Virtualität und Spiritualität begegnen sich

Von Bettina von Clausewitz · 15.05.2010
Während des Ökumenischen Kirchentages diente die katholische Allerheiligen-Hofkirche in München drei Tage lang als "Kulturkirche". Geboten wurden Performances, Videokunst, interaktive Live-Musik und Diskussionen.
Ruth Geiersberger: "Ich bin Performance-Künstlerin und mache sehr viel mit Stimme und ... 'Wortgeburten', sage ich mal, und versuche mich einfach dem zu stellen, was und wo eigentlich der Gedankenraum der Menschen sitzt, vor allem auch, wenn sie in den Zustand kommen, der ein bisschen anders langsam wird..."

... zum Beispiel, wenn die Demenz langsam vom Geist eines Menschen Besitz ergreift. Ruth Geiersberger setzt sich künstlerisch und persönlich betroffen auch mit solchen Tabuthemen auseinander, etwa beim Eröffnungsabend der Kulturkirche.

Sie ist eine von vielen Künstlerinnen und Künstlern, die die Allerheiligen-Hofkirche in ein Zentrum für experimentelle Kunst verwandelt haben, auf den Spuren der Spiritualität. Auch wenn sie bei Ruth Geiersberger deutlich anders daher kommt, als im traditionellen Sonntagsgottesdienst:

"Da ich sehr viel mit Idyllenforschung mache und zutiefst bayerisches Wurzelgut in mir trage (lacht), verbinde ich das alles auch mit dem Gedankengut der bayerischen Lieder, einfach mit dieser frechen Naivität einfach auch diese Fragen noch weiter in den Raum zu stellen. Es wird ein Ort geschaffen, an dem man innehält, und da fängt für mich die Spiritualität eigentlich schon an."

Sprach's und zückte erneut ihr Akkordeon, eine zierliche Person mit kurzem Blondschopf allein auf der Bühne im weiten Kirchenschiff, die sie ohne Weiteres füllt mit ihrem Jodeln.

"Virtualität und Spiritualität", so das anspruchsvolle Motto der Kulturkirche auf dem Gelände des prunkvollen bayerischen Fürstensitzes. Kunst und Kirche im Dialog über aktuelle Themen aus der digitalen Welt. Auf dem Programm standen Performances und Videokunst, interaktive Live-Musik und literarische Notaten, Ausstellungen und Diskussionen - über Mystik im Internet etwa, über eine Ökumene der Künste oder die Faszination virtueller Welten. Virtualität – für Horst Konietzny, künstlerischer Leiter der Kulturkirche, ist das weit mehr als nur Internet:

"Was wir versuchen ist, dahinter zu gehen: Was ist spirituell in der Kunst? Wir haben am Samstagabend, heute Abend, eine Podiumsdiskussion, in der wir versuchen, herauszufinden, wo diese Spiritualität lauern könnte - in der Musik. Es wird auch ein Konzert sein mit sechs Einzelmusikern, die in einem sogenannten Solo-Plus-Konzert zusammen kommen. Jeder hat 15 Minuten für sich und in den letzten fünf Minuten verzahnt sich das. Das Interessante daran ist, dass alle Künstler die ganze Zeit auf der Bühne sind. Das heißt, es geht ums Zuhören."

Ein musikalischer Raum, in dem das Ich zum Wir werden soll. Die Kulturkirche als Experimentierfeld für neue Erfahrungen, spirituell und virtuell. Denn das Internet hat auch mit Glaubenswelten zu tun: Menschen artikulieren hier ihre Nöte oder machen sich auf die Suche nach Gott. Manche Religionsgemeinschaften nutzen es als Missionsfeld und virtuelle Kirchen formieren sich. All das sind neue Trends, und die sind auf Kirchentag bestens platziert, meint Organisator Christian Düfel vom Vorbereitungsteam.
"Das ist auch mit impliziert, dass es andere Formen gibt. Kirche im virtuellen Raum ist ein Thema, das auf den Podien diskutiert wird, aber es war der Gruppe, die das vorbereitet hat, ganz wichtig, dass das keine rein akademische Veranstaltung oder keine rein künstlerische Veranstaltung ist, sondern es wurde versucht ein Programm zu entwerfen, was von den "Global Prayers" morgens bis zum "Nachtsalon", der abends um 24 Uhr schließt, ein Gesamtbogen ist und unter einem künstlerischen Aspekt jeder einzelne Tag gestaltet wird. "

Musikalische Begleitung für das "Global Prayer" – das weltumspannende Gebet, das morgens, mittags und abends in der Kulturkirche stattfindet. Auch dies ein Kunstprojekt – als Videoinstallation. Einige Besucherinnen und Besucher hören still auf die Musik, während ringsum an die Wände kurze Texte projiziert werden, die bereits auf der Homepage www.Globalprayer.foobarlab.net/ stehen: von banalen Sachen wie "Hoffnung auf besseres Wetter" bis hin zu realen Nöten: "Ich sorge mich um meinen Mann und mich". Manche Jugendliche greifen sofort zum Handy, um sich einzuloggen. Bei anderen herrscht Verwirrung, was das Ganze soll. Wieder andere nutzen den Laptop am Eingang der Kirche:

Frau am Laptop: "Also man kann sich hier einloggen und Antworten auf bestimmte Fragen geben, 'Global Prayer' heißt die, und ich hab sie aufgerufen und die fragt mich jetzt, wovor ich weglaufe und das sind Zukunftsängste – und die haben ja wohl viele Leute."

Beten im Internet, kommunizieren mit Unbekannten, für viele Kirchentagsbesucher ist das Neuland, aber viele lassen sich bereitwillig darauf ein – auch die Älteren. Zeitgleich verwandelt sich die Münchener Performance-Künstlerin Dorothea Seror im leeren Altarraum in ein avatar-ähnliches Wesen aus Wachs.

"Wir haben einen weißen Leinenstoff und Blüten und Wachs. Und wir zerlegen das Wachs hier, wir schmelzen das Wachs, und wir gießen dann die Blüten auf das Kleid. Und im fortlaufenden Tag wird sich das auch über den gesamten Körper von mir weiter fortsetzen – ich werd darin eingegossen, ja. Heute Abend um 19 Uhr ist dann die Entlassung des Avatars in die Spiritualität oder in die Freiheit, je nachdem wie man es sieht.""Virtualität und Spiritualität" – im Laufe der Woche gab es viele Experimente, um diese sperrigen Begriffe in der Kulturkirche neu zu beleben. Ein ambitioniertes Projekt voller Ideen und Engagement. Für Veranstalter Christian Düfel ein Projekt mit Langzeitwirkung:

""Wir wollen, dass Menschen kommen, dass sie inspiriert werden darüber nachzudenken, dass sie in Vorträgen und den Diskussionen Anregungen bekommen haben, über Virtualität und Spiritualität, über Kirche, Kultur und Kunst nachzudenken. Wir wollen aber auch, dass sie fröhlich aus der Kirche gehen, dass sie sagen, wir haben gute Kunst gesehen, gute Musik gehört haben ... und es darf ruhig kritisch diskutiert werden, und die Leute sollen auch ruhig mal ein Fragezeichen sehen."
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