Vogelforscher beklagt "mittelalterliche Verhältnisse"

Stefan Fischer im Gespräch mit Ulrike Timm · 06.05.2010
Viele Zugvögel werden einfach abgeknallt, berichtet der Avifaunist Stefan Fischer. "Das sind oftmals Jugendliche in Dörfern, die mit ihrer Freizeit nichts so richtig anzufangen wissen und aus Spaß auf solche Vögel schießen."
Ulrike Timm: Wer reist, der lebt gefährlich. Bis zu 10.000 Kilometer bewältigen manche Zugvogelarten auf ihrem Weg vom Brutgebiet ins Winterquartier und zurück. Und es ist bei Weitem nicht immer nur Pech oder natürliche Schwäche, wenn sie dabei vom Himmel fallen. Klimawandel, illegale Jagd, Dürren das ihre dazu, kein Wunder, dass unter den vom Aussterben bedrohten Vogelarten fast ein Drittel Zugvögel sind. Um darauf aufmerksam zu machen, gibt es den Weltzugvogeltag – der ist erst am Wochenende, im Radio sind wir gern ein bisschen früher – und sprechen über gefährdete Vögel mit Stefan Fischer, dem Vorsitzenden des Dachverbandes der Deutschen Avifaunisten. Avifaunisten, das sind Menschen, die die Verbreitung und das Vorkommen von Vogelarten dokumentieren. Herr Fischer, guten Tag!

Stefan Fischer: Ja, schönen guten Tag!

Timm: Herr Fischer, wie viele Zugvögel, die im Herbst losfliegen, kommen im Frühjahr denn nicht heil wieder zurück?

Fischer: Ja, das ist eine Zahl, die man sicherlich so pauschal nicht nennen kann. Das ist sehr artverschieden. Es gibt Großvogelarten, die relativ hohe Überlebensraten haben, aber es gibt viele Kleinvogelarten, die unheimlich hohe Abgänge haben, die also weit über 80 Prozent beispielsweise bei Jungvögeln liegen. Das liegt einfach daran, dass viele Jungvögel noch relativ unerfahren sind und in ihren Rastgebieten erst mal geeignete Nahrungsflächen, Überwinterungsgebiete und so weiter finden müssen, entdecken müssen, und wenn sie das nicht tun, dann sind es letztendlich Todeskandidaten vielfach.

Timm: Welche Vogelarten sind denn ganz besonders gefährdet und warum?

Fischer: Also unter den deutschen Vogelarten sind insbesondere die Langstreckenzieher gefährdet. Langstreckenzieher sind solche Arten, die um zu überwintern zumindest die Sahara überqueren, also südlich der Sahara in Afrika überwintern.

Timm: Und was macht denen das schwer?

Fischer: Ziehen ist natürlich immer relativ gefährlich. Man kommt ständig in neue Gegenden, die die Vögel teilweise noch nicht kennen, insbesondere die Jungvögel nicht, wenn sie auf ihrem ersten Zug sind, und da sind sie natürlich mit verschiedensten Gefahren konfrontiert. Das können klimatische Unbilden sein, das können Verfolgungen durch Menschen sein, das sind anthropogene Strukturen, die Probleme bereiten können, beispielsweise Stromleitungen, an die sie fliegen oder an denen sie Stromschläge erleiden. Also es gibt unheimlich viele Möglichkeiten, auf so einer langen Wanderung zu Tode zu kommen.

Timm: Nennen Sie uns doch einfach mal ein paar Vogelarten, die sich mit dem, ja, Heil-Zurückkommen besonders schwertun derzeit, die bedroht sind.

Fischer: Das sind teilweise Arten, die wir früher gar nicht so im Fokus des Naturschutzes oder des Vogelschutzes hatten, insbesondere einige Arten der Waldlebensräume. Waldlaubsänger, Trauerschnäpper haben in den letzten Jahren deutliche Rückgänge erlitten, und das sind beides auch solche Fernstreckenzieher, die im südlichen Afrika überwintern.

Timm: Wie finden denn Avifaunisten das heraus, woher wissen sie vom Verbleib der Zugvögel, die nicht wiederkommen? Ich meine, in der Sahara kann man ja nicht zählen.

