"Völlig neue Dimensionen"
Für Helmut Digel, Sportsoziologe an der Universität Tübingen, sind die Medien bei der Vermarktung der Olympischen Spiele bedeutend. Vor allem das Fernsehen spiele eine entscheidende Rolle, sagte Digel.
Gabi Wuttke: Noch knapp 18 Stunden, dann werden in Vancouver die 21. Olympischen Winterspiele eröffnet. An die viereinhalb Milliarden Euro dürfte die Stadt ausgegeben haben, um sich der Welt ski- und rodelgerecht präsentieren zu können. Trotzdem gehört Vancouver eigentlich nicht mehr den Kanadiern, sondern dem IOC.
Denn das Internationale Olympische Komitee wacht mit Argusaugen sogar über den Luftraum, damit sich keine Wolke unerlaubt vor das Werbebanner eines Sponsors schieben kann. Helmut Digel ist Sportsoziologe an der Universität Tübingen und kennt sich auch mit den Vermarktungsstrategien des Sports bestens aus. Guten Morgen!
Helmut Digel: Guten Morgen!
Wuttke: Wann hat die Kommerzialisierung der Olympischen Spiele eigentlich eingesetzt?
Digel: Also bereits bei den ersten Olympischen Spielen der Moderne, also 1896, gab es Sponsorenpartnerschaften, und man muss eigentlich zurückgehen in das 19. und 18. Jahrhundert, man muss nach England gehen, um diese enge Verbindung zwischen Sport und Geld zu verstehen. Denn wir sprechen ja von einem Wettkampfsport, der bei diesen Olympischen Spielen stattfindet, und da ist schon die Verbindung gegeben über das Wort der Wette.
Es gab einen berühmten Läufer, Captain Barclay, etwa um 1800 lief er in England, und er hatte seine Wetten so organisiert, dass er ganz bestimmte Zeiten vorgab, und wenn er diese Zeit erreicht hat, dann konnten diejenigen, die das ihm zugetraut haben, ihre Wetten gewinnen, und die gegen ihn gewettet hatten, die hatten ihre Wetten verloren. Und Captain Barclay konnte Wettumsätze tätigen bereits in Millionenhöhe.
Also ich spreche hier von Pfund, in dieser Zeit. Und das hat zu Wettläufen überall in Europa geführt. Wir kennen vergleichbare Veranstaltungen in Frankfurt oder in Wien, etwa um 1820, 1830 bis 1850 wurde überall in Europa gegen bares Geld gelaufen.
Und deswegen ist es nicht überraschend, dass die Frage des Geldes bei den Olympischen Spielen schon 1896 eine zentrale Rolle gespielt hat, und die Olympischen Spiele im Jahr 1900 haben auch nicht von ungefähr in Verbindung mit einer Weltausstellung stattgefunden. Also hier sieht man auch die enge Verbindung mit der Wirtschaft. Der …
Wuttke: Aber noch mal, ein ganz …
Digel: Der erste Sponsor, vielleicht noch hinzugefügt, war Kodak, der die Olympischen Spiele gesponsert hat.
Wuttke: Jetzt ist der große Sponsor Coca-Cola, aber darauf kommen wir vielleicht noch zu sprechen. Wenn wir jetzt zumindest ins 20. Jahrhundert gehen und den gewaltigen Schritt der Kommerzialisierung unter dem IOC-Präsidenten Samaranch Anfang der 80er-Jahre - wie gewaltig war denn dieser Schritt für Sie aus Ihrer Sicht?
Digel: Also diese Kommerzialisierung, und die ja auch mit einer Totalisierung des Hochleistungssports einhergeht, die hat in der Tat völlig neue Dimensionen. Da spielt vor allem das Fernsehen eine entscheidende Rolle. Und die Vermarktung der Fernsehrechte, die haben zu einem Einnahmegeschäft für das IOC geführt, das man zuvor sich so nicht vorstellen konnte.
