Völkische Esoterik in Kunst transformiert

Hans-Peter Riegel im Gespräch mit Vladimir Balzer · 21.05.2013
Mit seinen Thesen zu rechtem Gedankengut in Joseph Beuys' Leben und Werk sorgt der Autor Hans-Peter Riegel für Aufsehen. Er will beweisen, dass der Künstler von germanischem Okkultismus beeinflusst gewesen sei und in Kontakt mit ehemaligen Nazi-Ideologen gestanden habe.
Vladimir Balzer: Joseph Beuys, der wohl berühmteste Installations- und Aktionskünstler der 70er und 80er in Europa, als völkischer Denker? Die These seines jüngsten Biografen Hans Peter Riegel scheint kühn. Er begründet sie aber nicht mit Beuys‘ Anwesenheit bei Kameradschaftsabenden oder mit seinen Kriegserfahrungen, von denen er später sagte, er habe sich moralisch nichts vorzuwerfen, sondern mit eher der Nähe zu den Anthroposophen, die gerne der Lehre von Rudolf Steiner anhängen. Vor allem dem kultischen, germanischen, national-esoterischen Teil seines Denkens – das, woran heutige Waldorfschulen nicht so sehr erinnert werden wollen.

Die neue Biografie über Beuys löst schon jetzt viele Kontroversen aus und bringt dem anerkannten Autor heftigste Reaktionen ein. Hans-Peter Riegel, Sie schreiben, Beuys, der international so erfolgreich war, sei bis ins Mark völkisch gewesen. Woran genau machen Sie das fest?

Hans-Peter Riegel: Hinsichtlich der Definition des Völkischen, wie man sie auf Beuys anwenden kann, kann man von einer über die Steiner-Lektüre von Beuys rezipierten spezifischen völkischen Esoterik sprechen, und zwar ist die bestimmt durch vorchristlichen, germanischen, keltischen Okkultismus. Dabei steht in dieser weiteren Entwicklung dieser Art von völkischem Gedankengut die Sonderrolle des Germanischen, des Deutschen in der Weltentwicklung im Mittelpunkt. Und der Rudolf Steiner hat das in mannigfaltiger Weise ausgeführt, da gibt es so wunderbare Schriften wie "Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie". Und von solchem Gedankengut, von solchen Schriften gibt es da bei Steiner sehr viel zu finden. Beuys hat das in sehr weiten Teilen angenommen, hat das in seine Art der Kunstausübung transformiert und in diesem Sinne auch Steiner auf eine fast überraschend direkte Art und Weise interpretiert.

Balzer: Weil Sie sagen, in der Kunst transformiert, wie genau zeigt sich das denn in der Kunst? Ich meine, wir müssen ja immer noch unterscheiden natürlich zwischen der Biografie der Person von Joseph Beuys und der eigentlichen Kunst, obwohl das ja auch sehr nahe beieinander lag. Aber bleiben wir mal bei der Kunst selbst: Ist das sichtbar, was Sie gerade beschreiben?

Riegel: Beuys hat seine Kunst sehr häufig als "Vehikel-Art" bezeichnet. Er sprach von Antennen, die er platziert bei den Menschen, die er erreichen will durch seine Kunst, eben durch seine Dinge, die er dort ausstellt. Das ist mal eine ganz wichtige Denkschiene in diesem Zusammenhang, die man wissen muss. Das Zweite ist, dass Beuys in seiner gesamten Materialauswahl, begonnen mit dem Fett über den Filz, über die Erde, den Boden, all diese auch organischen Substanzen, die er benutzt hat, sich sehr, sehr eng an die Gedankenwelt Steiners gelehnt hat und dort Bezüge hergestellt hat.

Also Fett ist ein gutes Beispiel: Steiner beschreibt diese Art von Aggregatzuständen des Fett, auch diese paraphysikalischen Phänomene des Fett in fast gleicher Art und Weise, wie sie Beuys dann übernommen hat und dann auch damit selber seine Anwendung des Fett beschrieben hat. Das ist fast deckungsgleich, und das weise ich in meinem Buch nach.