Fischer: Es ist natürlich relativ schwierig, zu sagen, wo bestimmte Verluste auftreten, da sind wir Avifaunisten überfordert. Wir können letztendlich nur hier vor Ort in Deutschland die Vögel zählen, dazu laufen verschiedenste sogenannte Monitoringprogramme, und letztendlich können wir aus der Bestandsentwicklung der Arten Rückschlüsse ziehen, wie es ihnen letztendlich ergangen ist in den letzten Jahren.

Timm: Aber wo sie dann im Einzelnen geblieben sind, das wissen Sie also so genau auch nicht, ob über der Sahara oder überm Meer abgestürzt oder so, wissen Sie auch nicht?

Fischer: Das wissen wir als Avifaunisten im Detail nicht, da können die Beringungszentralen, die Vogelwarten viel bessere Auskunft geben über Ringfunde oder auch über Tiere, die inzwischen mit ganz modernen Methoden verfolgt werden, beispielsweise mit Satellitensendern oder mit Geolokatoren, wo man also exakt wirklich auch die Position der Tiere feststellen kann und bei den satellitentelemetrierten Vögeln beispielsweise dann auch erkennen kann, wo sie zu Tode gekommen sind.

Timm: Eines wissen wir aber genau, Herr Fischer, wenn Vögel Karten hätten statt eines inneren Kompasses, dann wären einige südeuropäische Länder und insbesondere Malta No-go-Area. Warum?

Fischer: Ja, es ist nach wie vor ein ganz großes Problem, dass in vielen südeuropäischen Ländern ganz intensive Vogeljagd betrieben wird und letztendlich wirklich auf ein ganz breites Artenspektrum von Lerchen über Greifvögel bis zu ganz seltenen Arten wie Wiedehöpfen und Blauracken wird dort teilweise alles – und man muss letztendlich sagen aus Spaß – vom Himmel gepustet.

Timm: Aus Spaß, das heißt, die Vögel landen dann nicht mal im Topf?

Fischer: Sie landen sicherlich zum Teil im Topf. Sie wissen, Ortolan-Brüstchen und gebratene Mönchsgrasmücken sind Spezialitäten in Frankreich beispielsweise, aber teilweise werden sie wirklich nur zum Spaß geschossen oder werden dann im besten Fall dann noch präpariert.

Timm: Vogelschützer erleben da ja zum Teil ziemlich militante Situationen, habe ich gehört. Was passiert denn da unten, wenn man versucht, die Vögel zu schützen?

Fischer: Insbesondere in Malta oder auf Malta sind ja in den letzten Jahren Vogelzugcamps ausgerüstet worden, um dort einerseits die massive Vogeljagd zu dokumentieren und auch auf EU-Ebene beispielsweise dagegen etwas unternehmen zu können und auch, um mit der örtlichen Polizei gegen die einzelnen Jäger konkret vorzugehen. Ja, und die Jäger dort wollen natürlich von ihrem Hobby nicht lassen und sind teilweise doch recht militant und haben also gerade in diesem Frühjahr Autos der Naturschützer demoliert, und es gab also tatsächlich tätliche Angriffe auf Vogelschützer vor Ort.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", im Gespräch mit dem Vogelschützer Stefan Fischer. Herr Fischer, gibt es illegale Jagd eigentlich auch in Deutschland?

Fischer: Ja, wir hätten vor einigen Jahren noch nicht gedacht, dass wir letztendlich wieder in mittelalterliche Verhältnisse zurückfallen. Greifvögel sind seit vielen Jahrzehnten offiziell oder gesetzlich geschützt, aber die illegale Verfolgung von Greifvögeln und anderen Arten nimmt also wieder doch ganz erstaunliche Ausmaße an. Das sind teilweise Taubenzüchter, die nicht mögen, wenn der Habicht mal eine Brieftaube schlägt, das sind teilweise Jäger, die befürchten, dass Mäusebussarde oder Habichte das Niederwild zu stark dezimieren, oder es sind Präparatoren, die einfach ganz gerne einen Baumfalken oder einen Wanderfalken als Präparat haben. Oder vor einiger Zeit sind beispielsweise auch Eiersammler durch die Medien gegangen, die nach wie vor ihrem Hobby frönen, sich eine große Eiersammlung anlegen zu müssen.