Wir haben nun sogenannte Topprogramme zu beobachten, die das IOC alle vier Jahre auflegt, und dem IOC ist es gelungen, von einer Olympiade zur nächsten diese Einnahmen aus dem Bereich des Marketings und aus dem Bereich des Fernsehens nahezu kontinuierlich in einer Größenordnung von 30 bis 80 Prozent zu erhöhen.
Wuttke: Wir sprechen also jetzt nicht mehr von den Millionen von 1898 und auch nicht von Pfund, wir sprechen von Milliarden, wir sprechen von Dollar, wir sprechen von Euro. Wir kommen über Kodak zum Film, und wir kommen zu der Frage, ob Sie der Meinung sind, dass in den Zeiten, als es den Olympischen Spielen ja wirklich schlecht ging, ein Samaranch kam und, eben weil er die Olympischen Spiele durch eine Kommerzialisierung zur größten Show der Welt gemacht hat, tatsächlich noch den olympischen Gedanken dabei behalten konnte?
Digel: Die Frage ist, welche Qualität dieser olympische Gedanke heute haben soll. Mit Eröffnung der Spiele, das heißt, mit der Entscheidung, dass man auch die Profiathleten bei diesen Spielen zulässt und dass man damit die weltbesten Athleten einer jeden Sportart zusammenführt, mit dieser Entscheidung war klar, dass dieser Steigerungsimperativ eine enorme - also das Höher, Schneller, Weiter - eine enorme Gefahr für die Entwicklung der Sportarten in sich birgt. Und das Dopingproblem war deshalb nahezu die zwangsläufige und folgerichtige Erscheinung, mit dem der olympische Sport nun zu kämpfen hat.
Die Kommerzialisierung führte natürlich auch dazu, dass wenn so viel Geld im Spiel ist, dann ist die ganze Angelegenheit für die Beteiligten verführerisch. Dass beispielsweise Korruption in Verbindung der jüngeren Organisation der Olympischen Spiele auftaucht, ist deshalb kaum überraschend. Und man sieht eben, dass solche Entscheidungen wohl positive Effekte nach sich ziehen, aber auch erhebliche negative Nebenwirkungen erzeugen, die meistens bei der Entscheidung selbst nicht bedacht waren.
Wuttke: Das heißt, gibt es überhaupt noch etwas oder besteht die Chance, überhaupt noch etwas von diesem olympischen Gedanken zu bewahren, oder ist der längst tot?
Digel: Also aus der Sicht der Athleten, da gibt es durchaus diesen olympischen Gedanken. Die Olympischen Spiele sind für die Athleten etwas Besonderes, insbesondere für junge Athleten, die zum ersten Mal an Olympischen Spielen teilnehmen. Sich mit den Athleten aus aller Welt zu messen, gemeinsam in einem Athletendorf zu wohnen, auch sich den Ritualen zu unterwerfen, die bei den Olympischen Spielen gelten und die zu beachten sind, das führt zu einem Sportereignis, das einen anderen Charakter hat als beispielsweise die Weltmeisterschaften in einer Sportart.
Das wird von den Athleten so immer wieder bestätigt, und ich denke auch, dass die Öffentlichkeit die Olympischen Spiele anders wahrnimmt, allein durch die Ritualisierung der Spiele, als dies beispielsweise bei einer Fußballweltmeisterschaft der Fall ist. Dennoch hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die Präsentation der Spiele selbst ausschließlich ausgerichtet ist auf die Spitzenleistungen.
Die Selektion der Medien ist auf den Star ausgerichtet, und damit ist eigentlich das, was das Olympische ausmacht, immer weiter in den Hintergrund getreten. Wenn man von olympischen Werten spricht, so kann man die wohl in den Reden von Funktionären noch erkennen, aber gelebt werden sie nur noch selten. Und insofern hat die Kommerzialisierung die Olympischen Spiele von ihrer Konzeption her entscheidend verändert.
