Virtuelle Elfen, Zwerge und Zauberer
World of Warcraft ist das weltweit erfolgreichste Onlinespiel. Allein eine halbe Million Deutsche sind von der virtuellen Fantasiewelt begeistert. Bei dem Onlinespiel können mehrerer tausend Menschen gleichzeitig in fremde Rollen schlüpfen. Agiert wird nicht als Einzelperson, sondern als Team. Nun kommt die erste Erweiterung des Spiels auf den Markt.
"Hallo! Prüft mal meinen Atem, ist er übel riechend genug?
Mein Hauptcharakter ist ein untoter Magier Tyrannus. Untot heißt, er hat keine Haut, er hat keine Haare, er ist einfach nur ein Knochengerippe sag ich mal. Hat leuchtende Augen, läuft immer gebückt durch die Gegend, verschießt seine Feuerbälle."
Der knochige Magier Tyrannus wohnt in Berlin und ist seinen Nachbarn als Andreas Schiefelbein bekannt. Gemeinsam mit seiner Freundin erkundet der 45-Jährige seit gut eineinhalb Jahren die Onlinewelt Azeroth. Er hat sich durch karge Eiswüsten gekämpft, hat in gluckernden Sümpfen Drachen erlegt und in zerfallenen Tempelanlagen fast vergessene Steintafeln geborgen. Nur selten ist er dabei alleine unterwegs.
"Im Gruppenspiel ist es von Hause aus wesentlich einfacher, man kann miteinander reden beim Spielen, lernt sich so kennen, hat Spaß dabei."
Über die Welt von Tyrannus fällt jetzt der brennende Kreuzzug her: The Burning Crusade. So heißt die erste kostenpflichtige Erweiterung der World of Warcraft, und von ihr versprechen sich die derzeit acht Millionen Spieler einiges:
Einen dritten, komplett neuen Kontinent mit neuen Ländern, neuen Völkern und Städten, neuen Zaubersprüchen und Berufen. Diesen Kontinent darf nur betreten, wer sich für rund 35 Euro die Erweiterung kauft – zusätzlich zum Grundspiel und zusätzlich zur monatlichen Abogebühr von rund zwölf Euro. Trotz dieser Kosten verspricht World of Warcraft eine klassenlose Gesellschaft.
Andreas Lange, Leiter des Berliner Computerspiele-Museums:
"Es werden halt komplexe gesellschaftliche Gefüge dort erstellt und wachsen, die schon irgendwo so was mit Klassen zu tun haben, aber es ist richtig, dass eigentlich jeder erstmal die gleichen Chancen hat, aufzusteigen in so ’nem sozialen Gefüge, unabhängig von seiner Hautfarbe, von seiner Herkunft, man sieht’s ja nicht, man sieht ja nur den Avatar, und den kann man so gestalten wie man das eben möchte."
Gemeinsam mit etwa 80 weiteren Spielern hat sich Andreas Schiefelbein zu einer dauerhaften Gruppe zusammengeschlossen, zu einer so genannten Gilde.
"Es ist so, dass sich Leute, die halt in die Gilde wollen, sich übers Forum der Gilde bewerben können, werden dann Anwärter, können sich im Spiel bewähren, dass man dann auch ein Bild von demjenigen hat.. Nach ’ner bestimmten Zeit entscheidet halt die Gilde über das Forum, ob dieser Anwärter als Mitglied in die Gilde aufgenommen wird oder nicht."
Nur wer diszipliniert mit den anderen trainiert, darf an den großen Schlachtzügen teilnehmen.
An Angriffen auf riesige Festungen also, in denen die Gegner so hart sind, dass nur Gruppen mit 40 Spielern eine Chance haben, und auch nur dann, wenn jeder genau weiß, was er wann zu tun hat. Die Taktik besprechen sie über Kopfhörer und Mikro. Andreas Schiefelbein und seine Gilde arbeiten gerade an Chromaggus, einem so genannten Boss-Gegner in dem gefährlichen Pechschwingenhort. Regelmäßiges Training, seit vier Monaten.
"Das ist sehr verbindlich. Wenn von 40 Leuten sechs Heiler sind und auf einmal würden zwei Heiler sagen, ich muss weg, dann muss man erstmal Ersatz finden, und das ist nicht so einfach. Weil das sind eingespielte Teams, und jeder der sich anmeldet für diesen Raid, ist sich auch der Sache bewusst, dass er dann auch bis zum Ende daran teilnimmt."
Diese Verbindlichkeit kann zu Konflikten mit dem Real Life, dem wahren Leben führen, warnt Andreas Lange vom Computerspiele-Museum, denn:
"Wenn man nun der einzige große Heiler ist, den diese Gruppe hat, und dann gibt’s irgendwie zu Hause ein Problem, das Kind weint und man wird eigentlich dort gebraucht, dann kommt man in einen Konflikt rein: Was mach ich jetzt, kämpf ich hier weiter oder kümmer’ ich mich um mein weinendes Kind, und das sind natürlich neue Konflikte im Vergleich jetzt zu Single-Player-Spielen."
