Volkstheater auf der Waldlichtung

Von Bernhard Doppler · 30.07.2009
Bei den 28. Tiroler Volksschauspielen in Telfs stehen prominente Exiltiroler wie Guntram Brattia und Markus Völlenklee mit einheimischen Laiendarstellern auf der Bühne. Als Hauptproduktion wird Ferdinand Raimunds Zaubermärchen "Der Alpenkönig und der Menschenfeind" aufgeführt.
Theaterfestspiele im Sommer sind in der Regel Fremdenverkehrsattraktionen, doch bei den Tiroler Volksschauspielen in Telfs sind die Rollen vertauscht. Die Zuschauer in dem wenig touristischen Tiroler Arbeiterstädtchen Telfs sind nämlich selten Touristen, sondern fast ausschließlich Einheimische; die Künstler allerdings, zwar auch Tiroler, aber meist in Deutschland, im "Ausland" aktiv, sind zum Heimaturlaub für die Volksschauspiele angereist.

Seit 28 Jahren wird in Telfs beharrlich gefragt, was heute noch "Volkstheater" sein und wie "Volkstheater" – jenseits von Komödiantenstadl und Passionsspielen - funktionieren könnte. Muster für die in Telfs ausgewählten Stücke sind die sozialkritischen, auch ein wenig politischen Volksstücke, wie sie vor allem in den 70er-Jahren beliebt waren oder wieder entdeckt wurden, die Dramen des Tiroler Arztes Karl Schönherr etwa. Auch Felix Mitteres Problemstücke wurden in der Regel in Telfs uraufgeführt.

Charakteristisch für den Telfser Theatersommer ist dabei auch eine Mischung von Prominenz, einheimischem Theater und Amateurtheater, die den ganzen Ort mit Theaterlust ansteckt. Immer wieder neue Spielorte von der aufgelassenen Fabrik bis zum Bauernhof, ja bis zu Spielen auf über 2000 Meter hohen Hausberg Hohe Munde sind für die Aufführungen gefunden wurden.

2009 wird in Tiroler Wirthäusern eine "Trilogie der Gewalt" vorgeführt: mit Monolog-Stücken von Felix Mitterer und Barbara Herold über einen Anarchisten im Gefolge von Andreas Hofer, über den Briefbombenattentäter Franz Fuchs und über Lynndie England, deren Fotos aus Abu Ghraib die Weltöffentlichkeit schockierten. Doch für die Hauptproduktion hat man eine romantische Waldlichtung über dem Telfser Tennisplatz als Bühne eingerichtet. Ferdinand Raimunds berühmtestes Original-Zaubermärchen "Der Alpenkönig und der Menschenfeind" aus dem Wiener Biedermeier kann gut für die Tradition des Volkstheaters stehen, spaßig und doch voll abgründiger Tiefe: Die Läuterung eines Paranoikers, des Buchhändlers Rappelkopf, der sich von Familie und Personal missverstanden, verfolgt und ausgenützt sieht, kurz vor seinem Selbstmord. Rappelkopf flieht vor den Menschen in den Wald, doch die Natur, verkörpert durch den Alpenkönig, der sich zu Rappelkopfs Doppelgänger verwandelt, hält ihm den Spiegel vor. Der Menschenfeind erkennt sich selbst.

Besonders bei der großen Dienerschaft Rappelkopfs gibt es viele komödiantische Rollen, die auch an das moderne Dienstleistungsgewerbe im Fremdenverkehr denken lassen. Voll trauriger Würde vor allem der Diener Habakuk (Lorenz Gutmann) Die Texte Raimunds werden dabei ein wenig "eintirolert", Alphorn und Akkordeon bestreiten die Musik, Kinder spielen die Alpengeister. Betuliche Pflege eines in österreichischen Schulen gerne gelesenen Klassikers ist die Inszenierung von Thomas Blubacher nicht. Vor allem aber die beiden prominenten Exiltiroler auf Heimaturlaub, Guntram Brattia und Markus Völlenklee, als Alpenkönig und Menschenfeind bedienen nicht behäbigen österreichischen Komikerklischees, sondern sind zwei moderne, noch jugendliche Figuren. Paranoia ist ja durchaus aktuell, zumal wenn der Held in Raimunds Biedermeierzauberstück durch eine falsche Bank-Beratung seines Schwagers plötzlich sein ganzes Vermögen, seine gesamten Geldanlagen in Handelsschiffen verloren sieht.