Vokal- und Kammermusik

Mystische Bußverse

Der russische Komponist und Pianist Alfred Schnittke, schwarz-weiß-Aufnahme, an einem Klavier sitzend, in die Kamera blickend.
Der russische Komponist und Pianist Alfred Schnittke. © dpa/picture alliance/Tass
14.01.2015
Vergangenen Herbst wäre er 80 Jahre alt geworden, der deutsch-russische Komponist Alfred Schnittke. Der NDR-Chor und renommiere Kammermusiker haben ihm in seiner ehemaligen Wahlheimat Hamburg ein eindrucksvolles Konzert gewidmet.
Qua seiner Geburt war Alfred Schnittke heimatlos. In Russland als Sohn einer Wolgadeutschen Lehrerin und eines jüdischen Frankfurter Journalisten geboren und aufgewachsen, ließ er sich zeit seines Lebens in keine stilistische oder politische oder sonstige Schublade packen. Nicht umsonst prägte er für seine Musik den Begriff Polystilistik, was nichts anderes bedeutet, als dass er in seinen Kompositionen immer neu wählen wollte zwischen Tradition und Innovation, zwischen Erfindungen und Rückgriffen.
Als Ziel seines Lebens beschrieb er einmal, "ernste und leichte Musik miteinander zu vereinen, selbst wenn ich mir dabei den Hals brechen sollte". Am Ende ist Schnittke nicht alt geworden, nicht wegen seines unbedingten Willens, stilistische Grenzen zu sprengen, sondern weil seine Gefäße nicht mitmachten. Bereits mit 51 erlitt er den ersten Schlaganfall, der ihn schon fast getötet hätte. Danach konnte er noch zwölf Jahre lang komponieren, bis er nach weiteren Schlaganfällen starb, erst 63 Jahre alt.
Das Programm des Hamburger Gedenk- und Geburtstagskonzerts für den 1998 verstorbenen Künstler zeigt vor allem seine spirituelle und tiefernste Seite.
Die "Zwölf Bußverse" bezeugen in ihrer Anlehnung an die Praxis der orthodoxen Liturgie den starken Einfluss, den die jahrhundertealte Tradition des altrussischen Kirchengesangs auf Alfred Schnittkes Komponieren hatte.
Das anlässlich der "tausendjährigen Christianisierung Russlands" entstandene Werk für gemischten Chor, das mit seinem schlichten syllabischen Aufbau und einer sich vorwiegend in Halb- und Ganztonschritten bewegenden Melodik einen ebenso statisch-kontemplativen wie emphatischen Charakter hat, endet in magischer Atmosphäre höchster Intensität: Der zwölfte Vers ist - von den fest umrissenen Bedeutungsfeldern des gesungenen Textes entmaterialisiert - "bocca chiusa" (mit geschlossenem Mund) zu intonieren - der künstlerische Leiter des NDR Chors, Philipp Ahmann, sagt darüber: "Der Gesang a bocca chiusa fängt quasi aus dem Nichts an, nur ein D in den tiefen Bässen und darüber eine langsam fortschreitende Melodie, die zugleich Weite und Einsamkeit suggeriert, ein ziemlich magischer Moment. Ein Gesang ohne Worte, Musik, deren Harmonik den Schmerz in sich trägt wie die Bitte um Erlösung."
Alfred Schnittke lebte seit seiner Übersiedlung im Jahr 1990 bis zu seinem Tod in Hamburg. Das Klavierquintett hatte er schon zu sowjetischen Zeiten für den bereits in den Westen gegangenen Geiger Gidon Kremer und befreundete Musiker geschrieben. Es gehört zu den eindrücklichsten Kammermusikwerken des 20. Jahrhunderts. In Hamburg wurde es von dem hervorragenden jungen tschechischen Bennewitz-Quartett zusammen mit dem in Berlin lebenden israelischen Pianisten Matan Porat aufgeführt.
(teilweise aus Pressetexten des NDR)
St. Johannis-Harvestehude, Hamburg
Aufzeichnung vom 6. November 2014
Alfred Schnittke
Klavierquintett
Drei geistliche Gesänge für achtstimmigen gemischten Chor
Zwölf Bußverse für gemischten Chor a cappella (Auswahl)
Bennewitz Quartett
Matan Porat, Klavier
NDR Chor
Leitung: Philipp Ahmann