Ein Problem, das auch Tyrannus alias Andreas Schiefelbein sieht. Beziehungsprobleme, meint er, wären vorprogrammiert, wenn er ohne seine Freundin in die Fantasiewelt abtauchen würde – stundenlang, Tag für Tag. So wie rund eine halbe Million Deutsche.
Die Onlinewelt ist komplex in einem Ausmaß, das frühere Spiele nie erreicht haben. Dagegen sei jedes Schachspiel "langweilig und dumm", meint Matthias Horx, Soziologe und Zukunftsforscher. Er hält wenig von der kulturpessimistischen Kritik, die Spieler verschwänden in Scheinwelten und kämen danach nicht mehr mit der Wirklichkeit zurecht. Die pauschale Warnung des Ulmer Hirnforschers Manfred Spitzer: Bildschirmmedien machten einsam und gewaltbereit. Matthias Horx dagegen hält World of Warcraft für das ideale Trainingsinstrument für genau jene Fähigkeiten, die wir in Zukunft bräuchten: "Kooperation, Kampf um Konkurrenz, strategisches und taktisches Denken."
Andreas Lange vom Computerspiele-Museum:
"Es wird soziales Verhalten geschult, allerdings oft sehr zielgerichtet. Also das heißt, man muss sich tatsächlich dann zusammenschließen, aber hat dann eben ne ganz spezielle Aufgabe und andere Aspekte werden dann völlig ausgeblendet. Also private Aspekte, wie’s einem geht, fühlt man sich gerade traurig, Probleme, die man hat. Das spielt dann da eben keine Rolle, sondern es ist eine sehr zielgerichtete Kommunikation."
Andreas Schiefelbein widerspricht. Für ihn sind viele Gilden-Kollegen längst Freunde auch außerhalb des Spiels geworden. Sie kommen aus dem Ruhrgebiet und aus dem Schwarzwald, aus Hamburg und aus Berlin.
"Wir hatten jetzt drei Gildentreffen, davon waren zwei in Hamburg. Beim ersten Gildentreffen war’s natürlich sehr spannend. Weil man kennt die Leute vom Spiel, man hat vielleicht Fotos gesehen, aber, man war schon sehr aufgeregt. Ich hab auch nach wie vor sehr intensive Kontakte. Wir telefonieren miteinander, wenn irgendwelche Probleme sind, ruft man sich halt an und fragt den anderen, ob er nen Rat geben kann. Und ich muss sagen, es sind Leute dabei, wo ich sage, okay, das sind mittlerweile Freunde geworden."
Online treffen sich die Gilden-Freunde fast jeden Abend. Im wahren Leben klappt das nur ein- bis zweimal im Jahr. Und dann muss sich der untote Magier Tyrannus verabschieden.
"Schlechten Tag noch! Tschüß!"
Mein Hauptcharakter ist ein untoter Magier Tyrannus. Untot heißt, er hat keine Haut, er hat keine Haare, er ist einfach nur ein Knochengerippe sag ich mal. Hat leuchtende Augen, läuft immer gebückt durch die Gegend, verschießt seine Feuerbälle."
Der knochige Magier Tyrannus wohnt in Berlin und ist seinen Nachbarn als Andreas Schiefelbein bekannt. Gemeinsam mit seiner Freundin erkundet der 45-Jährige seit gut eineinhalb Jahren die Onlinewelt Azeroth. Er hat sich durch karge Eiswüsten gekämpft, hat in gluckernden Sümpfen Drachen erlegt und in zerfallenen Tempelanlagen fast vergessene Steintafeln geborgen. Nur selten ist er dabei alleine unterwegs.
"Im Gruppenspiel ist es von Hause aus wesentlich einfacher, man kann miteinander reden beim Spielen, lernt sich so kennen, hat Spaß dabei."
Über die Welt von Tyrannus fällt jetzt der brennende Kreuzzug her: The Burning Crusade. So heißt die erste kostenpflichtige Erweiterung der World of Warcraft, und von ihr versprechen sich die derzeit acht Millionen Spieler einiges:
Einen dritten, komplett neuen Kontinent mit neuen Ländern, neuen Völkern und Städten, neuen Zaubersprüchen und Berufen. Diesen Kontinent darf nur betreten, wer sich für rund 35 Euro die Erweiterung kauft – zusätzlich zum Grundspiel und zusätzlich zur monatlichen Abogebühr von rund zwölf Euro. Trotz dieser Kosten verspricht World of Warcraft eine klassenlose Gesellschaft.
Andreas Lange, Leiter des Berliner Computerspiele-Museums:
"Es werden halt komplexe gesellschaftliche Gefüge dort erstellt und wachsen, die schon irgendwo so was mit Klassen zu tun haben, aber es ist richtig, dass eigentlich jeder erstmal die gleichen Chancen hat, aufzusteigen in so ’nem sozialen Gefüge, unabhängig von seiner Hautfarbe, von seiner Herkunft, man sieht’s ja nicht, man sieht ja nur den Avatar, und den kann man so gestalten wie man das eben möchte."
