Völkermord an Armeniern

Christlich und verfolgt

Türken und Armenier erinnern im April 2014 in Istanbul an Opfer des Völkermords an den Armeniern.
Bis heute werden neue Details über Opfer und Täter des Völkermordes an den Armeniern bekannt. © dpa / picture alliance / Sedat Suna
Von Gunnar Lammert-Türk · 24.05.2015
Vor 100 Jahren begannen im Osmanischen Reich die Deportation und Ermordung der armenischen Bevölkerung. Welche Rolle spielte es, dass die Armenier Christen waren und wie reagierte die katholische Kirche auf den Völkermord?
"Chadschadur Effendi Basturmadian ist der Sohn eines Metzgermeisters, eines Schlachters, der das Geschäft seines Vaters übernimmt und baut das aus, wird (...) vom Schlachter zu einem Fabrikanten von Dörrfleisch. Und im Laufe der Zeit wird einer seiner wichtigsten Abnehmer die Armee, das heißt, er wird zu einem der wichtigsten Versorger für die örtliche Garnison und für die in Erzurum und um Erzurum stationierten Truppen mit Dörrfleisch."
Chadschadur Basturmadian, von dem die Historikerin Elke Shoghig Hartmann erzählt, lebte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im osmanischen Vielvölkerstaat. Der hatte gerade durch französische und englische Unterstützung einen Krieg mit Russland gewonnen. Als Gegenleistung erzwangen die europäischen Partner die Öffnung des osmanischen Marktes für ihre Waren und mischten sich in die Innenpolitik des Landes. Sie verlangten die Gleichstellung der nichtmuslimischen, nichttürkischen Bevölkerungsgruppen, allen voran der Armenier. Darauf hofften Leute wie Chadschadur Basturmadian.
"Gesamte katholische Hierarchie in Mardin niedergemetzelt"
Der osmanischen Regierung, die durchaus zu Reformen bereit war, ging das zu weit. Um die diesbezüglichen Ambitionen der Armenier zu dämpfen, reizte sie die muslimische Bevölkerung immer wieder zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen sie. Dem europäischen Druck zugunsten einer lokalen Autonomie der Armenier begegnete Sultan Abdul Hamid dann in den 1890er-Jahren mit reichsweit organisierten Massakern. Wenige Jahre darauf, während des ersten Weltkriegs, erfuhr der apostolische Legat Monsignore Angelo Dolci, der Vertreter Roms in Konstantinopel, im Juni 1915, von der Ermordung des armenisch-katholischen Erzbischofs Ignatius Maloyan. Ihm wurde auch berichtet, ...
"... dass die gesamte katholische Hierarchie in Mardin niedergemetzelt wurde, Stück für Stück, erstmal die katholischen Würdenträger und dann alle Christen hintereinander verhaftet wurden, gefoltert wurden, deportiert wurden und auf dem Weg nach Diyarbakir erschlagen wurden."
Dieser Schlag gegen die katholischen Armenier, von dem Michael Hesemann berichtet, der die Vatikanakten zum armenischen Völkermord gesichtet hat, wurde von der jungtürkischen Regierung organisiert, die 1908 Sultan Abdul Hamid gestürzt hatte. Ihre als europäisiert angesehenen radikalen Reformer wurden von den Armeniern hoffnungsvoll begrüßt. Aber was sie anstrebten, war die Schaffung eines straff zentralistischen Staates türkisch-islamischer Prägung mit einer rassistisch grundierten türkischen Überlegenheit. Unter dem Vorwand, die Armenier hätten mit dem russischen Feind kollaboriert, wurde ihre Vernichtung ins Werk gesetzt.
Es traf die mehrheitlich orthodoxen, aber auch die deutlich kleinere Gruppe der etwa 100.000 katholischen Armenier. Dagegen wandte sich der apostolische Legat Monsignore Angelo Dolci in Konstantinopel im Juli 1915 mit einer Eingabe an den Großwesir des Osmanischen Reiches. Ohne Erfolg.
"Dann hat, nachdem ihn weitere grauenvolle Berichte erreicht haben, ... der Papst selber Schritte ergriffen und hat am 10. September 1915 einen handschriftlichen Brief an den Sultan Mehmed V. verfasst, den dann der apostolische Delegat übergeben wollte, aber es dauerte anderthalb Monate, geschlagene sechs Wochen, bevor man ihm überhaupt einen Termin gegeben hat, bevor man ihm überhaupt eine Audienz gewährt hat, dass er den Brief übergeben konnte und weitere vier Wochen, bevor der Sultan dann geantwortet hat."
