper einen "Parsifal" mit Klaus Florian Vogt in der Titelpartie heraus, beides übrigens Inszenierungen von Philipp Stölzl. Mehr Wagner geht beinahe nicht. Für Wagnerianer ein Fest, für die andere möglicherweise ein Graus.

Richard Wagner: Lohengrin
Aufführung an der Deutschen Oper Berlin
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Inszenierung: Kasper Holten