Vivaldi pur

02.01.2014
Nur noch selten findet sich Antonio Vivaldi ist auf den Programmen der großen Sinfonieorchester. Im Oktober 2012 wagten die Berliner Philharmoniker gleich einen ganzen Vivaldi-Abend – am Pult stand Andrea Marcon, ein ausgewiesener Experte für venezianische Barockmusik.
Bruckner, Mahler, Strawinsky: Die großen Sinfonieorchester präsentieren ihre Kräfte lieber gebündelt und wagen sich nurmehr selten auf das Gebiet der vorklassischen Musik – wann hört man beispielsweise einen ganzen Vivaldi-Abend mit einem Orchester wie den Berliner Philharmonikern? Ach ja, und hat Strawinsky nicht gesagt, dass Vivaldi sehr langweilig sei, weil der ein und dasselbe Konzert ein paar hundertmal komponiert habe?
Nicht 400, aber immerhin vier Vivaldi-Konzerte präsentierten die Berliner Philharmoniker an diesem Abend – zugleich eine glänzende Gelegenheit, die philharmonischen Stars aus dem Kollektiv heraustreten zu sehen. Andreas Buschatz, seit zwei Jahren Konzertmeister des Orchesters, war in gleich drei Stücken solistisch zu erleben – kein Wunder, wenn man an die Bedeutung der Violine in der Barockmusik denkt. In den beiden g-Moll-Werken wurde Buschatz flankiert von Bläsersolisten: dem Oboisten Albrecht Mayer und dem Flötisten Emmanuel Pahud.
Nach der Pause erklang mit dem „Gloria“ ein großes Werk, das viele als eher untypisch für Vivaldi empfinden dürften. Vivaldi, von seinen Zeitgenossen "rothaariger Priester" („prete rosso“) genannt, schrieb es für seine Wirkungsstätte, das Ospedale della Pietà. Neben vielen anderen Vokalwerken wurde dieses „Gloria“ erst in den 1930er Jahren wiederentdeckt – und im Lichte neuerer Funde bleibt es offen, ob wir unser Vivaldi-Bild nicht noch mehrfach korrigieren müssen.
Dazu haben in den vergangenen Jahren auch viele Musiker beigetragen, die der historisierenden Aufführungspraxis verpflichtet sind. Nach einer Zeit der Stagnation, in der Vivaldi eher gepflegt als neu befragt wurde, ist viel Bewegung in die Szene gekommen: Andrea Marcon und sein ganz unitalienisch benanntes „Venice Baroque Orchestra“ sind in die Spitzenklasse der Alten Musik aufgestiegen, versehen mit dem Exklusivvertrag einer großen Plattenfirma und dekoriert mit Preisen. Nun brachte Marcon die Predigten des „roten Priesters“ auch den Berliner Philharmonikern in der quellennahen Lesart bei....
Philharmonie Berlin
Aufzeichnung vom 11.10.2012
Antonio Vivaldi
Concerto grosso für Violine, Bläser, Pauken, Streicher
und Basso continuo D-Dur RV 562a

Concerto für Violine, Oboe, zwei Blockflöten, Bläser,
Streicher und Basso continuo g-Moll RV 576
(„per Sua Altezza Reale di Sassonia“)

Concerto für Flöte, Streicher und Basso continuo g-Moll RV 439 ("La notte")

Concerto für Violine, Bläser, Streicher und Basso continuo F-Dur RV 569

ca. 21:00 Uhr Konzertpause mit Nachrichten
Olaf Wilhelmer im Gespräch mit Andrea Marcon

Antonio Vivaldi
Gloria für Soli, Chor, Oboe und Orchester D-Dur RV 589

Anna Fusek, Blockflöte
Giulia Genini, Blockflöte
Emmanuel Pahud, Flöte
Albrecht Mayer, Oboe
Andreas Buschatz, Violine
Lisa Larsson, Sopran
Marina Prudenskaja, Mezzosopran
RIAS Kammerchor
Cembalo und Leitung: Andrea Marcon