Virus im Anflug

Von Maren Schibilsky |
Der Gülper See im Westhavelland ist eine der wichtigsten Start- und Landeplätze für Zugvögel in Deutschland. Hier landen und rasten im Frühjahr hunderttausende Vögel auf ihrem Weg zu ihren Brutgebieten. Das Land Brandenburg startet hier jetzt sein größtes Vogelgrippe-Überwachungsprogramm, eine mühsame Spurensuche nach Speichelproben von Zugvögeln.
Vogelberinger Joachim Seeger geht am Ufer des Gülper Sees entlang. Noch ist das Wasser gefroren. Die Eisfläche zugeschneit. Es gibt nur wenige offene Stellen, wo erste Zugvögel landen. Seit die Vogelgrippe auch in Brandenburg gelandet ist, ist Joachim Seeger viel mit dem Fernglas unterwegs.

"Man schaut schon, ob man nicht einen sehr weißen oder dunklen Punkt in der Landschaft erkennen kann, dass dann auf ein totes Tier schließen lässt. Das macht man schon, ganz klar. Mehr als sonst jedenfalls."

Trotz Eis und Schnee hat der Frühjahrsdurchzug der Zugvögel bereits begonnen. Große Vogelschwärme verdunkeln den Himmel im Westhavelland. Die brandenburgische Havelniederung mit dem Gülper See ist eine der wichtigsten Drehscheiben für Zugvögel in Deutschland. Hier rasten vor allem Wasservögel. Über 200 verschiedene Arten. Auf den überfluteten Wiesen im Frühjahr finden sie genug Nahrung. Joachim Seeger verfolgt den Durchzug seit dreißig Jahren.

"Ja, es sind viele da. Die Gänse, Bleß- und Saatgans aus dem weiter westlich liegenden Europa rasten jetzt hier in sehr großen Zahlen. Viele zehntausend sind in der Landschaft zu sehen. Daneben auch die Singschwäne, die überwintern ja hier. Aber es sind auch schon wieder Wiederankömmlinge aus den südwestlichen Regionen da, wie zum Beispiel die Spießenten und die Pfeifenten."

Dieses Jahr wird der Vogeldurchzug im Westhavelland mit Skepsis erwartet. Denn viele Tiere kommen aus Überwinterungsgebieten oder überfliegen Regionen, in denen der H5N1-Asiavirus aufgetreten ist. Wie in Südfrankreich. Oder in Westafrika und in der Türkei. Mögliche Ansteckungswege für die Wildvögel. Trotzdem mahnt Joachim Seeger zur Gelassenheit.

"Das muss man einfach abwarten. Bis jetzt sind jedenfalls bei den riesigen Individuenzahlen, die jetzt im Gebiet rasten, noch keine Totfunde in übermäßiger Form getätigt worden. Aus dem Westhavelland ist auch noch kein einziger infizierter Vogel bekannt geworden."

Tote Tiere in der Landschaft seien in dieser Jahrzeit nichts Besonderes, erklärt Joachim Seeger, während er das Seeufer verlässt und durch den Schnee zum Auto zurückkehrt. Durch die langanhaltende Kälte und die weiten Flugstrecken sind viele Vögel völlig entkräftet und überleben den Winter nicht.

In der Staatlichen Vogelschutzwarte Buckow im Westhavelland herrscht Hochbetrieb. Der stellvertretende Leiter Torsten Ryslawy bereitet Brandenburgs größtes Vogelgrippeüberwachungsprogramm vor. Bisher haben die Ornitholgen zum Schutz der Großtrappe und des Schreiadlers gearbeitet. Vogelarten, für die Brandenburg europaweit eine besondere Verantwortung trägt. Jetzt muss Torsten Ryslawy in vier Flusstälern des Landes das gezielte Abfangen von Zugvögeln organisieren.

"Sind die hier bei uns durchziehenden und rastenden Vögel teilweise mit H5N1 versehen oder haben sie diesen Virus nicht. Da kann man eben nur feststellen, in dem man Vögel fängt, beprobt und wieder freilässt."

