Völkerrechtler hält deutschen Sitz im Sicherheitsrat für "wirklich möglich"
Der ehemalige deutsche Botschafter bei den Vereinten Nationen, Tono Eitel, beschreibt die Chancen Deutschlands auf einen Sitz im UN-Sicherheitsrat als "wahrscheinlich". Deutschland solle seine Bemühungen auch hinter den Kulissen fortsetzen und sich nicht davon beirren lassen, dass einige Staaten dagegen seien, sagte Eitel, Völkerrechtler und von 1995 bis 1998 UNO-Botschafter, im Deutschlandradio Kultur. Bundeskanzlerin Merkel habe in ihrer Rede vor der UNO einen "richtigen Akzent" gesetzt.
Birgit Kolkmann: 15 Mitglieder hat der UN-Sicherheitsrat. Die fünf ständigen haben Vetorecht. Es sind die USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China. Die anderen zehn rotieren. So wie die Strukturen heute sind spiegeln sie das geopolitische Machtgefüge aus dem UN-Gründungsjahr 1945 wider. Doch das ist nicht mehr zeitgemäß. Afrika, Lateinamerika, auch Asien müssten stärker vertreten sein. Andere Staaten haben an politischem Gewicht gewonnen wie Deutschland, zumal Berlin auch der drittstärkste Beitragszahler der Vereinten Nationen ist.
Tono Eitel war von 1995 bis 1998 deutscher UN-Botschafter in New York, führte zeitweise auch den Vorsitz im Sicherheitsrat. Er ist jetzt Honorarprofessor für Völkerrecht an der Ruhr-Universität in Bochum. Schönen guten Morgen in der "Ortszeit"!
Tono Eitel: Schönen guten Morgen, Frau Kolkmann.
Kolkmann: Herr Eitel, wie groß sind denn Deutschlands Chancen auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat?
Eitel: Es gibt jedenfalls hinreichend Chancen, um sich dort zu engagieren. Niemand kann garantieren, wie es ausgehen würde, aber die Bemühungen um eine Reform des Sicherheitsrats laufen schon über 30 Jahre in New York, und wir sind nach 20 Jahren dazugestoßen. Ich glaube, dass dieses Bemühen des Schweißes der Edlen Wert ist.
Kolkmann: Hat denn Angela Merkel das bei Ihrer Rede vor der UN-Vollversammlung deutlich genug angemahnt?
Eitel: Wir verhandeln ja in New York ständig. Da gibt es Ausschüsse, in denen diese Frage erörtert wird und so weiter. Es wäre glaube ich etwas nach Art von Vordrängen geworden, wenn Frau Merkel sich länger und ausführlicher mit dieser Frage - sie hatte ohnehin nur 15 Minuten und der Klimawandel ist ihr wichtig - beschäftigt hätte. Insofern glaube ich, dass das schon der richtige Akzent war, wie er ja auch seit langem bei den deutschen Reden gesetzt wird.
Kolkmann: Sie sagen also, man sollte eigentlich intensiver die Arbeit hinter den Kulissen fortsetzen?
Eitel: Nicht intensiver, aber man sollte sie fortsetzen und man sollte sich nicht dadurch beirren lassen, dass es immer Staaten gibt, die einem nicht zustimmen. Man darf nicht vergessen, dass es schließlich um eine Wahl gehen wird, wenn es je so weit kommt. In einer Wahl kann man verlieren, man kann gewinnen. Ich kalkuliere die deutschen Chancen für eine Zustimmung - wir brauchen wie alle anderen auch eine Zwei-Drittel-Mehrheit, und zwar eine nachhaltige Zwei-Drittel-Mehrheit über Jahre hin - doch als nicht nur möglich, sondern mehr als möglich, als wahrscheinlich.
Kolkmann: Macht es denn Sinn, dass Deutschland als drittes westeuropäisches Land vertreten ist?
Eitel: Es wäre sicherlich sekundär. Sie haben das angesprochen. Der primäre Mangel im Sicherheitsrat ist ja nicht, dass Japan und Deutschland nicht drin sind, sondern dass dort die Entscheider alle, ich sage mal, aus dem Norden kommen, und dass die Aktionen des Sicherheitsrats, gleich ob Blauhelme oder Sanktionsbeschlüsse und Ähnliches, bis auf Jugoslawien, stets - ich sage mal wieder breit - im Süden stattfinden.
Das ist eben auf Dauer nicht mehr tragbar, seitdem die ehemaligen Kolonien selbständige Staaten geworden sind, und deshalb ist es wichtig, dass Länder aus der Dritten Welt, aus dem Süden als Mitbestimmer in den Sicherheitsrat - und das heißt auf ständige Sitze - einziehen. Und dann nur stellt sich die Frage, ob auch andere Länder, die 1945 bei der Gründung nicht dabei waren, wie Japan und Deutschland, ihren Hut in den Ring werfen. Ich hoffe, wir werden das tun und wir werden ja möglicherweise dann auch gewählt werden.
