Virtuelle Lokführer

Von Christoph Podewils |
Früher, da hatte fast jeder kleine Junge eine Modelleisenbahn - eine Dampflok mit ein paar Wagen, die nicht selten ihre ersten Runden um den Weihnachtsbaum drehten. Später wurde dann mit viel Sperrholz, Moos und Liebe eine Modelleisenbahnlandschaft daraus - manchmal eine, die ganze Keller füllte, hunderte Meter Schienen hatte und von der Nordsee bis zu den Alpen reichte.
Und heute? Heute gehört die Modelleisenbahn zu den aussterbenden Spielzeugen. H0, Spur N und wie die Spurweiten der Miniaturbahnen sonst noch heißen, werden zusehends aus den Katalogen der Versandhäuser und den Schaufenstern der Spielwarengeschäfte ausrangiert.

Doch es gibt eine Ausnahme: EEP. Die virtuelle Modelleisenbahn. Sie passt auf eine CD, wird in einer dekorativen Blechdose ausgeliefert und braucht statt eines Hobbykellers nur ein paar Gigabyte Platz auf der Festplatte eines Windowscomputers. EEP, das steht für Eisenbahn.exe Professional - ein Computerspiel, das die alte Märklinlandschaft auf dem Bildschirm wiederbelebt.

"So und jetzt sehen wir den ersten Personenzug, der ist aus der Rangiergruppe herausgefahren und der wird jetzt gleich innerhalb von vier Minuten am Bahnhof Blankenburg eingesetzt. Da ist er jetzt stehen geblieben an einem Prellbock, weil der rangiert jetzt rückwärts rein."

Sagt Sascha Böhnke. Er baut schon seit fünf Jahren ein Stücken DDR-Eisenbahngeschichte im Computer nach. Und blickt noch immer fasziniert auf den Monitor, wenn sich darauf einer seiner 34 Züge in Bewegung setzt - streng nach Fahrplan, den Sascha Böhnke dazu eigens programmiert hat.

Die rote Diesellok stößt eine Qualmwolke aus und fährt langsam los. Hinter sich zieht sie drei grüne Doppelstockwagen her. Auf dem Bildschirm weitet sich die Landschaft vom Grau der Bahnhofsgegend in Blankenburg allmählich und geht in ein sattes, hügeliges Grün über. Es ist der Harz, der als Kulisse für diese Anlage herhält.

Mit einem Tastendruck wechselt Sascha Böhnke die Perspektive. Wir gucken aus dem Führerstand der Diesellok heraus. Sehen heruntergelassene Schranken vorbeirauschen, vor denen Lastwagen warten. Links rast ein Haus vorbei, dessen Schornstein qualmt. Und vor uns, über den Schienen, geht die Sonne auf.

EEP erweckt eine Welt im Kleinen zum Leben - übrigens eine, in der die Vögel immer zwitschern. Ein kleiner Scherz der drei Programmierer in ihrem Streben nach der perfekten Modellwelt.

"Natürlich, der große Unterschied ist, ich kann ein Modell weder anfassen noch riechen. Dafür habe ich aber sämtliche Möglichkeiten, die eine normale Modelleisenbahn hat, die habe ich natürlich auch alle mit EEP und noch viel mehr. Ich habe EEP auf meinem Laptop und kann, wenn ich mal drei Stunden Wartezeit am Flughafen überbrücken muss, oder ich bin in einem Hotel, ich kann meine Modelleisenbahnanlage immer mitnehmen."

Das ist neben dem Preis von 40 Euro vielleicht der größte Vorteil von EEP. Den größten Nachteil wiederum hat die virtuelle Märklinlandschaft mit ihrem Pendant aus Sperrholz, Moos und Pappmaché gemeinsam: Es kostet viel Zeit, bis sie so aussieht, wie sie soll. So gibt es in der Anlage von Sascha Böhnke Tausende von Bäumen, Hunderte von Häusern, Dutzende Bahnhöfe - und 40 Kilometer Schienen. Es gehört eine gehörige Portion Enthusiasmus dazu, um jedes Modell per Computermaus aus einer langen Liste auszuwählen und dann an der richtigen Stelle in die Landschaft zu platzieren.

"Ich frage mich selbst manchmal, warum verlier ich nicht die Lust an diesem Programm. Natürlich gibt es Zeiten, da habe ich drei, vier Monate EEP gar nicht geöffnet, auch keine Zeit oder keine Lust gehabt, aber es kommt immer wieder ein Schub, wo ich sage, ich muss jetzt wieder ran. Eben, weil dieses Programm nie fertig ist."

Wem es dennoch irgendwann langweilig wird, der kann die virtuelle Eisenbahn sogar auf eigene Faust erweitern: indem er selbst zum Konstrukteur wird. Denn die mehrere hunderttausend Fans große EEP-Gemeinde schafft sich ihre Modelle selber und verbreitet sie über spezielle Internetseiten - entweder für ein paar Euro oder sogar umsonst. Das zum Konstruieren nötige Spezialprogramm gehört zum Lieferumfang der virtuellen Eisenbahn.

Für ungeduldige Gemüter ist es allerdings nicht geeignet. Denn zum einen ist die Bedienung kompliziert. Und zum anderen sind die EEP-Fans wie alle Modelleisenbahner unglaublich detailverliebt, schildert Sascha Böhnke.

"Den echten Bahnhof Blankenburg im Harz, den hat eine Anlagenbauerin erstellt und die war da vor Ort. Die hat sich das genau angesehen, hat auch viele Sachen ausgemessen. Zum Beispiel dieser Lokschuppen, 1 zu 1 finden sie den auch in der Wirklichkeit. Oder auch die Bahnhofsanlage, den Bahnhof, das Stellwerk, das ist tatsächlich alles original."

Mehr als 7.000 Modelle sind so schon entstanden. Damit ist auch der große Traum der digitalen Lokführer ein Stück näher gerückt: Irgendwann, so sagt Sascha Böhnke, wollen sie gemeinsam eine riesige Modellbahn-Anlage im Internet bauen. Schon jetzt wird in einschlägigen Foren darüber diskutiert, wer darin für welche Streckenabschnitte zuständig ist, wer die Fahrpläne machen darf und in welcher Zeit das ganze überhaupt spielen soll. Es gibt also noch viel zu tun.