Bereits im Herbst vergangenen Jahres haben Ornitholgen wie Joachim Seeger über 500 Wasservögel am Gülper See mit Uferreusen gefangen und sogenannte Tupferproben aus dem Speichel und dem Kot der Tiere genommen. Auch in den Jahren davor - seit 2001 gab es im Zuge von Vogelberingungen immer wieder Probenahmen.

"Von den 851 beprobten Tieren. Das sind also Watvögel, das sind Möwen, das sind Enten und Rallen, ist nicht ein einziger mit diesem Virus infiziert gewesen."

Wird es in diesem Frühjahr auch so sein? Oder wird erstmals das H5N1-Asiavirus an einem lebenden Wildvogel in Deutschland nachgewiesen werden?

Für den Virologen Franz Conraths eine spannende Frage. Er leitet die Außenstelle der Bundesforschungsanstalt für Tierseuchen, das Friedrich-Löffler-Institut im brandenburgischen Wusterhausen. In weißen Flachbauten entsteht hier der aktuelle Lagebericht über die weltweite Verbreitung der Vogelgrippe. Täglich kommen Daten über neue Funde herein und werden für die Bundesregierung zusammengestellt.

"Ich denke, dass dieses Wildvogel-Monitoring sehr wichtig ist, damit wir einen Überblick darüber erhalten, wo sich H5N1-Asia-Virus im Moment aufhält. Denn die Übertragung des Virus auf den Menschen ist ja immerhin möglich, auch wenn eine Übertragung von Wildvögeln auf Menschen bisher noch nie beobachtet worden ist."

Während neue H5N1-Meldungen von der Weltorganisation für Tiergesundheit auf seinem Monitor erscheinen, erklärt Franz Conraths, dass Vogelgrippeviren ständige Begleiter von Wasservögeln sind.

"Das H5N1-Asiavirus, was wir jetzt beobachten, ist bei lebenden Wildvögeln gefunden worden. Und zwar in China, bei Enten, ziemlich genau vor einem Jahr, im Januar und März 2005. Man hat da auch das Virus isolieren können. Wenn man Enten dann mit dem Virus infiziert hat, haben die sieben Tage lang das Virus ausgeschieden. Und die Vögel, die man infiziert hat, haben das Virus auch überlebt. Das erklärt die Verbreitung dieses Virus über solche Vögel."

Theoretisch, meint der Virologe, könnte das H5N1-Asiavirus bereits im Herbst durch Zugvögel ins Westhavelland oder anderswo nach Deutschland eingeschleppt worden sein, an dem jetzt vereinzelt Wildvögel erkranken.

"Wir können ja bei Wildvögeln immer nur Stichproben ziehen. Da ist es ähnlich wie bei einer Lotterie, dass man den richtigen Vogel, der das Virus in sich trägt, nicht mit hundertprozentiger Sicherheit finden könnte."

In diesem Frühjahr soll die Anzahl der Probenahmen erhöht werden. 2000 Wildvögel sollen gefangen werden. Vor allem Gänse, Enten und Schwäne. Die Uferreusen, mit denen Joachim Seeger im Herbst Watvögel, Möwen und kleine Enten am Gülper See gefangen hat, sind für große Wasservögel zu klein.

"Das Problem dabei ist, dass wir riesige Überschwemmungsflächen haben im Frühjahr und die Tiere sich mehr verteilen. Man müsste verschiedene Fangplätze einrichten in der Havelniederung, die dann auch personell besetzen. Günstig wäre dann auch, wenn man neue Reusen dazu bekäme."

Sicherheitshalber reinigt Joachim Seeger seine Uferreusen vom Herbstfang, die eingeschneit unter einer Lärche in seinem Garten stehen. Alte Mauserfedern und Kotreste kleben an den Netzen. Vielleicht kommen sie für kleinere Vögel doch zum Einsatz.

