Völkische Siedler in Brandenburg

Wie eine Sekte ein Dorf übernimmt

10:15 Minuten
Russische Familien folgen der Anastasia-Bewegung, die auf den Ideen der spirituellen Bücher von Wladimir Megre basiert.
Die Anastasia- Bewegung in Russland dient als Vorbild für deutsche Gründungen. © laif / Yuri Kozyrev
Von Christoph Richter · 02.12.2020
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Der erste Anschein: Hier sind Nostalgiker am Werke, die ein bisschen am "Früher" hängen. Doch hinter der Anastasia-Bewegung, die sich nordwestlich von Berlin ihre eigene kleine Welt geschaffen hat, steckt mehr. Ein Besuch im Umfeld einer Sekte.
Der Novembernebel liegt tief und schwer über den Wiesen, Feldern und Auen der hügeligen Prignitz im Nordwesten Brandenburgs. Für bundesweites Aufsehen sorgt seit geraumer Zeit das 240-Seelen-Dorf Grabow, weil sich hier Anhänger der sogenannten "Anastasia"-Landsiedlerbewegung niedergelassen haben. Reden wollen die Beteiligten allerdings nicht.
"Wird doch sowieso alles verkehrt dargestellt. Sind unsere Gelder, mit denen ihr arbeitet. Ich möchte einfach eine objektive Berichterstattung, mehr nicht. Ich verfolge euch schon eine ganze Zeit. Das reicht. Seien Sie froh, dass ich weggehe", sagt ein Mann aus dem näheren Umkreis der russischen "Anastasia"-Bewegung, dem sogenannten "Goldenen Grabow".

Mit einem rostigen Pflug über die Felder

Schnell wird deutlich: Die Stimmung ist angespannt. Viele in der Gegend winken bei Nachfragen ab. Aus Angst, dass der eigene Name öffentlich wird. Die Frauen in weiten einfarbigen Kleidern und die Männer, die das Feld mit einem rostigen Pflug wie vor 100 Jahren mit Muskelkraft bearbeiten, seien keinesfalls harmlose Ökos, sondern völkische Siedler, die den Ort, ja die Gegend, verändern.
- "Ich find das nicht gut…"
- "Warum? Können Sie es kurz sagen?"
- "Nein."

- "Schon davon gehört…"
- "Was halten Sie davon?"
- "Oh, nicht aufnehmen."
- "Nein?"
- "Nein!"
- "Wie ist die Stimmung hier?"
- "Nein, nein."
Der frühere Ortsvorsteher Markus Krause gilt, zusammen mit seiner Frau Iris Krause, als die Schlüsselfigur der "Anastasia"-Bewegung in Grabow. Einer seiner Nachbarn ist der 72-jährige Kurt Schramm. Er lehnt am Gartenzaun und ist einer der wenigen, der spricht. Man kenne sich seit Jahrzehnten, sagt der frühere Traktorist:
- "Was soll ich dazu sagen. Ich komm mit allen gut aus."
- "Was halten Sie davon?"
- "Stört mich gar nicht, ich habe nichts dagegen. Bin mit einigen gar befreundet. Helfen uns auch gegenseitig. Solange sie mich in Ruhe lassen, ist mir alles egal."