Wuttke: Die Olympischen Spiele und der Kommerz. Dazu im Deutschlandradio Kultur Helmut Digel, Sportsoziologe an der Universität Tübingen. Knapp 18 Stunden noch, dann werden sie eröffnet, die Olympischen Winterspiele in Vancouver. Herr Digel, vielen Dank, einen schönen Tag!
Digel: Bitteschön!
Denn das Internationale Olympische Komitee wacht mit Argusaugen sogar über den Luftraum, damit sich keine Wolke unerlaubt vor das Werbebanner eines Sponsors schieben kann. Helmut Digel ist Sportsoziologe an der Universität Tübingen und kennt sich auch mit den Vermarktungsstrategien des Sports bestens aus. Guten Morgen!
Helmut Digel: Guten Morgen!
Wuttke: Wann hat die Kommerzialisierung der Olympischen Spiele eigentlich eingesetzt?
Digel: Also bereits bei den ersten Olympischen Spielen der Moderne, also 1896, gab es Sponsorenpartnerschaften, und man muss eigentlich zurückgehen in das 19. und 18. Jahrhundert, man muss nach England gehen, um diese enge Verbindung zwischen Sport und Geld zu verstehen. Denn wir sprechen ja von einem Wettkampfsport, der bei diesen Olympischen Spielen stattfindet, und da ist schon die Verbindung gegeben über das Wort der Wette.
Es gab einen berühmten Läufer, Captain Barclay, etwa um 1800 lief er in England, und er hatte seine Wetten so organisiert, dass er ganz bestimmte Zeiten vorgab, und wenn er diese Zeit erreicht hat, dann konnten diejenigen, die das ihm zugetraut haben, ihre Wetten gewinnen, und die gegen ihn gewettet hatten, die hatten ihre Wetten verloren. Und Captain Barclay konnte Wettumsätze tätigen bereits in Millionenhöhe.
Also ich spreche hier von Pfund, in dieser Zeit. Und das hat zu Wettläufen überall in Europa geführt. Wir kennen vergleichbare Veranstaltungen in Frankfurt oder in Wien, etwa um 1820, 1830 bis 1850 wurde überall in Europa gegen bares Geld gelaufen.
Und deswegen ist es nicht überraschend, dass die Frage des Geldes bei den Olympischen Spielen schon 1896 eine zentrale Rolle gespielt hat, und die Olympischen Spiele im Jahr 1900 haben auch nicht von ungefähr in Verbindung mit einer Weltausstellung stattgefunden. Also hier sieht man auch die enge Verbindung mit der Wirtschaft. Der …
Wuttke: Aber noch mal, ein ganz …
Digel: Der erste Sponsor, vielleicht noch hinzugefügt, war Kodak, der die Olympischen Spiele gesponsert hat.
Wuttke: Jetzt ist der große Sponsor Coca-Cola, aber darauf kommen wir vielleicht noch zu sprechen. Wenn wir jetzt zumindest ins 20. Jahrhundert gehen und den gewaltigen Schritt der Kommerzialisierung unter dem IOC-Präsidenten Samaranch Anfang der 80er-Jahre - wie gewaltig war denn dieser Schritt für Sie aus Ihrer Sicht?
Digel: Also diese Kommerzialisierung, und die ja auch mit einer Totalisierung des Hochleistungssports einhergeht, die hat in der Tat völlig neue Dimensionen. Da spielt vor allem das Fernsehen eine entscheidende Rolle. Und die Vermarktung der Fernsehrechte, die haben zu einem Einnahmegeschäft für das IOC geführt, das man zuvor sich so nicht vorstellen konnte.
Wir haben nun sogenannte Topprogramme zu beobachten, die das IOC alle vier Jahre auflegt, und dem IOC ist es gelungen, von einer Olympiade zur nächsten diese Einnahmen aus dem Bereich des Marketings und aus dem Bereich des Fernsehens nahezu kontinuierlich in einer Größenordnung von 30 bis 80 Prozent zu erhöhen.