Balzer: Das könnte man noch als Naturnähe durchgehen lassen, also wenn Waldorfschüler mit Filz und Fett arbeiten, ist das vielleicht einfach handwerklich und sinnlich.

Riegel: Ja, aber das Problem ist, dass Beuys natürlich alle die Dinge, die er gemacht hat, determiniert hat. Er hat den Dingen eine sehr konkrete Bedeutung verliehen, und ich kann ja nur darauf hinweisen, und das tue ich in meinem Buch an sehr, sehr vielen Stellen sehr, sehr präzise, indem ich Abgleiche schaffe mit den Dingen, die Steiner gesagt hat und die Beuys dann in diesen Artefakten eins zu eins umgesetzt hat. Und das ist so evident, dass es fast schon schmerzlich ist, das zu sehen.

Hans-Peter Riegel
Hans-Peter Riegel© dpa / picture alliance / Federico Gambarini
"Beuys ist freiwillig Soldat geworden"
Balzer: Dieses Urnationale, sage ich mal, von Steiner, und was Sie jetzt auch bei Joseph Beuys sehen, gibt es da eine direkte Linie auch zu seiner Rolle im Krieg? Ich meine, er war ja selbst Soldat und hat sich danach auch immer wieder mit alten Kampffliegern getroffen, sagt auch selbst von sich – die Zitate gibt es zumindest –, dass er moralisch nichts Falsches getan habe. Er scheint seine Kriegszeit nicht bereut zu haben. Gibt es da eine Brücke, gibt es eine Rechtfertigung für ihn aus den Quellen, die Sie gerade beschreiben?

Riegel: Beuys hat davon gesprochen, er habe während des Krieges Steiner-Literatur zum ersten Mal zur Kenntnis genommen. Das ist nicht nachweisbar und auch sehr unwahrscheinlich. Die Anthroposophen waren, wie Sie vielleicht wissen, während des Krieges verboten. Das ist so eine typische Konstruktion. Also Tat und Wahrheit ist, dass Beuys sehr kurz nach dem Krieg in der Mataré-Klasse mit Anthroposophen in Verbindung kam und dort auch mit in diese anthroposophischen Kreise eingeführt wurde. Und das war bereits 1946, und das ist einwandfrei nachweisbar. Alle anderen Aspekte in dieser Hinsicht sind Legendenbildung.

Es ist in dem Zusammenhang dieser ersten anthroposophischen Erfahrung von Beuys kurz nach dem Krieg nicht diese Unmittelbarkeit zu erkennen zum Beispiel eines emotionalen Bedürfnisses oder einer Art und Weise, zum Beispiel eine Traumatisierung zum Ausdruck zu bringen, das ist nicht so unmittelbar erkennbar. Viel erkennbarer ist jedoch eine Art von Ablösung von einem Ideal mit dem nächsten. Beuys hat sich ja, was bislang auch nicht bekannt war, zwölf Jahre zum Militär gemeldet – ohne Not, er hätte das nicht tun müssen. Er ist dort hingegangen, hat sich freiwillig gemeldet, und er ist Berufssoldat geworden.

Das heißt, er ist natürlich mit einer durchaus grundsätzlichen Begeisterung für diese Dinge, die in dieser Zeit passiert sind, hingegangen und hat sich dort unter Einsatz seines Lebens engagiert. Und man muss wissen, damals haben die Menschen gedacht, der Krieg ist schnell zu Ende. Beuys hingegen hat sich für zwölf Jahre verpflichtet. Verstehen Sie, das ist eine Art und Weise der Annahme eines Systems, ein Glaube auch an Fortschritt in einem System, dem er sicherlich in einem gewissen Maß angehangen hat, und das ist natürlich zerstört worden, das ist natürlich wirklich auf brutalste Weise zerstört worden.