Über allem die feenhafte Anastasia

Grundlage der "Anastasia"-Bewegung ist die zehnbändige Romanreihe "Anastasia – Tochter der Taiga" aus der Feder des russischen Autors und Unternehmers Wladimir Megre. Zentrale Figur ist die feenhafte Anastasia, mit blondem wallendem Haar. Eine übernatürliche esoterische Botschafterin einer "natur-harmonischen Lebensweise". Zur Vollendung dieser Lebensform sind ein Hektar große "Landsitze" aufzubauen.
Die Dorfkirche von Grabow im herbstlichen Nebel.
Ein Dorf wird zum Sammelpunkt von Rechten: Der frühere Ortsvorsteher und dessen Frau gelten als Schlüsselfiguren der "Anastasia"-Bewegung in Grabow.© Deutschlandradio / Richter
Letztlich geht es um die Selbstversorgung von Menschen mit blonden Haaren, blauen Augen, die im erdigen Einklang mit der Natur leben. Klingt harmlos, ist es aber keinesfalls, sagt die Historikerin Laura Schenderlein. Sie arbeitet im Mobilen Beratungsteam bei "Demos", dem "Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung":
"Es wird die Geschichte erzählt, dass wir alle manipuliert sind und uns in einer Art Schlaf befinden, aus dem wir erweckt werden müssen, um zur Glückseligkeit zurückzukommen. Die Demokratie ist die Manipulationstechnik, der wir unterworfen sind, wo die Politiker die Marionetten darstellen, die uns nach ihren Vorstellungen tanzen lassen. Und im Hintergrund steht eine Elite, die die Fäden in der Hand hält."
Zum Vorschein kämen antisemitische Stereotype und Verschwörungstheorien. Im Nazi-Duktus werde behauptet, die Juden kontrollierten den weltweiten Geldfluss. Und: "Dass wir alle manipuliert sind von einem jüdischen Kreis im Hintergrund, von jüdischen Priestern."

Das völkische Siedlungsprojekt "Goldenes Grabow"

Schlüsselfiguren der "Anastasia"-Bewegung in Brandenburg sind Markus und Iris Krause mit ihrem sogenannten Dorferneuerungsprojekt "Goldenes Grabow". Ihnen gehe es dabei nach Ansichten von Szene-Kennern um die Anschlussfähigkeit an rechtsextreme Strukturen. Denn ganz so friedlich, wie sich die Krauses gerne präsentieren, sind sie nicht.
Deutlich wird das bei einer Bürgerversammlung, als man 2015 Stimmung gegen Geflüchtete macht. Zu sehen in einem selbstproduzierten Video aus dieser Zeit. Markus Krause sagt: "Sollten uns unsere Politiker, Beamte, Soldaten, nicht mehr dienen wollen, bauen wir kleine Strukturen auf." Iris Krause: "Über die drei Unterschriftensammlungen hinaus haben wir vorgeschlagen, im Falle eines Falles eine Dorfwehr zu bilden."

Der Bewegung gehören wohl mehr als 80 Hektar Land

2015 wird in Grabow ein einwöchiges Sommerlager durchgeführt. Organisiert vom Jugendbund Sturmvogel, einer Abspaltung der verbotenen rechtsextremen Wiking-Jugend. Öffentlich gemacht hat das die Investigativjournalistin Andrea Röpcke. Für Irritation sorgt, dass Krause ein vom Land "öffentlich bestellter Vermesser" ist.
Er hat ein Büro und ein gutes Dutzend Mitarbeiter und ist in Pritzwalk unterwegs. Damit habe er, so die Kritik, früh Kenntnis, welche Flächen und Gebäude zum Verkauf stünden. Nach Recherchen des ARD-Magazins "Kontraste" sollen der "Anastasia"-Kolonie "Goldenes Grabow" bereits mehr als 80 Hektar Land gehören.
Gerne hätten wir zu all den Aspekten mit Markus Krause selbst gesprochen. Lange reagiert er nicht auf die Anfrage. Schließlich schreibt er in einer E-Mail:
"Schon die Art Ihrer Fragestellung erzeugt in mir allerdings das Gefühl eines Déjà-vu-Erlebnisses. Da frage ich mich natürlich, welchen Sinn soll es haben, dass Sie und ich sich austauschen?"
Krause möchte ausführlich dargelegt haben, welche "Absichten und Zielstellungen" das Gespräch haben soll und fragt nach einem "Drehbuch".
Der Umgang mit Markus Krause sei nicht einfach, sagt Holger Kippenhahn von der Linkspartei. Er ist der Bürgermeister der Einheitsgemeinde Heiligengrabe, zu der auch Grabow gehört:
"Weil Krause auch Reichsbürger-Manieren hat. Das haben wir bei Corona gemerkt. Wenn es darum geht, dass er einen Ausweis kriegt, sagt er: Er kommt nicht mit einer Maske hier herein, weil: Das könne er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren."

