Visuelle Duelle

Von Anette Schneider |
Aus der Zusammenarbeit des österreichischen Malers Arnulf Rainer und des 1998 verstorbenen Schweizer Provokateurs Dieter Roth entstanden zahlreiche Fotoserien. Dabei fotografierten sie sich gegenseitig, um die Bilder danach mit Witz zu übermalen. Die Ausstellung "Misch- und Trennkunst" ist derzeit in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen.
Sie grimassieren vor der Kamera, spielen Maler und Modell, wahlweise Künstler mit Weltschmerz, oder zeigen einfach - 12 Bilder lang - Pause. Arnulf Rainer und Dieter Roth fotografierten einander in allen möglichen und unmöglichen Posen, um danach die Fotos zu übermalen: Der eine erhält Riesenohren, der andere rächt sich mit einem Buckel, wofür der erste als heulendes Elend gezeigt wird.

Arnulf Rainer: " Man muss sich das so vorstellen: man hat dann zusammen auf einem Blatt gearbeitet, nicht? Und das waren zum Teil rein visuelle Duette. Aber auch Dialoge, und sogar auch Duelle, da man sich gegenseitig sozusagen verändert oder sogar zerstört hat - weil: man hat ja auf einem Blatt gearbeitet. "
Sieben Jahre lang arbeiteten Roth und Rainer zusammen, produzierten Misch- und Trennkost, experimentierten, ob sich Fotografie durch Übermalung in ihrer Wirkung verstärken lässt - und nahmen dabei weder sich noch die Kunst übermäßig ernst.
Als die beiden sich 1973 in Wien kennenlernten, waren sie Anfang Vierzig. Arnulf Rainer war mit seinen Bildübermalungen bereits berühmt. Nun versuchte er, mit grimassierenden Selbstporträts die Expressivität seiner Malerei auf die Fotografie zu übertragen. Diese Automatenbilder sind Vorläufer dessen, was Rainer und Roth dann gemeinsam entwickelten. Sie markieren den Beginn der chronologisch gehängten Ausstellung.

Der 1998 gestorbene Provokateur Dieter Roth hatte bis dahin mit Fluxus-Künstlern und Daniel Spoerri zusammengearbeitet, und pendelte zwischen den USA, Island, Deutschland und Wien. Dort trafen sich die beiden in Rainers Atelier - und arbeiteten. Die dabei entstandenen Serien mit Fotografien, Kritzelzeichnungen und -bildern zeigen, wie sie versuchten, ohne Selbstzensur einfach nur zu blödeln, alle Regeln außer acht zu lassen, und so neue Wege der Kreativität zu finden - wobei jeder der Stärkere sein wollte.
Rainer: " Ich hab ihn oft korrigiert. Und er, wenn ich gesagt hab, von meiner eigenen Arbeit: "Das gefällt mir!", hat ihn sofort herausgefordert, hat er sofort überarbeitet und einen Roth draus gemacht, nicht. Ich hab dann gegiftet natürlich, aber ich bin dann ja als Nächster an die Reihe gekommen. "
Nicht nur in Rainers Atelier sorgten die beiden für Unruhe. Berüchtigt waren auch ihre öffentlichen Auftritte. Robert Fleck, der als Leiter der Deichtorhallen die Ausstellung kuratierte, erinnert sich gut an sie:
" Ich war damals Ausstellungsassistent und hab in Galerien mitgearbeitet. Und wir hatten immer die Order: Wenn Roth und Rainer gemeinsam kommen, muss auf die Arbeiten besonders aufgepasst werden, weil Roth hat dann immer angehetzt durch Rainer - irgendwie Arbeiten zerstört oder Arbeiten runtergestoßen vom Sockel, wenn er sie blöd fand und hat so Ausstellungen kritisiert. "
So flossen die Jahre dahin. Mit Provokationen. Und Übermalungen. Mit Farbflecken auf Papier und blumigen Titeln dafür. Ab und an drehten die beiden auch ein Video, wie das mit dem pseudo-philosophischen Gerede über die Würde des Alterns, das in einem großen Blablabla Dieter Roths endet. Der hatte 1979 - nach sieben Jahren - denn auch keine Lust mehr auf die Treffen, was Arnulf Rainer ihm auf seine Weise heimzahlte:
" Ich habe das, wie der Roth keine Lust mehr gehabt hat, versucht, mit den Affen, mit einem Schimpansen weiterzumachen. Dieser gute Schimpansenkünstler war aber nicht sehr dialogfähig, ja? Aber er war schon kulturiert, weil er sonst als Eisläufer aufgetreten ist. "
In der Folge machten sich Kunstwissenschaftler und Galeristen daran, die nun erstmals in diesem Umfang ausgestellten Gemeinschaftswerke mit tieferer Bedeutung zu unterfüttern: Von "Identitätssuche" ist die Rede, vom Nachempfinden der "Körpersprache", der Verbindung zwischen Altem und Neuem - womit sie genau den Ernst demonstrieren, gegen den Roth und Rainer mit ihrem Tun schon damals angingen:
" Ganz wichtig ist, das damals das Komische in der Kunst noch nicht so voll akzeptiert worden ist, was heutzutage ganz anders ist. Und das war, glaub ich, ein ganz wichtiger Schritt. "
Die Erweiterung des Mediums Fotografie und die nassforschen Auftritte von Rainer und Roth griffen zahlreiche Künstler auf: So Martin Kippenberger. Oder - aktuell - Jonathan Meese.
Doch gerade weil die Methode der Übermalung längst vertraut ist, wirkt die Ausstellung wie eine rein kunsthistorische Würdigung ihrer Erfinder. Das ist zwar ehrenwert, bleibt aber durch die Masse der gezeigten Arbeiten nicht folgenlos: ein, zwei Serien lang ist es ganz witzig, Rainer und Roth bei ihren Versuchen zuzugucken. Nach der fünften aber wird's langweilig: Das Prinzip ist durchschaut, Neues kommt nicht hinzu. Außer dass Arnulf Rainer - wie abschließend einige neue Arbeiten zeigen - heute nicht mehr sich, sondern großformatige Fotos von den Kanaren übermalt, auf denen er zeitweise lebt.

Und spätestens hier ergreift einen ein tiefes Staunen: Wie zwei Künstler, deren Arbeit sich zwar stets vor allem um formale und kunstimmanente Fragen drehte - selbst in der Zusammenarbeit und über fast ein Jahrzehnt hinweg die Wirklichkeit derart konsequent aus ihrem Werk ausschließen: Es unberührt bleibt vom faschistischen Putsch in Chile, dem Vietnam-Krieg, dem internationalen Protest dagegen - und die beiden stattdessen nur um sich und ihre formalen Fragen kreisen.

Service:

Die Ausstellung "Arnulf Rainer / Dieter Roth: Misch- und Trennkost" ist vom 6. September 2007 bis 6. Januar 2008 in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen.