"Voices of Change"

Von Ulrich Fischer |
"Voices of Change"- das war der Titel des Theaterfestivasl in Bielefeld. Drei Tage lang bot es seinem Publikum neue Stücke amerikanischer Nachwuchsautoren, deutsche Uraufführungen, Lesungen und Diskussionsrunden. Was ist von Obamas Optimismus in der jungen Theaterszene zu finden?
Christine Richter-Nilsson ist Dramaturgin und Übersetzerin, sie leitet das Festival in Bielfeld:

"Das Hauptaugenmerk gilt einerseits der aktuellen amerikanischen Dramatik, aber auch einer bestimmten Szene, der Offoff-Theaterszene in New York, die weitab von Hollywood, aber auch jenseits vom Broadway sehr experimentelles, innovatives und neues Theater macht, und auf diesem Nährboden schreiben im Augenblick sehr interessante Autoren neue Stücke.

Wir wählen ein Thema Wenn man etwas Bestimmtes sucht, findet man es auch. Wenn wir sagen, wir suchen "Voices of Change", haben wir ziemlich schnell festgestellt, dass "change" und Krise sehr eng miteinander verwobene Themen sind und haben natürlich auch nach diesen Stücken gesucht und sie auch gefunden. Also es gibt sie, diese Stücke. Es gibt auch sehr viele Autoren, die darüber nicht schreiben.

Diese haben wir gewählt, weil die uns interessieren, weil eines der Hauptkriterien Aktualität ist und Relevanz."

Gesellschaftskritische und politische Stücke prägten das Festival. Das spektakulärste war "Gerechtes Geld" von Michael Yates Crowley.

"Gerechtes Geld" nennt der Held des Stücks seine Fernsehsendung. Wir erleben einen enthemmten Moderator, der an die primitivsten Strebungen seiner Zuschauer appelliert: an ihre Gier, die materielle wie die Sexuelle; er umschmeichelt ihre Omnipotenzphantasien - und hat damit großen Erfolg. Seine Quote ist traumhaft.

Im Kern verspricht er, was er nicht halten kann: Geld verdienen ohne Arbeit - viel Geld!

Michael Yates Crowley verbindet das Ökonomische mit dem Sexuellen und verlässt so die Gefilde der Wahrscheinlichkeit, gerät ins Surreale. Das Stück endet spektakulär in einer Mischung aus "American Psycho" und dem "Kettensägen-Massaker". Theaterblut fließt literweise. Der Dramatiker enthüllt die zerstörerischen und selbstzerstörerischen Potentiale der entfesselten Wirtschaft. Eine Farce, sie erinnert mitunter an Dario Fo.

Lob von Branden Jacobs-Jenkins

Die beeindruckendste Persönlichkeit unter den Gästen aus New York war Branden Jacobs-Jenkins. Der junge Dramatiker bezeichnet sich als "coloured", also farbig, und nennt neben Caryl Churchill Angus Wilson als eines seiner Vorbilder, ein afroamerikanischer Dramatiker, der in einem großangelegten Schauspielzyklus die Geschichte der Afrikaner von der Sklavenzeit bis heute in den Vereinigten Staaten Revue passieren lässt.

Branden Jacobs-Jenkins war von der Uraufführung seines Stücks "The Change" in Bielfeld angetan:

"Das ist interessant, weil in Deutschland sich die Theaterleute viel mehr Freiheiten nehmen. Das ist wirklich sehr inspirierend. Ich mag den Formalismus der Inszenierung. Hier gehen sie direkt auf die Gefühle, das ist wirklich komisch."

Branden Jacobs-Jenkins wehrt sich gegen die harmonisierende Darstellung vieler Seifenopern, es gebe keinen Rassismus mehr in den Vereinigten Staaten. Theater, so seine Auffassung, spiegele die Entwicklungen der Gesellschaft wider - und die Gesellschaft wie das Theater in den Vereinigten Staaten sieht er zurzeit in einer Krise.

Die Uraufführung wurde ein Höhepunkt des Festivals in Bielfeld. Das Stück spielt in New York kurz vor der Wahl Obamas zum Präsidenten und am Tag seiner Wahl selbst. In einer x-beliebigen Straße in einem früher vor allem von Weißen bewohnten Viertel betreibt Baker, Mitte-Ende Vierzig, einen Coffee-Shop. Wie bei Thornton Wilder gibt es kaum Bühnenbild, der Ort wird einfach beschrieben, die Zuschauer sollen ihre Phantasie anstrengen:

"Draußen regnet es stark. Und alles hinter einem großen Schaufenster ist unheimlich grau. Fußgänger spiegeln sich im verregneten Glas. Aber keiner kommt herein. Keiner!"

Der Coffee-Shop geht schlecht. Magic bewirbt sich bei Baker als Hilfe und verspricht Ideen, damit mehr Kundschaft kommt. Magic ist 17, hat die Schule geschmissen und studiert Musik, Cello. Er hat krauses Haar und sein Teint weist darauf hin, dass seine Vorfahren aus Afrika gekommen sein könnten. Dennoch engagiert Baker ihn. Er will ja kein Rassist sein.

Magic trägt Züge seines Schöpfers Branden Jacobs-Jenkins - der junge Dramatiker macht sich über den Rassismus von uns Weißen lustig. Die Nacht, in der Obama zum Präsidenten gewählt wurde, spielt in der Hölle - ein Seitenhieb auf die Befürchtung vieler konservativer weißer Amerikaner, das Inferno breche los, wenn nicht ein lilienweißer Mann zum Präsidenten gewählt werde.

Das Stück öffnet sich weit hin zum epischen Theater. In Bielefeld lasen die Schauspieler ihre Rollen vom Manuskript - das schadete nicht, sondern unterstrich, dass hier die Akteure sich nicht mit ihrer Rolle identifizierten, sondern sie sich vom Leib hielten. Dadurch wurde das Typisieren befördert, eine Quelle des Humors.

Die Auswahl des Festivals war so interessant wie das Thema - erweitert um Diskussionen und Vorträge. Die Stärke der jungen amerikanischen Dramatikerinnen und Dramatiker ist ihre handwerkliche Solidität und ihre Nähe zum Publikum - alle haben Talent. Im Vergleich mit anderen englischsprachigen Ländern haben allerdings die Briten bessere Karten: nicht nur die älteren, arrivierten wie David Hare oder Caryl Churchill, auch Simon Stephens ist überlegen, um nur einen zu nennen, weil ihm mehr ästhetische Möglichkeiten im nicht-naturalistischen Bereich zu Gebote stehen.

Dennoch können deutsche Dramatiker einiges von amerikanischen lernen - gerade die Publikumsnähe. Deutsche Stückeschreiber kümmern sich zu wenig um ihre Zuschauer, amerikanische wollen sich mitteilen und befriedigen gern das Unterhaltungsbedürfnis, sie haben Humor, Witz, Biss, der bei uns oft fehlt. Und sie können ihre Dialoge feilen, bis sie funkeln.

Bielefeld hat ein interessantes, informatives Festival auf die Beine gestellt - aber im Zweifelsfall dürften Intendanten doch auf die bewährten amerikanischen Dramatiker zurückgreifen: Tennessee Williams oder, bislang unübertroffen, Arthur Miller.

Zurecht - bei allem Talent der Jungen: diesen Klassikern des amerikanischen und Welttheaters können sie doch - zumindest noch nicht - das Wasser reichen.