Mit durch die Luft geschossenen Kanonennetzen will Ornithologe Torsten Ryslawy von der Staatlichen Vogelschutzwarte Gänse, Schwäne und Enten fangen. Diese Methode gibt es im Westhavelland seit den 60er Jahren. Allerdings waren die Kanonennetze Anfang der 1990er das letzte Mal für den Gänsefang im Einsatz und müssten überholt werden.

"Es wird also auf einer Fläche eine Netzreihe installiert mit Kanonengeschossen. Das Prinzip ist so, dass, wenn Gänse zu einem Netz hin äsen, Nahrung aufnehmen, wird ein Auslöser bedient und die Kanonen mit den befestigten Netzen fliegen dann im hohen Bogen über diesen Gänsetrupp und in dem Netz befinden sich dann im Erfolgsfalle diverse Gänse, die dann von den Kollegen herausgenommen werden und dann beprobt werden."

Auch die Störche rücken ins Zentrum der Vogelgrippeüberwachung. Sie überfliegen bei ihrer Rückkehr ins Westhavelland den Bosporus, die Türkei, wo es den H5N1-Asiavirus gibt.

"Es ist eine Frage der Witterung, wie lange Störche in der Türkei verweilen. Es kann sein, wenn eine Schlechtwetterfront dort ist, dass sie auch zwei, drei Wochen dort verbleiben. Dann würde unter Umständen das theoretische Problem da sein, dass die Störche sich zum Beispiel auf Müllhalden oder sonst wo theoretisch damit infizieren könnten."

In den Haveldörfern wächst die Unruhe. Die Freude über die Ankunft der Störche ist gedämpft. Auch bei Helmut Toschner aus Nennhausen. Seit er 1967 hierher gezogen ist, nistet der Storch auf dem Schornstein in seinem Hof. Er ist fast so etwas wie ein Familienmitglied. Erst wollte er in diesem Frühjahr das Nest abdecken. Jetzt hat er sich doch entschlossen, den Horst zu reinigen, von alten Kotresten und Plastikabfällen zu befreien.

"Der Storch ist willkommen in jeder Weise. Aber die Angst spielt mit. Wenn ich sehe, dass die Leute auf Rügen in Schutzanzügen Autoreifen abgesprüht haben. Die haben dort nichts auf den Kopf bekommen, haben auch nichts einatmen brauchen. Wir wissen ja nicht, ob der Vogel infiziert ist oder nicht."

Helmut Toschner hat in der Nähe des Storchennestes seine Terrasse. Da fliegen schon mal Dreck und Kotreste herunter oder werden durch Wind aufgewirbelt.

"Ich werde in der ersten Zeit meine Enkelin hier fernhalten. Da möchte ich Vorsicht walten lassen - bis mir jemand bestätigt, dass ich nichts zu befürchten habe."

Helmut Toschner erwartet, dass Speichelproben genommen werden, sobald "sein Storch" da ist.

Das wird nicht möglich sein, erklärt Rene Riepe vom Storchenschutz im Westhavelland. Die Tiere brauchen Ruhe für die Vorbereitung des Brutgeschäftes. Sonst verlassen sie die Nester.

"Die Beprobung wird dann erfolgen im Juni, wenn die Jungen noch im Horst sind. Da besteht dann auch die Möglichkeit, dass die dann in die Hand genommen werden können. Und dort werden es dann Speichelproben sein, die dort genommen werden."

Am Monitor verfolgt der Storchenschützer die Rückkehr zweier Störche aus dem Havelland. Sie wurden mit Sendern ausgestattet und ihre Flugrouten sind als Linien erkennbar.

"Das sind die Weißstörche Annamarie und Prinzeßchen. Sie kommen hier aus Wolsier. Das ist in der Nähe vom Gülper See. Die sind jetzt zur Zeit noch in Afrika südlich des Sudans. Sie fliegen zurück sicher in den nächsten Wochen über die Türkei, den Bosporus bis hier."

