Visionär und Provokateur

Von Alexander Soyez |
Der österreichische Psychiater und Sexualforscher Wilhelm Reich galt als umstritten und wurde immer wieder angefeindet. Antonin Svoboda hat mit "Der Fall Wilhelm Reich" nun bereits den zweiten Film über ihn gedreht - mit Klaus-Maria Brandauer in der Hauptrolle.
Als Visionär gefeiert, als Provokateur gefürchtet, als Scharlatan verurteilt. Wilhelm Reich vereint gleich mehrere dramatische Lebensläufe in einer Person. "Wer hat Angst vor Wilhelm Reich" heißt die Dokumentation, die Antonin Svoboda vor einigen Jahren gedreht hat - und mit "Der Fall Wilhelm Reich" hat er dem österreichischen Psychiater und Grenzforscher jetzt eine Kino-Biografie gewidmet. Mit Klaus Maria Brandauer in der Titelrolle.

Brandauer: "Also Wilhelm Reich habe ich natürlich nicht kennengelernt durch die Beschäftigung mit diesem Drehbuch. Ich kenne ihn, den Namen und sein Wirken, seit den 60er-Jahren.

Er war ja wichtig für 68er-Generation, für Flower Power, und Anfang der 70er wieder für die Flower Power und für die Jugend der Welt. In England, aber auch in Europa und in Amerika in besonderer Weise."

Nach einer Karriere als Jungstar in der Wiener Psychologischen Gesellschaft wurde er allerdings später sowohl in Deutschland als auch in Amerika verstoßen. Er legte sich nicht nur mit seinem Buch "Die Massenpsychologie des Faschismus" mit den Nazis an und floh Ende der Dreißigerjahre in die USA, wo er nach dem Krieg weiter forschte.

"Wissenschaftlich war er isoliert"
Unter anderem mit gewagten psychologischen Theorien und als Energietherapeut und Regenmacher, was weder McCarthy noch der Gesundheitsbehörde gefiel. Er wurde eingesperrt und kam schließlich im Gefängnis ums Leben. Ein großer Missverstandener ist er für Klaus Maria Brandauer.

Brandauer: "Beim Reich sind es eben diese sehr großen Merkwürdigkeiten, dass er in der Lage war so zum Du seines Gegenübers zu kommen, dass er Einfluss hatte auf ihr persönliches Wohlbefinden und ihre Gesundheit. Das war, was ihm geblieben war in Amerika.

Wissenschaftlich war er isoliert. Politisch auch. Weil er als eine Gefahr empfunden wurde. Vielleicht kann man sich vorstellen, dass in der Zeit des kalten Kriegs jeder der sagt, das und das möchte ich nicht, Atom will ich nicht, in der Nomenklatur der Regierenden als Störfaktor hingenommen wird."

Wilhelm Reich spürte den psychologischen Auswirkungen des Orgasmus nach, er war Sexualtherapeut und Lebensforscher. Er entwickelte nicht nur die Theorie, dass es so etwas wie eine Lebensenergie geben muss, sondern baute auch sogenannte Orgon-Akkumulatoren.

Kisten, in denen diese Energie gebündelt werden soll, um Menschen zu helfen. Für Brandauer ist Reich aber vor allem ein Gesellschaftsvisionär, der früher als andere begriffen hat, dass psychologische Probleme oft genug nur Symptome einer Gesellschaft sind, die das Menschsein unterdrückt.

Brandauer: "Der Reich war an der Arbeit mitzuteilen, dass jeder eine Störung hat. Auf die eine oder andere Weise. Im seelischen Bereich. Wir kriegen ja genug Blessuren. Deswegen hat es keinen Sinn sich ausschließlich mit Psychoanalyse zu beschäftigen.

Wie will man denn sieben Milliarden Neurotiker, die wir jetzt hier sind, auch noch mit Ärzten oder Psychiatern zu Leibe rücken. Nein. Eine politische Lösung gehört her. Dazu aufzufordern, ist Wilhelm Reich - und andere - eine unabdingbare Größe."
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