Fotos in einer Ausstellung über die Verfolgung der Armenier im Lepsius-Haus in Potsdam
Heute geht man von bis zu mehr als einer Millionen armenischen Todesopfern aus.© dpa / picture alliance / Bernd Settnik
Inzwischen waren die meisten armenischen Männer ermordet, Frauen, Kinder und Alte auf todbringenden Märschen in die mesopotamische Wüste deportiert worden. Weil das Vielvölkergemisch im osmanischen Reich zur Schaffung einer rein türkischen Bevölkerung kaum nach ethnischen Kriterien gefiltert werden konnte, wurde die Religion zum Unterscheidungsmerkmal. Und so traf der Vernichtungswille der Jungtürken neben den armenischen auch die syrisch-aramäischen Christen. Nur die kleine Gruppe der etwa 55.000 Protestanten wurde weitgehend verschont. Aus Rücksicht auf den Bündnispartner, das protestantisch ausgerichtete Deutsche Reich.
Der Vatikan versuchte immer wieder, die deutsche und auch die österreichische Regierung dazu zu bewegen, die Türken zur Aufgabe ihres Mordens zu zwingen. Er unterstützte katholische Politiker wie den Zentrumsmann Matthias Erzberger, der den Reichstagsabgeordneten im Februar 1916 sein Memorandum "Zur Lage der katholischen Armenier in der Türkei" vorlegte. Es war alles vergeblich.
Der wichtigste Informant des Vatikans, der apostolische Legat Monsignore Angelo Dolci, war von katholischen Feldgeistlichen und Missionaren, vor allem von katholischen Nonnen und Mönchen in Kenntnis gesetzt worden. Hätten die Ordensniederlassungen nicht wenigstens ein paar Armenier und andere christliche Bewohner des osmanischen Reiches retten können? Nein, denn die katholische Infrastruktur wurde komplett vernichtet.
"Man hatte also keine Klöster mehr, in denen Armenier versteckt werden konnten, weil die Klöster mit allen Ordensleuten auch zerstört wurden und die Ordensleute deportiert wurden. Darum konnte man praktisch im Lande überhaupt niemanden retten. Genauso haben die Amerikaner über Botschafter Henry Morgenthau den Türken angeboten, die Armenier in die Vereinigten Staaten zu deportieren. Amerika bot damals genügend Raum und war ein Einwanderungsland und da hätten die Armenier ja wunderbar neu anfangen können, hätten irgendwo ein Neuarmenien gründen können auf amerikanischem Boden. Die Türken waren nicht bereit."
Opfer des geschürten Hasses
Und so waren die Christen des osmanischen Reiches, vor allem die Armenier, der Vernichtung preisgegeben. Die Hoffnung auf die jungtürkischen Reformer war zum Albtraum geworden. Eine Hoffnung auf Sicherheit, Gleichstellung und Verbesserung der Lebensumstände, die ein halbes Jahrhundert vor dem organisierten Völkermord auch Chadschadur Basturmadian, der Belieferer der türkischen Armee mit Dörrfleisch, hat. Als bedeutende Persönlichkeit der armenischen Gemeinschaft seiner Stadt baut er ein öffentliches Bad und erwirbt dafür ein Stück Land mit einer Grundwasserquelle von einer muslimischen religiösen Stiftung.
Einigen Muslimen in Erzurum geht das zu weit, darunter sind auch solche, die am äußersten sozialen Rand stehen, die sich gegen den zu Ansehen und Einfluss gelangten gläubigen Chadschadur Basturmadian aufhetzen lassen. Nicht selten gehören sie zu denen, die aus dem russischen Reich geflohen sind. Sie werden sich auch später beim gezielten Vernichtungszug immer wieder aufstacheln lassen. Und so wird Chadschadur 1872, fünfzig Jahre zuvor, ein Opfer des so geschürten Hasses.
"Das Ende des Liedes ist dann, dass ein Mörder gedungen wird, und dieser Mörder ist nicht durch Zufall ein muslimischer Muhajir, also einer von den ursprünglich muslimischen Einwanderern, die aus dem Kaukasus gekommen sind, die ihn am helllichten Tag auf seinem Besitz erschießt."
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