Seit den 50er Jahren hat der Strochenschutz im Westhavelland eine große Tradition. Insgesamt 45 Brutpaare sind fester Bestandteil von Dorfgemeinschaften. Die Betreuung der Horste, die Pflege der feuchten Havelwiesen und die Beringung der Jungstörche gehören zur langjährigen Storchenschutzarbeit. Das soll nicht durch Überreaktionen aufgrund der Vogelgrippe kaputt gemacht werden.

"Die langjährige Arbeit würde auf dem Spiel stehen. Wir gehen nicht davon aus, werden aber sicher mit den einzelnen Leuten noch reden, da die Anzahl nicht so groß ist, der Anwohner, die einen Storch auf dem Dach haben."

Weltweit gibt es noch keinen einzigen bekannten Fall von Vogelgrippe bei Störchen. Die Beprobung von Meister Adebahr im Westhavelland soll Aufklärung bringen.

Im Landeslabor Frankfurt/Oder bereiten sich die Virologen mit Hochdruck auf das Vogelgrippeüberwachungsprogramm vor. Equipment für die Probenahmen werden zusammengestellt. Tausende Proberöhrchen und Tupfer, Handschuhe, Mundschutz, Kühlakkus und Kühlboxen. Denn die Speichel- und Kotproben der Tiere müssen gut gekühlt innerhalb von 24 Stunden ins Labor – erklärt Roland Körber, Direktor des Landeslabors.

"Wir rechnen damit, dass hinsichtlich des Wildvogel-Monitorings in diesem Frühjahr eine Größenordnung von zweitausend Proben bekommen werden. Wir sind darauf eingestellt. . Andere Aufgaben werden dann zurückgestellt werden müssen. Wir würden keine Katze zum Beispiel untersuchen auf Influenzaviren, wenn nicht ein konkreter Verdacht besteht oder würden auch keine Speichelprobe von Hund und Katze nehmen."

Seit die Vogelgrippe im Land ist, stößt das Landeslabor an seine Belastungsgrenzen. Täglich werden in der Pathologie zwischen 60 bis einhundert tote Wildvögel seziert, Gewebeproben genommen und im Labor auf Influenzaviren untersucht. Die Arbeit in Schutzanzügen mit Atemmasken ist anstrengend, berichtet der Virologe Andreas Hlinak.

"Angst herrscht nicht vor. Gerade in der Pathologie und Virologie arbeiten die Kollegen sehr oft mit Infektionserregern, die zum Beispiel wie die Tollwut oder andere Ansteckungspotential haben können."

Joachim Seeger besteigt eine alte Holzmühle aus dem 18. Jahrhundert nahe des Gülper Sees. Bis in die 50er Jahre wurde hier noch Korn gemahlen. Jetzt gehört die Mühle der Universität Potsdam und ist in den nächsten Wochen das Zentrum der Beprobung. Schon manche Nacht hat Joachim Seeger in ihr verbracht, um in den frühen Morgenstunden mit Helfern aus den Fangreusen am Gülper See Vögel zu entnehmen.

"Das ist alles ehrenamtlich. Jeder, der hier mit tut, macht das entweder in seinem Urlaub oder es ist, dass es bedauerlicherweise Arbeitslose sind, die dann doch ein bisschen mehr zu Verfügung stehen. Sie fahren hierher auf eigene Kosten, sie verpflegen sich hier auf eigene Kosten. Da gehört eine Menge Enthusiasmus dazu."

Im vergangenen Herbst hat Joachim Seeger noch mit bloßen Händen den Vögeln Speichelproben entnommen. Jetzt hat das Robert-Koch-Institut in Berlin eine spezielle Schutzkleidung für das Wildvogel-Monitoring entwickelt.

"Das behindert ja auch, das darf man nicht übersehen. Ich bin da auch nicht besonders ängstlich, muss ich dazu sagen. Immer weniger ängstlich. Wenn ich die sich entwickelnde Situation in den Wildvogelpopulationen beobachte."