Voijslav Seselj

Fragwürdiger Freispruch für serbischen Ultranationalisten

Vojislav Seselj spricht bei einer Demonstration gegen die serbische Regierung.
Vojislav Seselj war vor dem Internationalen Gerichtshof angeklagt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstößen gegen Kriegsgesetze und -bräuche. © AFP - Andrej Isakovic
Von Gerwald Herter · 31.03.2016
Der Freispruch von Voijslav Seselj vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ist unglaublich, meint unser Kommentator Gerwald Herter. Er halte es für fraglich, ob die Anklage ihre Arbeit gemacht habe.
"Voijslav Seselj ist jetzt ein freier Mann." Was dieser Satz für einige Republiken des früheren Jugoslawien bedeutet - für Kroatien, Bosnien, vor allem aber für Serbien selbst, das kann Richter Jean-Claude Antonetti kaum klar gewesen sein, als er dieses Urteil in Den Haag verkündete.
Wenige Wochen vor den Parlamentswahlen in Serbien hat das UN-Tribunal Seselj damit zum Politstar gemacht. Noch kämpfen die Radikalen, seine ultranationalistische Partei, mit der 5-Prozent-Hürde, also um den Wiedereinzug ins Parlament. Dieser Freispruch, den Seselj als einen "Sieg" feiert, wird das ändern. Ob die Radikalen, die SRS, bei einer Regierungsbildung in Serbien zum entscheidenden Faktor werden, muss sich noch zeigen. Zumindest aber dürfte der Abgeordnete Seselj das Parlament als Bühne nutzen, um gegen alle zu hetzen, die ihm nicht serbisch genug sind.
Und er kann seine politischen Ziehsöhne - Premier Vucic und Präsident Nikolic - unter Druck setzen. Es reicht schon, sie an ihre alten, großserbischen Grundsätze zu erinnern, die sie längst über Bord geworfen haben. Die nötige öffentliche Aufmerksamkeit ist Seselj nun endgültig sicher. Natürlich kann kein Richter zuerst an die politischen Folgen seines Urteils denken, wenn er es verfasst. Die Urteile eines Kriegsverbrechertribunals haben aber immer eine Wirkung, die weit über den einzelnen Fall hinausgeht.

Die Schlussfolgerungen des Richters sind erstaunlich

Zudem ist fraglich, ob die Anklage hier ihre Arbeit gemacht hat und schließlich kann man über die Schlussfolgerungen des Richters nur ungläubig staunen. Vor 25 Jahren, zu Beginn des Kriegs gegen Kroatien, hatte Seselj serbischen Soldaten eingebläut, dass keine Kroate die belagerte Stadt Vukovar lebend verlassen dürfe. Aus Sicht des UN-Tribunals ist damit aber nicht erwiesen, dass Seselj die Soldaten zur Tötung von Menschen aufstachelte. Das könne auch den Zweck gehabt haben, die "Moral der Truppe" zu heben, so die Richter. Das ist unglaublich. Ohne nationalistische Propaganda, ohne Flankenschutz der Belgrader so genannten "Intelligenz" hätte der großserbische Albtraum nicht solch furchtbare Dimensionen erreicht, solch schreckliche Folgen gehabt.
Ich muss an die Frau denken, mit der ich vor Jahren sprach. Zusammen mit ihrem Mann, einem Kroaten, hatte sie bis zuletzt im belagerten Vukovar ausgeharrt. Als die Stadt fiel, wurde sie weggebracht, ihr Mann musste bleiben, wurde umgebracht, landete in einem Massengrab. Noch viele Jahre lang war sie trotzdem davon überzeugt, dass er lebte - bis Ermittler Fetzen seiner Kleidung schickten und ihre Schwiegermutter einem DNA-Test zustimmte. Erst dann sah sie ein, dass er tot war. Diese Frau ist Halb-Serbin. Ihr Mann dürfte von serbischen Paramilitärs ermordet worden sein. Solche paramilitärischen Trupps hatte Voijslav Seselj Anfang der 90er Jahre in Marsch gesetzt. Dem großserbischen Wahn hat er bis heute nicht abgeschworen.
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