Volk – und nicht Bevölkerung
Ganz so ernst ist es noch nicht, weder in Stuttgart noch in Gorleben, als dass man Theodor Körner beschwören möchte. Als die Deutschen den verhassten Napoleon verjagten, rief der Dichter mit donnerndem Pathos: „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“.
Allerdings, von vielen Demonstrationen für dies und das, unterscheidet sich diesmal der Aufstand der Bürger. Die einen, in der Schwabenmetropole, wollen ihre schöne, allzeit friedvolle Stadt vor einem Milliarden verschlingenden Tunnel bewahren, die anderen, die im Wendland, möchten die Zwischenlagerung von giftigem Atommüll in einem unsicheren Endlager verhindern.
Beide Male handelt es sich um eine Volksbewegung, an der sich Menschen aller sozialen Schichten beteiligten. Hässliche Ausschreitungen ändern daran nichts. Ohne Anmaßung dürfen die Demonstranten sagen, was gleich nach der Wende die tapferen Leipziger riefen: „Wir sind das Volk“.
Seltsam nur, dass wir bei Politikern eine weit verbreitete Scheu beobachten, das Volk bei Namen zu nennen. Sie benutzen stattdessen den der Statistik entlehnten Begriff Bevölkerung. Altmodisch heißt Bevölkerung: Population, und der Duden übersetzt das, und meint es biologisch, mit der „Gesamtheit der Individuen in einem eng begrenzten Raum“.
Warum die Angst der Politik vor der einzig richtigen Anrede? Die Hemmung mag sich auch heute noch mit unserer neueren und wenig glücklichen Geschichte erklären. Unter zwei Diktaturen ist mit dem Wort Volk Schindluder getrieben worden. Eine lange schon antiquierte Argumentation. Junge Deutsche schütteln darüber den Kopf. Meinen Politiker, die uns mit dem Wort Bevölkerung nerven, wir dürften uns nicht über jene Minderheiten erheben, die sich partout nicht dem Volk der Deutschen zugesellen wollen? Wunderlich.
Über dem Reichstag hat sich, länger als ein Jahrhundert, die Inschrift erhalten: „Dem deutschen Volke“. Die Widmung lautet nicht „Der deutschen Bevölkerung“. Der Reichstag, wesentlich dank der aufbegehrenden Arbeiterklasse, trotzte der Monarchie und dem Demokratieverächter Bismarck. Wenn auch noch sehr begrenzt, konnte das Volk seine Meinung kundtun.
Die Deutschen in Stuttgart oder im Wendland, gleich, ob man von ihren Argumenten überzeugt ist oder nicht, nutzen das im Grundgesetz hervorgehobene Demonstrationsrecht. Sie rebellieren gegen eine Obrigkeit, die in dringendem Verdacht steht, dass sie sich in der Abhängigkeit von rigoros auftretenden Lobbyisten der Atomindustrie und von fortschrittshungrigen Ingenieuren begeben hat.
Einst, beim Widerstand des Bayernvolks gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, schimpfte Franz Josef Strauß: „Vox Populi, Vox Rindvieh“. Es ist genau diese Arroganz, die das Volk dem Staat entfremdet. Kritische Bürger lassen sich nicht als Population abfertigen.
Klaus Bölling, Journalist, Buchautor, ehemaliger Diplomat und Politiker, geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des „Weltspiegel“, USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen „Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt“, „Die fernen Nachbarn – Erfahrungen in der DDR“ und „Bonn von außen betrachtet“.
Beide Male handelt es sich um eine Volksbewegung, an der sich Menschen aller sozialen Schichten beteiligten. Hässliche Ausschreitungen ändern daran nichts. Ohne Anmaßung dürfen die Demonstranten sagen, was gleich nach der Wende die tapferen Leipziger riefen: „Wir sind das Volk“.
Seltsam nur, dass wir bei Politikern eine weit verbreitete Scheu beobachten, das Volk bei Namen zu nennen. Sie benutzen stattdessen den der Statistik entlehnten Begriff Bevölkerung. Altmodisch heißt Bevölkerung: Population, und der Duden übersetzt das, und meint es biologisch, mit der „Gesamtheit der Individuen in einem eng begrenzten Raum“.
Warum die Angst der Politik vor der einzig richtigen Anrede? Die Hemmung mag sich auch heute noch mit unserer neueren und wenig glücklichen Geschichte erklären. Unter zwei Diktaturen ist mit dem Wort Volk Schindluder getrieben worden. Eine lange schon antiquierte Argumentation. Junge Deutsche schütteln darüber den Kopf. Meinen Politiker, die uns mit dem Wort Bevölkerung nerven, wir dürften uns nicht über jene Minderheiten erheben, die sich partout nicht dem Volk der Deutschen zugesellen wollen? Wunderlich.
Über dem Reichstag hat sich, länger als ein Jahrhundert, die Inschrift erhalten: „Dem deutschen Volke“. Die Widmung lautet nicht „Der deutschen Bevölkerung“. Der Reichstag, wesentlich dank der aufbegehrenden Arbeiterklasse, trotzte der Monarchie und dem Demokratieverächter Bismarck. Wenn auch noch sehr begrenzt, konnte das Volk seine Meinung kundtun.
Die Deutschen in Stuttgart oder im Wendland, gleich, ob man von ihren Argumenten überzeugt ist oder nicht, nutzen das im Grundgesetz hervorgehobene Demonstrationsrecht. Sie rebellieren gegen eine Obrigkeit, die in dringendem Verdacht steht, dass sie sich in der Abhängigkeit von rigoros auftretenden Lobbyisten der Atomindustrie und von fortschrittshungrigen Ingenieuren begeben hat.
Einst, beim Widerstand des Bayernvolks gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, schimpfte Franz Josef Strauß: „Vox Populi, Vox Rindvieh“. Es ist genau diese Arroganz, die das Volk dem Staat entfremdet. Kritische Bürger lassen sich nicht als Population abfertigen.
Klaus Bölling, Journalist, Buchautor, ehemaliger Diplomat und Politiker, geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des „Weltspiegel“, USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen „Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt“, „Die fernen Nachbarn – Erfahrungen in der DDR“ und „Bonn von außen betrachtet“.

Klaus Bölling© privat