Kolkmann: Geht aber dort nichts ohne die USA?
Eitel: Es geht nichts ohne alle fünf, ohne jeden der fünf ständigen. Wenn einer nicht mitmacht, ist die ganze Operation tot.
Kolkmann: Es geht ja um die Erweiterung des Sicherheitsrats, der ständigen Mitglieder um vier Positionen, wenn ich das richtig verstanden habe. Würde sich das überhaupt nicht widersprechen, wenn man dem Süden stärkeres Gewicht geben würde, auch Asien, und Deutschland dann trotzdem mit hineinrutschen könnte?
Eitel: Es ist eine Frage, wie die Leistungen bewertet werden, die ein Staat für die UNO und für die Weltgemeinschaft erbringt. Da figurieren wir ziemlich weit oben. Japan ist zwar sehr viel bedeutender, was die Finanzen angeht, aber Japan ist etwas zurückhaltend, was seine Truppen angeht. Allerdings hat Japan Truppen oder Leute im Irak, was auch die amerikanische Haltung mit zu erklären hilft.
Aber wir sind in der Welt ja wer, wenn ich das sagen darf, ohne dass das nach Großmannsucht klingen soll. Aber es ist nicht nur denkbar, sondern ich glaube wirklich möglich, dass die Staaten in der UNO uns dann wählen.
Kolkmann: Es klingt ein bisschen so, als würden die USA Deutschland gerne abstrafen wollen, weil sie beim Irak-Einsatz nicht mitgemacht haben.
Eitel: Abstrafen glaube ich nicht. Aber was ich für möglich halte ist, dass sie natürlich sich treue Gehilfen im Sicherheitsrat erwarten. Da hat unser Ruf vielleicht etwas Schaden genommen, aber ich glaube nicht, dass dies einfach eine Züchtigung sein soll. Es ist aber wohl keine Koinzidenz, dass seit der Irak-Invasion und unserer Haltung zu ihr wir nicht mehr in den Reden der USA auftauchen.
Kolkmann: Macht es eigentlich Sinn, perspektivisch einen ständigen Sitz für die Europäische Union anzustreben?
Eitel: Ja, das wäre natürlich wunderbar. Nur das ist eine solche Operation: Es müsste die UNO-Charta nicht nur in Sachen Sicherheitsrat, die UNO-Charta müsste überhaupt geändert werden, denn die UNO kennt nur Staaten als Mitglieder, kennt keine Staatenverbünde als Mitglieder. Zweitens würde natürlich dann die Arabische Liga, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten - also die ehemalige Sowjetunion -, die OAS, die Afrikanische Union, alle würden dann natürlich mit einziehen.
Und drittens würde dann die Frage entstehen, wie wird denn abgestimmt? Stimmt dann in allen Fragen nur noch die Europäische Union, die ja in militärischen Dingen bisher erst in den Kinderschuhen steckt? Stimmt nur sie dann ab, oder stimmen parallel die Mitgliedsstaaten ab? Das ist ein organisatorisch nicht zu entwirrendes Knäuel, und deshalb wird es in dieser langsamen und umständlichen Organisation, die die UNO nun mit 192 Mitgliedsstaaten darstellt, so weit kaum kommen können.
Tono Eitel war von 1995 bis 1998 deutscher UN-Botschafter in New York, führte zeitweise auch den Vorsitz im Sicherheitsrat. Er ist jetzt Honorarprofessor für Völkerrecht an der Ruhr-Universität in Bochum. Schönen guten Morgen in der "Ortszeit"!
Tono Eitel: Schönen guten Morgen, Frau Kolkmann.
Kolkmann: Herr Eitel, wie groß sind denn Deutschlands Chancen auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat?
Eitel: Es gibt jedenfalls hinreichend Chancen, um sich dort zu engagieren. Niemand kann garantieren, wie es ausgehen würde, aber die Bemühungen um eine Reform des Sicherheitsrats laufen schon über 30 Jahre in New York, und wir sind nach 20 Jahren dazugestoßen. Ich glaube, dass dieses Bemühen des Schweißes der Edlen Wert ist.
Kolkmann: Hat denn Angela Merkel das bei Ihrer Rede vor der UN-Vollversammlung deutlich genug angemahnt?
Eitel: Wir verhandeln ja in New York ständig. Da gibt es Ausschüsse, in denen diese Frage erörtert wird und so weiter. Es wäre glaube ich etwas nach Art von Vordrängen geworden, wenn Frau Merkel sich länger und ausführlicher mit dieser Frage - sie hatte ohnehin nur 15 Minuten und der Klimawandel ist ihr wichtig - beschäftigt hätte. Insofern glaube ich, dass das schon der richtige Akzent war, wie er ja auch seit langem bei den deutschen Reden gesetzt wird.
Kolkmann: Sie sagen also, man sollte eigentlich intensiver die Arbeit hinter den Kulissen fortsetzen?