Gemeinsam mit etwa 80 weiteren Spielern hat sich Andreas Schiefelbein zu einer dauerhaften Gruppe zusammengeschlossen, zu einer so genannten Gilde.
"Es ist so, dass sich Leute, die halt in die Gilde wollen, sich übers Forum der Gilde bewerben können, werden dann Anwärter, können sich im Spiel bewähren, dass man dann auch ein Bild von demjenigen hat.. Nach ’ner bestimmten Zeit entscheidet halt die Gilde über das Forum, ob dieser Anwärter als Mitglied in die Gilde aufgenommen wird oder nicht."
Nur wer diszipliniert mit den anderen trainiert, darf an den großen Schlachtzügen teilnehmen.
An Angriffen auf riesige Festungen also, in denen die Gegner so hart sind, dass nur Gruppen mit 40 Spielern eine Chance haben, und auch nur dann, wenn jeder genau weiß, was er wann zu tun hat. Die Taktik besprechen sie über Kopfhörer und Mikro. Andreas Schiefelbein und seine Gilde arbeiten gerade an Chromaggus, einem so genannten Boss-Gegner in dem gefährlichen Pechschwingenhort. Regelmäßiges Training, seit vier Monaten.
"Das ist sehr verbindlich. Wenn von 40 Leuten sechs Heiler sind und auf einmal würden zwei Heiler sagen, ich muss weg, dann muss man erstmal Ersatz finden, und das ist nicht so einfach. Weil das sind eingespielte Teams, und jeder der sich anmeldet für diesen Raid, ist sich auch der Sache bewusst, dass er dann auch bis zum Ende daran teilnimmt."
Diese Verbindlichkeit kann zu Konflikten mit dem Real Life, dem wahren Leben führen, warnt Andreas Lange vom Computerspiele-Museum, denn:
"Wenn man nun der einzige große Heiler ist, den diese Gruppe hat, und dann gibt’s irgendwie zu Hause ein Problem, das Kind weint und man wird eigentlich dort gebraucht, dann kommt man in einen Konflikt rein: Was mach ich jetzt, kämpf ich hier weiter oder kümmer’ ich mich um mein weinendes Kind, und das sind natürlich neue Konflikte im Vergleich jetzt zu Single-Player-Spielen."
Ein Problem, das auch Tyrannus alias Andreas Schiefelbein sieht. Beziehungsprobleme, meint er, wären vorprogrammiert, wenn er ohne seine Freundin in die Fantasiewelt abtauchen würde – stundenlang, Tag für Tag. So wie rund eine halbe Million Deutsche.
Die Onlinewelt ist komplex in einem Ausmaß, das frühere Spiele nie erreicht haben. Dagegen sei jedes Schachspiel "langweilig und dumm", meint Matthias Horx, Soziologe und Zukunftsforscher. Er hält wenig von der kulturpessimistischen Kritik, die Spieler verschwänden in Scheinwelten und kämen danach nicht mehr mit der Wirklichkeit zurecht. Die pauschale Warnung des Ulmer Hirnforschers Manfred Spitzer: Bildschirmmedien machten einsam und gewaltbereit. Matthias Horx dagegen hält World of Warcraft für das ideale Trainingsinstrument für genau jene Fähigkeiten, die wir in Zukunft bräuchten: "Kooperation, Kampf um Konkurrenz, strategisches und taktisches Denken."
Andreas Lange vom Computerspiele-Museum:
"Es wird soziales Verhalten geschult, allerdings oft sehr zielgerichtet. Also das heißt, man muss sich tatsächlich dann zusammenschließen, aber hat dann eben ne ganz spezielle Aufgabe und andere Aspekte werden dann völlig ausgeblendet. Also private Aspekte, wie’s einem geht, fühlt man sich gerade traurig, Probleme, die man hat. Das spielt dann da eben keine Rolle, sondern es ist eine sehr zielgerichtete Kommunikation."
Andreas Schiefelbein widerspricht. Für ihn sind viele Gilden-Kollegen längst Freunde auch außerhalb des Spiels geworden. Sie kommen aus dem Ruhrgebiet und aus dem Schwarzwald, aus Hamburg und aus Berlin.
"Wir hatten jetzt drei Gildentreffen, davon waren zwei in Hamburg. Beim ersten Gildentreffen war’s natürlich sehr spannend. Weil man kennt die Leute vom Spiel, man hat vielleicht Fotos gesehen, aber, man war schon sehr aufgeregt. Ich hab auch nach wie vor sehr intensive Kontakte. Wir telefonieren miteinander, wenn irgendwelche Probleme sind, ruft man sich halt an und fragt den anderen, ob er nen Rat geben kann. Und ich muss sagen, es sind Leute dabei, wo ich sage, okay, das sind mittlerweile Freunde geworden."
Online treffen sich die Gilden-Freunde fast jeden Abend. Im wahren Leben klappt das nur ein- bis zweimal im Jahr. Und dann muss sich der untote Magier Tyrannus verabschieden.
"Schlechten Tag noch! Tschüß!"