Sorge um "alarmistische Berichterstattung"

Bürgermeister Kippenhahn warnt aber, wie er sagt, vor einer "alarmistischen Berichterstattung" und kritisiert die Medien, die nur "scharf auf so ein Thema seien". Gleichzeitig räumt er ein, dass man die Bewegung nicht verharmlosen dürfe. Denn es seien keinesfalls Öko-Hipster, sondern rechte Siedler, die auf regionale Traditionen Einfluss nehmen wollen.
Eine unterschätzte Gefahr nennt die Brandenburger Landtagsabgeordnete der Linken, Andrea Johlige, die "Anastasia"-Bewegung. Sie fordert einen genaueren Blick der verantwortlichen Behörden:
"Das sehe ich derzeit noch nicht. Weil: Derzeit ist mein Eindruck tatsächlich, dass das überhaupt noch niemand auf dem Plan hat. Also das Bildungsministerium hat nicht auf dem Plan, dass es möglicherweise tatsächlich ein Problem sein könnte, wenn die ihre Kinder gerade dem Schulsystem entziehen."
Nach Angaben des Bildungsministeriums in Potsdam würden derzeit drei Kinder aus zwei Grabower Familien den Schulbesuch seit Februar 2020 bzw. seit Beginn des neuen Schuljahres dauerhaft verweigern. Mit einer betroffenen Familie wurden persönliche Gespräche geführt, heißt es weiter. Die zweite Familie habe auf Kontaktversuche nicht reagiert. Außerdem wurde ein Zwangsgeld angedroht bzw. festgesetzt. Jetzt prüfen die Behörden wegen Kindeswohlgefährdung.

Eine Generation, verloren für das demokratische System

"Weil: Wenn Kinder nie was anderes hören, auch keine Kontakte zu anderen Kindern haben, dann ist das natürlich eine gewisse Form von Indoktrination. Es steht zu befürchten, dass diese Generation dann auch quasi verloren ist fürs demokratische System."
Gerüchte, das im Umfeld der "Anastasia"-Bewegung eine Grabower Familie gar vor dem Verwaltungsgericht Potsdam das Recht bekommen habe, die Kinder selbst zu beschulen, haben sich bisher nicht bestätigt.
Linken-Politikerin Johlige kritisiert den Verfassungsschutz des Landes Brandenburg, der die "Anastasia"-Bewegung nicht auf dem Plan habe. Vorwürfe mit denen man im Potsdamer Innenministerium wenig anfangen kann. Der Verfassungsschutz stehe im direkten und regelmäßigen Austausch mit den Verantwortlichen in der Gemeinde Grabow. Man sei an gesetzliche Grundlagen gebunden, die Hürden einer Beobachtung liegen hoch, sagt Michael Hüller, Politikwissenschaftler und Referent für Rechtsextremismus beim Brandenburger Verfassungsschutz: "Seien Sie versichert: Bei 'Anastasia' in Brandenburg schauen wir genau hin."
Aber erst, wenn man belegbare "organisierte Bestrebungen" in der Hand habe, die zeigen, dass sich die "Anastasia"-Bewegung gegen die offene und freie Gesellschaft richtet, könne man sie in Brandenburg als Beobachtungsfall einstufen. "Wir sind bei der vertieften Überprüfung und werden in absehbarer Zeit zu einem Ergebnis kommen."
Mit Sorge sieht man beim Verfassungsschutz mögliche Verbindungen des "Anastasia"-Kultes mit russischen Sektenanhängern und erkennt eine gewisse Putin-Begeisterung, einen Herrscher-Kult. Klar ist: Hier sind keine harmlosen Esoteriker unterwegs, sondern völkische Siedler, die mittels einer esoterischen Naturromantik antidemokratische Ressentiments bedienen, unterstreicht Rechtsextremismus-Expertin Laura Schenderlein:
"Festzustellen ist, dass es nicht weniger wird, sondern es ist vielmehr davon auszugehen, dass auch in der nächsten Zeit verstärkt Leute gibt, die sich in solche Szenen verabschieden. Oder Interesse daran hegen."
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