Eitel: Nicht intensiver, aber man sollte sie fortsetzen und man sollte sich nicht dadurch beirren lassen, dass es immer Staaten gibt, die einem nicht zustimmen. Man darf nicht vergessen, dass es schließlich um eine Wahl gehen wird, wenn es je so weit kommt. In einer Wahl kann man verlieren, man kann gewinnen. Ich kalkuliere die deutschen Chancen für eine Zustimmung - wir brauchen wie alle anderen auch eine Zwei-Drittel-Mehrheit, und zwar eine nachhaltige Zwei-Drittel-Mehrheit über Jahre hin - doch als nicht nur möglich, sondern mehr als möglich, als wahrscheinlich.
Kolkmann: Macht es denn Sinn, dass Deutschland als drittes westeuropäisches Land vertreten ist?
Eitel: Es wäre sicherlich sekundär. Sie haben das angesprochen. Der primäre Mangel im Sicherheitsrat ist ja nicht, dass Japan und Deutschland nicht drin sind, sondern dass dort die Entscheider alle, ich sage mal, aus dem Norden kommen, und dass die Aktionen des Sicherheitsrats, gleich ob Blauhelme oder Sanktionsbeschlüsse und Ähnliches, bis auf Jugoslawien, stets - ich sage mal wieder breit - im Süden stattfinden.
Das ist eben auf Dauer nicht mehr tragbar, seitdem die ehemaligen Kolonien selbständige Staaten geworden sind, und deshalb ist es wichtig, dass Länder aus der Dritten Welt, aus dem Süden als Mitbestimmer in den Sicherheitsrat - und das heißt auf ständige Sitze - einziehen. Und dann nur stellt sich die Frage, ob auch andere Länder, die 1945 bei der Gründung nicht dabei waren, wie Japan und Deutschland, ihren Hut in den Ring werfen. Ich hoffe, wir werden das tun und wir werden ja möglicherweise dann auch gewählt werden.
Kolkmann: Geht aber dort nichts ohne die USA?
Eitel: Es geht nichts ohne alle fünf, ohne jeden der fünf ständigen. Wenn einer nicht mitmacht, ist die ganze Operation tot.
Kolkmann: Es geht ja um die Erweiterung des Sicherheitsrats, der ständigen Mitglieder um vier Positionen, wenn ich das richtig verstanden habe. Würde sich das überhaupt nicht widersprechen, wenn man dem Süden stärkeres Gewicht geben würde, auch Asien, und Deutschland dann trotzdem mit hineinrutschen könnte?
Eitel: Es ist eine Frage, wie die Leistungen bewertet werden, die ein Staat für die UNO und für die Weltgemeinschaft erbringt. Da figurieren wir ziemlich weit oben. Japan ist zwar sehr viel bedeutender, was die Finanzen angeht, aber Japan ist etwas zurückhaltend, was seine Truppen angeht. Allerdings hat Japan Truppen oder Leute im Irak, was auch die amerikanische Haltung mit zu erklären hilft.
Aber wir sind in der Welt ja wer, wenn ich das sagen darf, ohne dass das nach Großmannsucht klingen soll. Aber es ist nicht nur denkbar, sondern ich glaube wirklich möglich, dass die Staaten in der UNO uns dann wählen.
Kolkmann: Es klingt ein bisschen so, als würden die USA Deutschland gerne abstrafen wollen, weil sie beim Irak-Einsatz nicht mitgemacht haben.
Eitel: Abstrafen glaube ich nicht. Aber was ich für möglich halte ist, dass sie natürlich sich treue Gehilfen im Sicherheitsrat erwarten. Da hat unser Ruf vielleicht etwas Schaden genommen, aber ich glaube nicht, dass dies einfach eine Züchtigung sein soll. Es ist aber wohl keine Koinzidenz, dass seit der Irak-Invasion und unserer Haltung zu ihr wir nicht mehr in den Reden der USA auftauchen.
Kolkmann: Macht es eigentlich Sinn, perspektivisch einen ständigen Sitz für die Europäische Union anzustreben?
Eitel: Ja, das wäre natürlich wunderbar. Nur das ist eine solche Operation: Es müsste die UNO-Charta nicht nur in Sachen Sicherheitsrat, die UNO-Charta müsste überhaupt geändert werden, denn die UNO kennt nur Staaten als Mitglieder, kennt keine Staatenverbünde als Mitglieder. Zweitens würde natürlich dann die Arabische Liga, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten - also die ehemalige Sowjetunion -, die OAS, die Afrikanische Union, alle würden dann natürlich mit einziehen.
Und drittens würde dann die Frage entstehen, wie wird denn abgestimmt? Stimmt dann in allen Fragen nur noch die Europäische Union, die ja in militärischen Dingen bisher erst in den Kinderschuhen steckt? Stimmt nur sie dann ab, oder stimmen parallel die Mitgliedsstaaten ab? Das ist ein organisatorisch nicht zu entwirrendes Knäuel, und deshalb wird es in dieser langsamen und umständlichen Organisation, die die UNO nun mit 192 Mitgliedsstaaten darstellt, so weit kaum kommen können.