Volker Quante von "Mr Dead & Mrs Free"

"Die Leute kaufen mit Scheuklappen"

Alte Vinyl-Schallplatten in einem Plattenladen
Die Zeiten sind nicht die schlechtesten für die Schallplatten. © Fabien Barral / unsplash.com
Volker Quante im Gespräch mit Oliver Schwesig · 12.12.2017
Der Berliner Vinyl "Laden Mr. Dead & Mrs. Free" wird nach 35 Jahren schließen. Es sei eine bewusste Entscheidung gewesen. Gründer Volker Quante hat mit uns darüber gesprochen, wieso ihm Platten verkaufen keinen Spaß mehr macht.
Oliver Schwesig: Vinyl boomt. Das lesen wir immer wieder. Nachdem es in den Neunzigern und Zweitausendern ganz schlimm aussah um die Schallplatte, sind jetzt seit Jahren wieder Zuwächse zu verzeichnen. Das freut vor allem die alteingesessenen Plattenläden. Es gibt sogar einige Neueröffnungen. Nun lesen wir aber, dass eine Berliner Plattenladeninstitution schließen will: Mr. Dead & Mrs Free, ein echter Kultschuppen, spezialisiert zum Beispiel auf Amerikaner und Country und Folk, am Berliner Nollendorfplatz, macht nach 35 Jahren dicht. Und das mitten in Zeiten des Vinyl-Booms. Warum? Das soll uns jetzt Volker Quante berichten vom Laden Mr. Dead & Mrs Free. Hallo, Volker!
Volker Quante: Hallo, Oliver!
Schwesig: Die Zeiten sind ja nicht die schlechtesten für die Schallplatten, also es liegt nicht unbedingt am Umsatz, weshalb ihr schließen müsst. Warum gebt ihr auf?
Quante: Aufgeben würde ich das nicht nennen. Es ist schon eine bewusste Entscheidung, was zu beenden, was sich für uns beide persönlich, Ina und mich, ein bisschen überlebt hat, wo wir schon seit einer Weile das Gefühl hatten, ja, das ist zwar immer noch schön, und es ist auch angenehm, in den Laden zu gehen, aber es hat auch was von Immer-das-Gleiche-machen – es fühlte sich nicht mehr so stimmig an.
Schwesig: Was heißt denn, fühlte sich nicht mehr so stimmig an? Ist da ein bisschen die Lust verloren gegangen? Gibt es in den letzten Jahren nicht mehr so viele schöne spannende Musik im Vergleich zu früher? Woran lag es?

"Man kann sich alles irgendwo anhören"

Quante: Nein, würde ich nicht unbedingt sagen. Eigentlich ist das Maß der Platten, die wir jedes Jahr lieben, immer relativ gleich geblieben. Wir finden vielleicht immer so 30 Platten, würde ich sagen, die wir lieben, die wir dann vielleicht auch selbst mit nach Hause nehmen. Aber es hat sich so ein bisschen verändert, wie Leute, Menschen Platten kaufen. Es hat sich halt in dem Sinne verändert, dass die Möglichkeit, sich zu informieren, ja in den letzten Jahren exponentiell gestiegen ist.
Man kann sich alles irgendwo anhören, und insofern ist vielleicht auch die Funktion des Plattenladens als Ort, sich auszutauschen, ein bisschen weniger geworden. Für uns war es zwar immer noch so, dass wir eine Menge Kunden hatten, die wirklich viel auf unsere Meinung, auf unsere Sachkenntnis gegeben haben und sich da auch quasi von uns sehr haben inspirieren lassen. Aber es gibt eben auch sehr viele Leute, die kaufen eigentlich mit Scheuklappen. Die suchen irgendwelche bestimmte Sachen, und die gehen dann auch nicht mehr in den Plattenladen, um wirklich irgendwie Neues zu entdecken, sondern die handeln irgendwie so nach dem Prinzip, ich weiß, was ich mag, und darüber hinaus interessiert mich eigentlich nicht viel.
Schwesig: Das heißt, das Bewusstsein für die Platte hat sich aus eurer Sicht schon verändert in den letzten Jahren?

Selbst junge Menschen kaufen alte Platten

Quante: Ja, auf jeden Fall. Es hat auf jeden Fall dazu geführt, dass eben zurzeit unglaublich viel wieder auf Vinyl erhältlich ist, was natürlich einerseits schön ist, was aber eben andererseits auch den Blick so ein bisschen sehr rückwärts wendet, das heißt, die Leute kaufen halt viel alte Platten. Selbst junge Menschen, die zu uns kommen, die gerade sich einen Plattenspieler gekauft haben, die kaufen dann eine Doors oder eine Jimi-Hendrix oder eine Pink Floyd. Das ist für uns nicht so sonderlich aufregend.
Schwesig: Hat das vielleicht auch damit zu tun, dass es diesen Plattenfreak alter Schule nicht mehr so gibt. Habt ihr das auch beobachtet?
Quante: Doch es gibt auf jeden Fall noch welche, nur die kommen halt auch so langsam in die Jahre. Das sind dann halt oft Leute, die mittlerweile eben ganz gut situiert sind, die Zeit haben, weil die Kinder schon groß geworden sind, vielleicht auch Geld haben, weil sie eben gut verdient haben. Es gibt aber auch andere, die sich wirklich die Platte vom Mund absparen müssen und trotzdem irgendwie jede Woche oder jeden Monat ein, zwei Sachen kaufen.
Schwesig: Und wie hat sich das bei den Leuten verändert? Du hast eben erzählt, viele kommen mit Scheuklappen. War das früher anders, war der Plattenkäufer von früher, in den 80ern und 90ern weltoffener, stiloffener?