Timm: Betrifft das nur seltene Greifvögel oder ballern manche Vogelschießer auch einfach wild herum?

Fischer: Ja, es gibt auch Meldungen, dass immer mal wieder auf Störche geschossen wird. Das sind dann also oftmals Jugendliche in Dörfern, die mit ihrer Freizeit nichts so richtig anzufangen wissen und aus Spaß auf solche Vögel schießen.

Timm: Muss man da nicht auch ein bisschen differenzieren? Wenn man auf seltene Greifvögel schießt, dann ist das sicherlich indiskutabel, aber Tauben oder Elster, kann man Jägern da so böse sein, die gibt es reichlich, die nehmen den Singvögeln den Platz weg, und ja, Wildschweine isst man schließlich auch? Gibt es auch Vögel, die man abschießen dürfte?

Fischer: Es gibt Vogelarten, die dem Jagdrecht unterliegen und die also auch eine Jagdzeit haben. Dazu gehören also Taubenarten, Entenarten, Gänsearten. Wir Ornithologen sehen die Vogeljagd grundsätzlich nicht gerne, weil mit der Vogeljagd immer massive Störungen verbunden sind. Die Tiere verlieren in der Zugzeit Energie, und Energie ist das, was sie während der Zugzeit insbesondere brauchen. Deswegen lehnen wir im Prinzip die Vogeljagd ab. Sie ist gesetzlich auf einige Arten genehmigt und wird in diesem Sinne also auch toleriert.

Timm: Sie fahnden als Avifaunist auch nach Vögeln, die es womöglich schon lange gar nicht mehr gibt, nach dem Dünnschnabelbrachvogel zum Beispiel. Was ist das für ein Tier?

Fischer: Ja, der Dünnschnabelbrachvogel ist sicherlich einer der seltensten Vogelarten der Welt oder zumindest eine der seltensten Vogelarten, die hier in Europa auftreten. Die Art brütete oder brütet im fernen Sibirien, in der Umgebung von Omsk und Tomsk, und da gibt es ganz wenige Gelege oder Nestfunde aus dem vorletzten Jahrhundert. Die Art zieht quer durch Europa und überwintert offensichtlich in Nordwestafrika. Und die Nachweise dieser Art werden in den letzten Jahren immer spärlicher, sodass der Gesamtbestand auf deutlich unter 50 Vögel geschätzt wird.

Timm: Wann hat man denn den letzten Dünnschnabelbrachvogel sicher gesehen?

Fischer: Ja, die letzten sicheren Nachweise sind schon einige Jahre her. Es gibt immer mal wieder Beobachtungen, die die Art durchaus betreffen können, aber wo man sich nicht ganz sicher ist, ob es eventuell eine Verwechslung mit einer anderen Brachvogelart ist. Also die letzte nicht verbürgte Beobachtung oder nicht ganz sicher verbürgte Beobachtung datiert aus dem Jahr 2007.

Timm: Sie haben uns erzählt, dass es wahrscheinlich nur noch etwa 50 dieser seltenen Vögel gibt. Wie geht denn das praktisch, wenn man Ihnen nachspürt als Avifaunist, mit Augen auf ist das ja wohl nicht getan, das braucht doch sicher ganz detektivischen Spürsinn?

Fischer: Am ehesten kann man diese Art tatsächlich in ihren Überwinterungsgebieten finden, also beispielsweise Marokko, Tunesien, und da werden von verschiedensten ornithologischen Verbänden auch Suchexpeditionen ausgestattet, wo also systematisch bestimmte Feuchtgebiete abgesucht werden in der Hoffnung, dann doch noch einen Dünnschnabelbrachvogel zu finden.

Timm: Stefan Fischer war das, Vorsitzender des Dachverbandes der Deutschen Avifaunisten. Vielen Dank fürs Gespräch, und Herr Fischer, ich wünsche Ihnen, dass Sie den Dünnschnabelbrachvogel finden!