Ich nehme da als Beispiel: In meinem Buch wird zum ersten Mal sehr konkret dargestellt, welche tatsächlichen Kriegserlebnisse der Beuys hatte. Und Beuys ist am Ende des Krieges in brutalste Schlachten geworfen worden, wo es wirklich mit Messern, mit Spaten Mann gegen Mann wirklich um das nackte Überleben ging, und da war der mittendrin, unter Trommelfeuer, unter Granaten, da war der mitten drin, davon hat der nie erzählt. Er hat ein einziges Mal gesagt: Ich kann nicht über den Krieg sprechen, es waren zu viel Tote überall. Das heißt, Beuys ist natürlich einer Ideologie oder einer Idee beraubt worden, der er wie viele andere angehangen hat.

Das war ja eine ganze Generation, die der Fahne gefolgt ist, da war Beuys absolut kein Einzelfall, und da nehme ich ihn auch in einem weiten Maße in meinem Buch aus der Verantwortung. Als junger Mensch konnte der das wahrscheinlich gar nicht sinnvoll beurteilen.

""Durchaus erschrocken" über Beuys' Kontakte zu Altnazis"
Balzer: Aber seine Nachkriegsbiografie ist dann ja ganz anders verlaufen, er hat ja dann später sich eher links verortet, würde man zumindest dann heute auch so sehen: Er war in der Friedensbewegung, hat die Grünen mitbegründet. Das alles scheint ja offenbar auch einen Lernprozess verursacht zu haben, die Erlebnisse im Krieg, oder?

Riegel: Das ist einer der ganz großen zentralen Irrtümer über Beuys, übrigens wie auch über die Grünen. Es ist nachweislich so, dass ehemalige NS-Leute – ich nenne jetzt zum Beispiel Haverbeck, oder zumindest NS-Belastete wie Hausleiter –, dass solche Figuren – oder Baldur Springmann, den kennen ja noch viele wahrscheinlich –, dass solche Figuren an der Schwelle der Gründung der Grünen standen.

Haverbeck zum Beispiel hatte 4,5 Millionen D-Mark damals noch erworben durch die Wahlkampfkostenhilfe in dieser Zeit, in dieser Vorphase der Gründung der Grünen bei der ersten Wahl, bei der Europawahl, wo die kandidiert haben. Und Haverbeck war ein ehemaliger hochrangiger NS-Mann, der war Reichsjugendleiter. Das war nicht ein Mitläufer, sondern das war ein Täter. Und Haverbeck ist nach dem Krieg anthroposophischer Pfarrer geworden. Und wie wir heute wissen, hat Haverbeck nie, aber auch nicht einen einzigen Moment in diesen ganzen Jahren bis zu seinem Tod, abgelassen von seinen rechtsextremen Überzeugungen.

Mit Menschen dieser Couleur hat Beuys politisch sehr eng zusammengearbeitet, das kann ich im Detail nachweisen, und zwar auf eine Art und Weise, die mich selber auch durchaus erschrocken hat. Ich wusste das nicht, und ich habe das erst gelernt während der Arbeit.

Balzer: Ein ganz kurzes, ein abschließendes Wort. Müssen wir jetzt Beuys komplett uminterpretieren?

Riegel: Ich mag mich nicht in die kunsthistorische Debatte einklinken in diesem Moment, aber ich raten dringend dazu, Beuys aus der Perspektive Steiner neu zu betrachten, das wird ganz essenziell sein. Steiner war für Beuys alles, es war die zentrale Leitlinie seines Lebens, und damit muss man auch sein Werk aus der Perspektive Steiner betrachten.

Balzer: Vielen Dank, Hans-Peter Riegel. Seine Beuys-Biografie ist im Aufbau-Verlag erschienen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Weitere Beiträge im Deutschlandradio zu Joseph Beuys:

Beuys war nie "ein Völkischer" - Verleger Klaus Staeck verteidigt den Künstler gegen politische Vorwürfe
Joseph Beuys, die Nazis und die Kunst - Kunstkritiker Carsten Probst über die Beuys-Biografie von Hans-Peter Riegel
"Anziehung und Abstoßung zugleich" - Interview mit dem Verleger Lothar Schirmer