"1983 hatten wir zu hundert Prozent Vinyl"

Quante: Ja, würde ich schon sagen, zumindest bei uns im Laden. Als wir hier '83 angefangen haben, war es einfach musikalisch auch eine völlig andere Welt, schon allein von den Formaten her. Wir hatten ja zu hundert Prozent Vinyl. Die CD wurde da gerade erst markteingeführt. Die war unglaublich teuer, die war mindestens doppelt so teuer wie Vinyl. Heute ist es ja eher umgekehrt. Und es gab damals noch Singles, also 7-Inch- und 12-Inch-Singles, die waren damals wirklich sehr wichtig. Und wir haben ziemlich schnell einen guten Ruf gehabt darüber, dass wir einen eigenen England-Import hatten, dass wir viele Singles hatten, dass wir eben auch Sachen, die schwer zu kriegen waren, aus England hatten oder aus Amerika.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Volker Quante vom Laden Mr. Dead & Mrs Free© Deutschlandradio / Oliver Schwesig
Das war einfach auch ein sehr junger Markt, den wir damals irgendwie bedient haben, weil wir haben wirklich fast nur Neuheiten gehabt. Es gab kaum einen Back-Katalog bei uns, und wir haben nur davon gelebt, dass wir halt wirklich die neuesten Sachen aus England dahatten. Das hat sich über die Jahre geändert, wir haben auch eine Menge dazugelernt, wir haben auch unsere anfängliche jugendliche Arroganz, die man dann so hat, ein bisschen abgelegt, und in relativ kurzer Zeit hat sich der Laden eigentlich sehr lohnend und sehr spannend entwickelt.
Schwesig: Und das, was du vorhin erzählt hast, dass es heute so wahnsinnig viele Reissues gibt, dass also die Industrie in der Politik sehr oft und sehr viel nach hinten schaut. Es ist eigentlich nicht so ein Beförderer für die Musik, oder zumindest nicht das, was ihr als Maxime hattet, als ihr angefangen habt, dass sich da im Bewusstsein auch ein bisschen was verändert hat. Ist das richtig?
Quante: Ja, das stimmt. Es gibt halt bei den großen Plattenfirmen kaum noch Abteilungen, die sich um die Entwicklung von Künstlern, neuen Künstlern kümmern. Und es gibt dann halt auch kaum noch ein Budget. Es lässt sich halt mit Musik in Konservenform nicht mehr so schnell so viel Geld verdienen wie vor 20 Jahren, und das führt dann eben dazu, dass es eben auch für die Künstler immer schwerer wird, sich zu finanzieren.
Deswegen entstehen auch relativ wenig neue Bands, die mehr als ein, zwei Alben überleben können, weil sie eben nicht mehr so ihr Auskommen finden können in der Musik. Und das muss dann eben oft durch Life-Konzerte und durch Merchandise kompensiert werden, und das hat dann wieder auch nicht nur positive Effekte.
Schwesig: Das heißt, trotz des Booms siehst du dann für die Schallplatte eher eine düstere Zukunft?

Ein Teil der Kundschaft wird wegsterben

Quante: Weiß ich noch nicht. Das ist noch nicht so ganz raus. Ich könnte mir aber vorstellen, dass ein Teil der Kundschaft im Lauf der nächsten Jahre einfach wegsterben wird, und dann werden plötzlich eine Menge Sammlungen auf den Markt kommen, und das wird dann schon dazu führen, dass die Preise auf Discogs zum Beispiel wieder sinken werden.
Schwesig: Vielleicht noch zum Schluss gefragt, Mr Dead & Mrs Free?
Quante: Das war ein sehr hippes Performance-Theaterstück von einer New Yorker Theaterkompanie, die es heute leider nicht mehr gibt, die hieß Squat Theatre. Die waren sehr spannend, weil auch die schon versucht haben, ganz viele unterschiedliche Dinge miteinander zu verbinden. Da war halt einerseits eben ein Schauspielelement, da war Musik in Form von hipper New Yorker Musik aus der Zeit damals, das war 1982, als das Stück aufgeführt wurde. Es gab ein Video, es gab wilde Tanzszenen, es gab alles Mögliche, was sie miteinander verquickt haben. Und dieses Konzept und diese Idee von Mann und Frau, das war uns sehr wichtig, und das war auch irgendwie zu uns gepasst. Und lustig ist dann, dass wir später dann Leute zu Gast hatten mal im Laden, die auch wirklich Teil des Squat Theatres waren, und die dann irgendwie ganz erfreut waren, dass dieses Stück dann in dieser Form noch weitergelebt hat. Und wir waren dann erst so ein bisschen vorsichtig und dachten auch, vielleicht ist denen das gar nicht recht und die denken, dass ihnen der Name gehört. Aber nein, sie waren sehr offen, und sie fanden das durchaus sehr positiv.
Schwesig: Das sagt Volker Quante vom Berliner Kultplattenladen Mr. Dead & Mrs Free. Ende Januar schließen sich bei diesem Laden zum letzten Mal die Türen. Danke fürs Gespräch und die Zeit, und natürlich auch, das soll ich auch noch im Namen vieler Plattensammler sagen, die davon gehört haben, vielen, vielen Dank für die vielen Plattenentdeckungen!
Quante: Ja, okay!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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