Vogelschutz in Europa

Damit der Frühling nicht stumm wird

Kronenkraniche in Sachsen-Anhalt: Altvogel füttert Jungvogel, beide stehen auf einer grünen Wiese.
Kronenkraniche in Sachsen-Anhalt: Altvogel füttert Jungvogel © imago stock&people / Thomas Hinsche
Von Monika Seynsche · 02.04.2019
Gejagt, gekocht, fast ausgerottet: In den 70er-Jahren waren viele Wildvögel vom Aussterben bedroht. Um das zu verhindern, trat am 2. April 1979 die EU-Vogelschutzrichtlinie in Kraft. Die Bestände von Adlern, Störchen und Kranichen erholten sich.
Die 1970er-Jahre waren eine schlechte Zeit für Vögel. Kraniche, Störche und Adler wurden in ganz Europa fast bis zur Ausrottung gejagt, ihr Lebensraum schwand. Das Insektenvernichtungsmittel DDT ließ Eierschalen von Greifvögeln brüchig werden und die Küken sterben. Millionen von Singvögeln landeten gerade in Südeuropa in Kochtöpfen. Das Vogelsterben nahm so gewaltige Ausmaße an, dass die Europäische Union reagieren musste. Und das tat sie sehr erfolgreich, sagt der Vogelexperte Lars Lachmann vom Naturschutzbund NABU.

"Die EU-Vogelschutzrichtlinie ist eines der besten Naturschutzgesetze in der Welt."
Verabschiedet wurde die Richtlinie am 2. April 1979. Sie verlangt den Schutz aller wildlebenden Vogelarten sowie konkrete Maßnahmen und Schutzgebiete für eine Reihe besonders bedrohter Arten. Außerdem reguliert sie, welche Vögel in welchem Umfang gejagt werden dürfen. Jeder Mitgliedsstaat der Europäischen Union muss die Bestimmungen in nationales Recht umsetzen. Gerade das macht die Richtlinie so wirksam. Ihr Erfolg wurde im Jahr 2015 wissenschaftlich untersucht. Die Forscher verglichen die Bestandstrends der besonders geschützten Arten mit anderen Vögeln.
Lars Lachmann: "Und es kam heraus, dass die besonders geschützten Arten einen besseren Populationstrend haben in den letzten 40 Jahren, als die anderen Arten. Es wurde auch verglichen, ob diese Arten denn außerhalb der EU besser oder schlechter dastehen, als innerhalb der EU. Und da kam eben auch raus, dass dort, wo die Vogelschutzrichtlinie gilt, es diesen Arten besser geht.
Ein Seeadler (lat. Haliaeetus albicilla) holt sich am 12.10.2012 einen toten Fisch aus dem Wasser des Breiten Luzins, einem See im Naturpark «Feldberger Seenlandschaft» in Feldberg (Mecklenburg-Vorpommern). 
Die Jagd auf den Seeadler wurde verboten© dpa / Patrick Pleul
Und es gibt ja auch noch den Unterschied zwischen den alten EU-Ländern und den neu hinzugekommenen EU-Ländern nach 2004, und auch dort kann man feststellen, je länger die Vogelschutzrichtlinie schon gilt, desto besser geht es eben diesen besonders bedrohten Arten, die besonders geschützt werden müssen."
Ein erwachsener Wanderfalke (Falco Peregrinus) fliegt am 16.05.2013 über der City von Leipzig (Sachsen)
Die Bestände von Wanderfalken, Seeadlern und Großtrappen haben sich durch die Vogelschutzrichtlinie wieder erholt© picture alliance / dpa / Sebastian Willnow

Nicht alle Vögel profitieren von der Schutzrichtlinie

Allein in Deutschland etwa leben heute wieder fast 6.000 Brutpaare der einst fast ausgestorbenen Kraniche. Bei den Schwarzstörchen hat sich die Zahl sogar verzwanzigfacht. Auch Seeadler, Wanderfalken, Wiesenweihen und Großtrappen haben sich weitgehend erholt. Die Jagd auf sie wurde verboten, ihre Nester und ihr Lebensraum wurden geschützt. Aber die Vogelschutzrichtlinie hat nicht allen Vögeln helfen können. Vielen Arten gehe es heute wesentlich schlechter, als noch vor wenigen Jahren, sagt Johannes Kamp vom Dachverband Deutscher Avifaunisten. Alle sechs Jahre müssen die Mitgliedsstaaten der EU nach Brüssel melden, wie sich die Bestände ihrer Vogelarten entwickelt haben. Johannes Kamp und seine Kollegen arbeiten zurzeit im Auftrag des Bundesumweltministeriums an genau diesem Bericht.

Lars Lachmann: "Sorgen machen uns vor allem Vögel, die eigentlich früher häufig waren, also weit verbreitete Arten. Vor allem Vögel der Agrarlandschaft, also wenn Sie jetzt zum Beispiel an den Kiebitz denken oder an die Feldlerche, Braunkehlchen, Uferschnepfe, das sind so Beispiele. Der Kiebitz ist in Deutschland in den letzten Jahren um 80 Prozent zurückgegangen, in Europa um 50 Prozent. Also die Vögel der Agrarlandschaft sind im Moment so ein bisschen die Sorgenkinder des Naturschutzes und des Vogelschutzes."
Denn diese Vögel leben nicht in Schutzgebieten, sondern dort, wo Landwirtschaft vorherrscht. Und je intensiver diese betrieben wird, je größer die Felder, je kleiner die Hecken, Randstreifen und Brachflächen werden, je mehr Insektenvernichtungs- und Pflanzenschutzmittel versprüht werden, desto weniger Lebensraum und Nahrung bleibt übrig für Vögel. Ihnen fehlen ungestörte Brutplätze, Insekten und Wildkräutersamen. Die EU-Vogelschutzrichtlinie kann diesen Arten kaum helfen, da sie vor 40 Jahren noch keines Schutzes bedurften und daher nicht als besonders schützenswerte Arten aufgenommen wurden. Auch sind sie nicht durch Jagd bedroht und nur selten in Schutzgebieten anzutreffen, in denen sie von der Richtlinie profitieren könnten.
Feldlerche (Alauda arvensis), sitzt in einem Weizenfeld und wacht am Nest
Erst verschwinden die Insekten, anschließend die Feldlerchen© imago / blickwinkel

Naturverträgliche Landwirtschaft gefordert

Lars Lachmann fordert deshalb, dass auch andere EU-Politikbereiche jenseits des Umweltschutzes die Ziele der Vogelschutzrichtlinie unterstützen müssten.
Lars Lachmann: "Wir denken da ganz besonders an die EU-Agrarpolitik, die derzeit mal wieder reformiert wird. Hier müssen wir unbedingt wegkommen von einer immer intensiveren Landwirtschaft und hin zu einer Landwirtschaft, die naturverträglich ist, wo Landwirte dafür belohnt werden und dafür Fördermittel bekommen, dass sie ihre Landwirtschaft naturverträglich durchführen, so dass man dort die Nahrung produzieren kann, die wir brauchen und gleichzeitig Platz für die Vogelwelt und die dazugehörige Natur ist."
Geschieht das nicht, werden die einst so häufigen Vögel der Kulturlandschaft aus Feldern, Weiden und Wiesen verschwinden. Dann könnte der Titel von Rachel Carsons Buch aus dem Jahr 1962 doch noch wahr und der Frühling stumm werden.
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