Vogelplage in Nordwestmecklenburg

Die Nandus sind los

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Fünf Nandus sind auf einem Rapsfeld in Utecht unterwegs.
Im Herbst 2018 waren in der Region am Ratzeburger See 560 Nandus gezählt worden - mehr als doppelt so viele wie im Frühjahr desselben Jahres. © dpa / picture alliance / Bernd Wüstneck
Von Silke Hasselmann · 03.05.2019
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Alles fing mit ein paar Nandus an, die in Lübeck aus einem Gehege ausbrachen. Inzwischen machen rund 560 Nandus in Mecklenburg die Felder unsicher. Für Landwirte ein Horrorszenario, denn die Laufvögel essen gern Zuckerrüben und vermehren sich rasend.
Auch in Mecklenburg-Vorpommern hat der Raps zu blühen begonnen, und dort, wo Bauer Reinhard Jahnke Rapssaat ausgebracht hat, duftet es mittlerweile aromatisch nach den gelben Ölpflanzen. Doch Jahnkes Freude ist getrübt: Sein Raps könnte noch dichter stehen. Doch vor allem im Herbst und im Frühjahr, wenn die Pflanzen noch jung sind, trampeln große Vögel darauf herum. Und nicht nur das:
"Das sind Tritt- und Fraßschäden. Zum einen laufen sie mit ihren großen Füßen drüber, treten auch alles platt. Besonders, wenn alles nass ist. Aber sie fressen auch. Und sie fressen leider auch nicht an der Kante die Außenblätter ab, sondern in der Mitte den Spross, die Blüten. Das heißt, die Pflanze wird nachhaltig geschädigt und wird nie mehr wieder eine ordentliche Pflanze sein."

Nandus essen gerne Zuckerrüben

Allein im März zählte Jahnke 40 bis 60 Nandus auf seinen Feldern rund um Utecht, wo er circa 200 Hektar Land bewirtschaftet und lernen musste: Auch Zuckerrüben gehören zu den Lieblingsspeisen der Nandus, die sich rasant vermehren und deshalb immer mehr Futter brauchen. Die Folgen spürt auch Landwirt Hans-Friedrich Grube:

"Hier kann man ganz deutlich sehen, dass die Nandus eben nur die eine Bewegung machen, das sind diese Fressbewegungen. Das machen die den lieben langen Tag lang. Das ist aber das tägliche Bild. Das ist einfach so."

Ein Schlaraffenland für die Nandus

Aber erst seit ein paar Jahren. Die ersten in einem Gehege bei Lübeck gehaltenen Tiere waren irgendwann zwischen 1999 und 2001 ausgebrochen und wanderten Richtung Südwesten. Sie passten sich an, zeugten Nachwuchs und wurden heimisch. Heute leben deren Nachfahren auf einer Fläche von hundert Quadratkilometern nördlich von Ratzeburg in der Nähe des Biosphärenreservates Schaalsee. Kein Wunder, findet der Ranger Mario Axel:

"Hier ist natürlich für den Nandu ein Schlaraffenland; ein stetig gedeckter Tisch. Das sind gute Böden hier. Hier werden Zuckerrüben und Raps angebaut, und darauf haben sie sich einfach spezialisiert. Es ist natürlich auch so, dass sie in unmittelbarer Nähe auch ihre Bereiche haben, wo sie denn die Jungen großziehen können. Dafür brauchen sie dann eben Grünland, und das ist hier vorhanden. Von der Warte her, denke ich mal, haben die hier optimale Bedingungen."

Kein Puma oder Jaguar

Sich die tägliche Ration von rund 1,5 Kilogramm Grünfutter zu besorgen, ist kein Problem für den Nandu. Das beobachten jedenfalls die Naturschützer, Landwirte und Behördenmitarbeiter, die beim Nandu-Monitoring mitmachen und somit im Auftrag des Landwirtschafts- und Umweltministeriums Mecklenburg-Vorpommern zweimal im Jahr den Bestand der Nandu-Population in Nordwestmecklenburg zählen.
In ihrer angestammten Heimat Südamerika müssen Nandus hungrige Wildkatzen wie den Puma und den Jaguar fürchten. In unseren Breitengraden hingegen fehlen die natürlichen Fressfeinde, und so gedeiht die Population des bis zu 1,40 Meter großen und bis zu 35 Kilogramm schweren Vogels prächtig.

Mit wenigen geflüchteten Tieren fing alles an

2008, als das Monitoring begann, wurden lediglich 35 Tiere in Westmecklenburg gezählt, wie Landwirtschafts- und Umweltminister Till Backhaus kürzlich am Rande der Frühjahrszählung am Schaalsee erwähnte.
"Wenn man sich mal überlegt: Wir sind von sieben Tieren gekommen und haben jetzt im Herbst 562 gehabt. Davon überstehen viele den Winter nicht. Im Frühjahr waren es jetzt 362. Jetzt muss man mal schauen, wie es mit der Population weitergeht."
Die Nandus bringen Till Backhaus häufig ins NDR-Regionalfernsehmagazin. Dort wird er nun Jahr für Jahr gefragt, was er gegen die Plage zu tun gedenke. Immerhin ist der Nandu quasi eingeschleppt und aus Sicht des heimischen Ökosystems eine invasive Art. Schon ziehen viele Leute einen Parallele zum Wolf, indem sie sagen: Wer den Anfängen nicht wehrt, bekommt die Population später nicht in den Griff.

Einfluss auf heimische Arten?

Doch ganz untätig ist der zuständige Minister nicht. Immerhin durften in den vergangenen Jahren einige Nandu-Eier angepiekst werden, was die Ausbildung von Nachkommen unterbinden sollte, sagt Minister Till Backhaus.
"Wir haben auch entschieden auf Antrag von zwei Landwirtschaftsbetrieben, dass 17 Hähne getötet worden sind, um für die nachfolgende Reproduktion ein wenig Reduktion vorzunehmen. Und wir prüfen insgesamt, ob die Population verträglich ist: Wie sind die Schäden? Was nehmen die Tiere insgesamt zu sich? Gibt es auch Arten, die sie fressen, die auf der Roten Liste sind, das heißt die heimischen Arten zurückdrängen? Und dann werden wir entscheiden, wie wir nachher weitermachen."
Dem letzten Gedankengang kann auch Vogelkundler Ulf Bähker von Naturschutzbund Nabu einiges abgewinnen, denn:
"Für mich als Naturschützer ist immer die erste Frage: Wie wirkt sich das Vorkommen von Nandus auf heimische Arten aus? Verändert er seinen Lebensraum massiv oder bringt er andere Arten in Bedrängnis? Das kann bis heute noch eindeutig verneint werden, aber gleichwohl wird heute noch weiterer Forschungsbedarf gesehen."
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