Wuttke: Wir sprechen also jetzt nicht mehr von den Millionen von 1898 und auch nicht von Pfund, wir sprechen von Milliarden, wir sprechen von Dollar, wir sprechen von Euro. Wir kommen über Kodak zum Film, und wir kommen zu der Frage, ob Sie der Meinung sind, dass in den Zeiten, als es den Olympischen Spielen ja wirklich schlecht ging, ein Samaranch kam und, eben weil er die Olympischen Spiele durch eine Kommerzialisierung zur größten Show der Welt gemacht hat, tatsächlich noch den olympischen Gedanken dabei behalten konnte?
Digel: Die Frage ist, welche Qualität dieser olympische Gedanke heute haben soll. Mit Eröffnung der Spiele, das heißt, mit der Entscheidung, dass man auch die Profiathleten bei diesen Spielen zulässt und dass man damit die weltbesten Athleten einer jeden Sportart zusammenführt, mit dieser Entscheidung war klar, dass dieser Steigerungsimperativ eine enorme - also das Höher, Schneller, Weiter - eine enorme Gefahr für die Entwicklung der Sportarten in sich birgt. Und das Dopingproblem war deshalb nahezu die zwangsläufige und folgerichtige Erscheinung, mit dem der olympische Sport nun zu kämpfen hat.
Die Kommerzialisierung führte natürlich auch dazu, dass wenn so viel Geld im Spiel ist, dann ist die ganze Angelegenheit für die Beteiligten verführerisch. Dass beispielsweise Korruption in Verbindung der jüngeren Organisation der Olympischen Spiele auftaucht, ist deshalb kaum überraschend. Und man sieht eben, dass solche Entscheidungen wohl positive Effekte nach sich ziehen, aber auch erhebliche negative Nebenwirkungen erzeugen, die meistens bei der Entscheidung selbst nicht bedacht waren.
Wuttke: Das heißt, gibt es überhaupt noch etwas oder besteht die Chance, überhaupt noch etwas von diesem olympischen Gedanken zu bewahren, oder ist der längst tot?
Digel: Also aus der Sicht der Athleten, da gibt es durchaus diesen olympischen Gedanken. Die Olympischen Spiele sind für die Athleten etwas Besonderes, insbesondere für junge Athleten, die zum ersten Mal an Olympischen Spielen teilnehmen. Sich mit den Athleten aus aller Welt zu messen, gemeinsam in einem Athletendorf zu wohnen, auch sich den Ritualen zu unterwerfen, die bei den Olympischen Spielen gelten und die zu beachten sind, das führt zu einem Sportereignis, das einen anderen Charakter hat als beispielsweise die Weltmeisterschaften in einer Sportart.
Das wird von den Athleten so immer wieder bestätigt, und ich denke auch, dass die Öffentlichkeit die Olympischen Spiele anders wahrnimmt, allein durch die Ritualisierung der Spiele, als dies beispielsweise bei einer Fußballweltmeisterschaft der Fall ist. Dennoch hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die Präsentation der Spiele selbst ausschließlich ausgerichtet ist auf die Spitzenleistungen.
Die Selektion der Medien ist auf den Star ausgerichtet, und damit ist eigentlich das, was das Olympische ausmacht, immer weiter in den Hintergrund getreten. Wenn man von olympischen Werten spricht, so kann man die wohl in den Reden von Funktionären noch erkennen, aber gelebt werden sie nur noch selten. Und insofern hat die Kommerzialisierung die Olympischen Spiele von ihrer Konzeption her entscheidend verändert.
Wuttke: Die Olympischen Spiele und der Kommerz. Dazu im Deutschlandradio Kultur Helmut Digel, Sportsoziologe an der Universität Tübingen. Knapp 18 Stunden noch, dann werden sie eröffnet, die Olympischen Winterspiele in Vancouver. Herr Digel, vielen Dank, einen schönen Tag!
Digel: Bitteschön!