Visionäre Welten

Von Barbara Wiegand · 22.11.2011
Graft nennt sich ein ungewöhnliches Architekten-Quintett aus Deutschland. Sie verwandeln das Innere von Hotels in organische Landschaften und bauen fantastisch geschwungene Möbel. Im Berliner Haus am Waldsee kann man jetzt in ihre Welt eintauchen.
Ein rotes Sofa als großflächige Sitzlandschaft, deren Einzelteile sich aber auch als individuelle Raumobjekte recht gut machen. Eine Bar, geformt und gefärbt wie zerschmelzendes Eis als coole "Drinkgelegenheit". Dazu Bilder und Modelle von zahlreichen Graft-Projekten. Und wenn man die gekurvten Linien, die Wabenförmigen Strukturen, die Kokonartigen Nischen darin betrachtet, dann wird klar, dass Graft gerne mal über die Grenzen des gängigen Architekturbegriffs hinweg denken.

"Graft kommt nicht aus dem architektonischen Bereich, sondern aus dem Botanisch-Medizinischen. Es bedeutet pfropfen, transplantieren. Graft und Pfropfen ist entstanden für uns aus der Geschichte der Reblaus im 19. Jahrhundert, die den europäischen Wein befiel, und die einzige Möglichkeit die Reblaus zu überwinden war einen amerikanischen wilden Wurzelballen mit einer europäisch aristokratisch traubentragenden Frucht zu pfropfen. Und dieses so - neue Welt, alte Welt, diese Gegensätze, dass die sich gegenseitig brauchen und zusammenwachsen, um eine Lösung und das Neue zu erfinden. Das war Ausgangspunkt und auch Zielpunkt unserer Arbeit."

Erläutert Christoph Körner. Dass die Natur und ihre Formen bei Graft eine große Rolle spielen, dass versinnbildlicht etwa die im Erdgeschoss installierte Allee von Spiegeln, deren einzelne Elemente an Adlerflügel erinnern. Neben den erwähnten Möbeln ist diese Spiegelreihe Teil einer- verglichen mit den wogenden Design der Graft Architektur - eher bescheidenen Inszenierung. Wer gehofft hatte, dass die fünf nun das Haus am Waldsee nach ihrer Fasson umgestalten, dass sie den graden Wände der Villa einen wellenmäßigen Schwung verpassen, aus Räumen Kokons machen – der wird enttäuscht werden.

Thomas Willemeit: "Es wäre vermessen, jetzt das Haus zu überformen und am Ende zu sagen, wir haben jetzt ein Graft Haus draus gemacht. Es geht ja auch um Respekt für die Räumlichkeiten und das Ausnutzen aller Blicke und Raumbeziehungen für die Erzählung einer Geschichte."

So erzählt Thomas Willemeit und seine vier Teamkollegen ihre Geschichte. Angefangen mit den vielen, manchmal ganz alltäglichen Dingen, die sie inspirieren. Denn diese Ideengeber sind in einer Ecke des Hauses versammelt. Da findet sich ein Fell-Fußball neben einer Madonna, Surfboardwax garniert eine erstaunlich gut erhaltene Currywurst. Nochmals Thomas Willemeit.

"Wenn da ’ne Currywurst liegt ist das ein Beispiel für Erfindungsreichtum in der Mangelwirtschaft der Nachkriegszeit, wo Hertha Heuer hört, ja Sparrips sind die Faszination ihres Mannes und es gibt aber kein Fleisch, da macht sie aus einer Wurst und einer aus Hören-Sagen erklärten Barbecue Soße macht sie was, was dem nahe kommt. Daraus wird die Fast Food Ikone Berlins. Erfindungsreichtum auf allen Ebenen, Einfallsreichtum, den Menschen, in diesem Fall im wahrsten Sinne des Wortes auf’s Maul schauen. Das ist wichtig, sich nicht zu ernst zu nehmen, nicht zu akademisch zu sein, sondern sich für alles zu interessieren."

So gehört für Graft durchaus auch mal das Rumspinnen dazu. Als Wettbewerbsentwurf für das geplante Deutsche Einheitsdenkmal reichten sie etwa Visionen von übers Land flatternder Deutschlandfahnen ein. Und planten die temporäre Kunsthalle auf dem Berliner Schlossplatz in Form einer Wolke. Doch bei aller Abgehobenheit: Es geht nicht nur um den schönen Schein, sondern auch das Funktionstüchtige Sein. Zum Beispiel bei den luftig von Streifen statt gemauerten Wänden umrahmten Kuben, die sie für Birds Island in Kuala Lumpur entwarfen.

Oder bei dem in Dubai geplanten Gebäudeensemble, das sich aus einem mit Solarzellen bewachsenen Hügel erhebt – ein wegen der Finanzkrise auf Eis liegendes Bauvorhaben. Auf Sonnenenergie setzt auch der für Afrika entwickelte Solarkiosk. Gutes Design soll für alle da sein, sagen Graft. Wobei den fünf Architekten durchaus klar ist, dass die gehobene Gastronomie und Hotellerie dem Graft Labor meist größere Spielräume bietet. So findet sich etwa im Berliner Q Hotel die Badewanne neben dem Bett, meint Lars Krückeberg.

"Hotels sind, weil sie Wohnungen auf Zeit sind, tolle Experimentierfelder. Sie erlauben die Form von Träumen und ein bisschen mehr die Zkunft. Und viele Hotelbesitzer wollen das. Und diese Badewanne gleich Bett. Wir werden immer gefragt, spritzt das nicht, wird man da nicht naß? Andererseits haben wir das innovativ gelöst. Andererseits sagen wir, dass das Wasser über diese Grenze schwappt, ist ja genau das, wie Leben funktioniert. Wo Rituale sich berühren."

Anhand der Bilder vom Q und anderen Projekten bekommt man im Haus am Waldsee eine recht gute Vorstellung vom Graftschen Denken und Träumen. Und ist doch ein bisschen enttäuscht, dass das so aufregende Prinzip des Grafting nicht raumgreifender durch das Gebäude mäandert. Statt einer umfangreichen Inszenierung ist es eher eine - allerdings sehr lebendig präsentierte – Werkschau.