Völkerball

Ein Spiel, das Mobbing und Rassismus fördert?

06:32 Minuten
Kinder schauen beim Völkerballspiel in einer Turnhalle zu.
Völkerball in Schulen ist umstritten. © imago/Frank Sorge
Von Peter Kolakowski · 13.02.2022
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Völkerball ist meist fester Bestandteil des Sportunterrichts. Nun hat eine Studie erneut für Aufsehen gesorgt: Sie kritisiert, das Spiel unterstütze Ressentiments gegenüber Schwächeren und fordert, es zu streichen. Doch das sehen nicht alle so.
Zwölf Schüler einer Bergisch-Gladbacher Grundschule machen sich bereit für eines der bekanntesten und beliebtesten Spiele im Sportunterricht: Völkerball. Viele Kinder haben sichtlich Spaß daran. Doch nicht alle können sich mit diesem Spiel anfreunden. "Weil die Jungs immer auf meinen Kopf zielen - und das macht dann keinen Spaß, weil ich immer die Schwächere bin", sagt beispielsweise ein Mädchen. "Das finde ich einfach doof, das tut dann immer weh."

Fragt man Erwachsene nach ihren Erfahrungen mit Völkerball, kommen ebenfalls schlechte Erinnerungen hoch, auch bei der Sportlehrerin Ursula Richter: "Völkerball: grässlich, einfach grässlich. Habe mir permanent den Daumen dabei verstaucht, hat den Lehrer nicht interessiert."
Trainerin Simone Wirtz geht es ähnlich: "Wenn ich nur dran denke: Die bösen Jungs, die einen abwerfen – ich hab's gehasst. Ich habe gebetet, dass kein Völkerball drankommt."

Studie: Mobbing und Rassismus im Völkerballspiel

Rückendeckung bekommen Kritiker des Völkerballspiels durch eine Studie der britischen Sportpädagogin Joy Butler aus dem Jahr 2019, über die in der Sportpädagogik unlängst wieder diskutiert wurde. Butler hatte das Spiel als legalisiertes Mobbing und organisierten Rassismus bezeichnet und gefordert, das Spiel aus den Lehrplänen zu streichen. Völkerball verfolge einzig das Ziel, andere zu treffen und auch verletzen zu wollen, Schwächere zu stigmatisieren und Menschen anderer Hautfarbe und Aussehens zu diskriminieren, so die Studie.
Völkerball rufe alleine schon wegen seiner Bezeichnung Bilder eines Kriegsszenarios hervor, sagt auch Nadine Frey, Geschäftsführerin beim Aachener Stadtsportbund. "Wenn man das ursprüngliche Leitmotiv des Spiels Völkerball betrachtet: Das ist die Kriegsschlacht. Wenn ich den Ball als Angriffswaffe sehe, dann ist so eine Kritik natürlich berechtigt." Aber für sie liege das Problem ganz woanders, so Frey: "Dieses Spiel macht gesellschaftliche Probleme, gesellschaftliche Wundstellen sichtbar, und das sind Rassismus, Mobbing, Ausgrenzung. Es wäre aber ein Fehler zu sagen, dass das im Sport produziert wird." Hier werde es sichtbar. Und: "Der Sport ist genau das Mittel, um dagegen vorzugehen."

Spiel im Kampf gegen die Besatzung Napoleons

Das Studium sportgeschichtlicher Dokumente zeigt, dass das traditionelle Völkerballspiel tatsächlich Krieg spielerisch nachbilden sollte. Bereits vor 200 Jahren sprach Friedrich Ludwig Jahn, der als Turnvater Jahn in die Geschichte einging, von Völkerball als einem Spiel, das die deutsche Jugend auf den Kampf gegen die Besatzung Napoleons vorbereiten sollte.
Was Jahn gemacht hat, müsse man von zwei Seiten betrachten, sagt Ansgar Molzberger vom Institut für Sportgeschichte an der Deutschen Sporthochschule Köln. "Natürlich spielt der Wehrerziehungsgedanke eine Rolle, weil die Turnbewegung 1811 in Berlin losgeht, unter dem Eindruck der französischen Besatzung." Zum einen sollte das eine Auflehnung gegen die Besatzungsmacht sein. "Gleichzeitig hat aber die Turnbewegung auch für die Demokratie geworben. Also gegen die Herrscher, dass die Menschen gleich sein sollten.“
Auch Sabine Reuker, Professorin für Sportpädagogik und Sportdidaktik am Institut für Schulsport der Deutschen Sporthochschule, kann die Kritik am Völkerball zwar aus sporthistorischer Sicht nachvollziehen, hält sie aber in heutiger Zeit nicht mehr für berechtigt. Sie denke, „dass es etwas begrenzt ist, wenn man das Thema Mobbing, das ein wichtiges Thema für Schule und für Gesellschaft ist, auf eine einzige Sportart begrenzt". Das werde dem Thema nicht gerecht. Es sei wichtiger, sich anzuschauen, wie etwas gestaltet wird.

"Sündenbockmechanismus" im Mannschaftssport

Auch der Sportpsychologe Professor Sigurd Baumann erklärt in einer seiner Studien den "Sündenbockmechanismus" im Mannschaftssport, bei dem Wehrlose, Minderheiten und Schwache ungezügelter Aggressivität ausgesetzt sein können. 
Sabine Reuker betont: Nötig sei daher bei solchen Spielen – wie bei allen anderen Sportspielen auch – die fachliche pädagogische Begleitung für gutes „Fair Play“. Einfach die Spielerinnen und Spieler sich selbst zu überlassen, damit sei es sicher nicht getan. Als Pädagogin habe sie einen Bildungs- und Erziehungsauftrag zu erfüllen. "Ich denke und hoffe, dass alle Studierenden, die dann in die Schulen gehen, so ausgebildet werden, dass sie nicht nur den Ball in die Mitte geben und spielen lassen, sondern dass sie eine Zielsetzung verfolgen mit dem Unterricht", so Reuker. Auch die Ausgestaltung von Völkerball habe eine wichtige Rolle. "Zum Beispiel kann man ganz wunderbar Völkerball unter Regelveränderungen thematisieren."
Sportlehrer Michael Huhn dagegen hat das Spiel ganz vom Stundenplan gestrichen und durch andere Ballspiele im Unterricht ersetzt. Die dauernden Regelverletzungen einiger Schüler gingen ihm einfach zu weit. „Wir bauen einen Zirkel auf und zwar einen Ballzirkel, wo 80 Prozent der Übungen mit Bällen gemacht werden, weil das sehr motivierend für die ist", erklärt er. Das Credo: eine möglichst hohe Bewegungszeit. „Das finde ich besser", sagt eine Schülerin. "Auf jeden Fall: kein Völkerball.“ 

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