Visionen von einer unsichtbaren Welt

Von Siegfried Forster |
Die Ausstellung "Die Bilder Fabrik" im Musée du Quai Branly in Paris untersucht, wie Bilder Wahrnehmungen und Vorstellungen prägen - und was Menschen aus dem Abendland zum Beispiel mit Naturvölkern gemeinsam haben, wenn es um das Verwenden von Bildern geht.
Geisterbeschwörung bei den brasilianischen Wauja-Indianern. Die Wunderheiler tragen riesige runde Masken: geflochten aus Stroh, Piranha-Zähnen und Bienenwachs. Die Maske ist groß wie ein Eingangstor und steht in der Ausstellung neben einem kleinen Videofilm. Darin erklärt uns der Schamane, wie die Geister zur Gesundwerdung gerufen werden. Bis dahin klingt alles vertraut exotisch. Bis seine und unsere Bilderfabriken aufeinander prallen: Denn der Schamane trägt über seinem nackten Oberkörper eine ultra-moderne Nikon-Foto-Kamera. Seine archaischen Zauberkünste vergleicht er lapidar mit den im Westen als modern gepriesenen Impfungen. Medizinmänner als heilende Anti-Körper-Erzeuger. Philippe Descola verantwortet als Kurator der Ausstellung diesen Bilder- und Kulturen-Schock:

"Das sind Riten, bei denen die Schamanen mit ihrem Körper die Geister rufen können... Bei diesen animistischen Völkern werden die Tiergeister mit einem menschlichen Körper gesehen. Um sich zu unterscheiden, ziehen sie Kostüme an, die im eigentlichen Sinne Körper darstellen, die Körper der gerufenen Geister."

Wie können Bilder unsichtbare Dinge der Wirklichkeit sichtbar machen?

Gleich am Eingang ist greifbar, wie unterschiedlich die Menschen die Welt entschlüsseln. Auf der einen Seite wartet eine lesende Heilige Magdalena aus dem 16. Jahrhundert auf uns. Eine abendländische Ikone im Büßerkleid, ein Symbol für die Innerlichkeit des Menschen. Daneben eine Verwandlungsmaske aus Britisch-Kolumbien: Was von der Seite wie ein Adlerkopf aussieht, entpuppt sich frontal als riesiger Schlund mit
Menschengesicht:

"Im Inneren ist ein menschliches Antlitz. Was bedeutet das? In dieser animistischen Welt besitzen auch die nichtmenschlichen Wesen eine Innerlichkeit wie die Menschen: die Vögel, die Pflanzen, die Tiere. Manche Gegenstände haben eine Seele, einen Geist... Wir sehen hier keinen Menschen, der sich als Tier verkleidet oder hinter einem Tier versteckt, sondern ein Tier, einen menschlichen Tiergeist."

Vorstellungen und Bilder gibt es auf allen Kontinenten. Aber alle Regionen haben dabei ihre Eigenheiten. Wie entwickeln sich die unterschiedlichen Welt-Anschauungen? Für die animistischen Völker sind die Grenzen zwischen Mensch und Tier fließend. Im abendländischen Naturalismus wird ab dem Mittelalter nur den Menschen Geist und Seele zugestanden. Während die australischen Aborigines Menschen, Tiere und Natur rund um gemeinsame Totem versammeln. Die Antwort für die Unterschiede liegt in den unterschiedlichen Bilderfabriken, bemerkt Philippe Descola.

"Eine Bilderfabrik, dabei geht es darum, wie die Wahrnehmung und die Vorstellungskraft bearbeitet werden. Bestimmte Bilder stellen bestimmte Dinge, Funktionen, Richtungen dar. Es geht darum, ob Dinge in den unterschiedlichen Welten weiter existieren oder nicht. Etwas, was sehr abstrakt klingt, aber was durch die Bilder offensichtlich wird."

Die Ausstellung sagt bye-bye zu dem sonst so beliebten unversöhnlichen Gegensatz zwischen Natur auf der einen, Kultur und Gesellschaft auf der anderen Seite. Das Konzept der Bilderfabriken ist kein Katalog, um Kontinente und Völker in Kategorien zu sperren. Ziel ist die existierenden Brücken und Verbindungen zwischen diesen Welten sichtbar zu machen. Verständnis wecken, wenn Menschen sich wie Schlangen häuten, andere Formen annehmen und Traditionen ablegen, wie einst Dürer mit seinem Selbstporträt. Ein einzelner Mensch im Mittelpunkt der Bilderwelt.

"Das erste Selbstporträt der Kunstgeschichte stammt von Jean Fouquet im Jahr 1450. Es erscheint noch ganz klein in der Ecke eines Adligenporträts. Dürer hat nicht diese Diskretion. Er präsentiert sich in seiner ganzen Größe: Der Schöpfer bin ich."

Wie diese Visionen von einer unsichtbaren Welt das Verhalten prägen, zeigt sich etwa anhand der bekannten Katsinam-Figuren der Hopi-Indianer. 400 dieser Holzpuppen bevölkern das Hopi-Universum aus Göttern und Geistern. Mit diesen erlernen und begreifen die Kinder spielerisch die Welt, gleichzeitig sind sie wesentlicher Bestandteil religiöser Zeremonien. Im fortschrittsgläubigen Abendland steht im 19. Jahrhundert ein Affe-am-Klavier-Automat für die Vorstellung vom Körper als reiner Mechanik. Die Chrono-Fotografie seziert Bewegungen von Mensch und Tier.

"Wir sehen, dass die dem Menschen zugeschriebene Innerlichkeit im Laufe der Jahrhunderte nur noch auf eine physikalische Dimension reduziert wird. Man kann die gesamte Kunstgeschichte als Ausdruck dafür sehen. Ich denke, das ist eine allgemeine Entwicklung."

Kurator Philippe Descola zufolge sind auch Fotografie und Film ein physikalischer Ausdruck dieser abendländischen Weltvision. Heute sind wir neuen Bilderfabriken ausgesetzt: Hollywood, Bollywood, Fernsehen, Werbung. Was haben diese noch mit den Welten voller träumender Ameisen, Sandmalereien, Geisterbeschwörungen und naturalistischer Denkmuster zu tun?

"Ich denke, man kann bis heute im Film, in der zeitgenössischen Malerei die hier gezeigten unterschiedlichen Bilderfabriken am Werke sehen."

Service:
Die Ausstellung "La fabrique des Images" ist bis 17. Juli im Musée du Quai Branly in Paris zu sehen.