Virologin Stephanie Pfänder

Was bei einer Sars-CoV-2-Infektion im Körper passiert

10:42 Minuten
Illustrative Darstellung einer viralen Lungentzündung mit Blick in das innere eines Menschen, die von Coronaviren verursacht werden kann.
So sieht eine virale Lungentzündung beim Menschen aus. © imago / Science Photo Library
Stephanie Pfänder im Gespräch mit Lydia Heller · 19.03.2020
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Was passiert genau bei einer Sars-CoV-2-Infektion? Warum dauert es, bis wir Antikörper bilden? Wie soll ein zukünftiger Wirkstoff wirken? Und wie erklärt man sich die unterschiedlichen Verläufe? Wir haben die Virologin Stephanie Pfänder dazu befragt.
Lydia Heller: Nochmals zum besseren Verständnis: Wie infiziert das neue Virus eine Zelle?
Stephanie Pfänder: Das Sars-CoV-2 exprimiert auch wie andere Coronaviren an der Oberfläche ein gewisses Protein, ein Molekül, das nennt sich Spike-Protein, und das ist wichtig für die Interaktion der Zielzelle. Auf der Zielzelle gibt es auch weitere Moleküle, so genannte Rezeptoren, dort bindet das Spike-Protein dran, das heißt, man hat wirklich genau den Match zwischen Spike und einem ganz spezifischen Rezeptor.
Wenn die beiden dann miteinander gebunden haben, dann kommt es noch zu weiteren Prozessen, dann muss das Spike-Protein noch aktiviert werden, da spielen auch wieder Wirtsfaktoren eine Rolle. Und letztendlich kommt es dann zu einer Fusion zwischen dem Virus und der Zelle, und das Virusgenom wird in die Zelle entlassen.

Immunreaktionen einer infizierten Zelle

Heller: Und was genau passiert dann innerhalb einer infizierten Zelle, welche Vorgänge werden dann dort in Gang gesetzt?
Pfänder: Wenn so ein Virus in eine Zelle eintritt, kommt es zu vielen Reaktionen. Wir haben auf der einen Seite natürlich die Reaktionen von der Zelle, von dem Wirt, den Immunreaktionen, die verhindern sollen, dass das Virus sich weiter verbreiten kann. Und auf der anderen Seite haben wir dann die Virusseite, das Virus induziert dann auch wieder Veränderungen.
Wenn wir jetzt von der Virusseite ausgehen, sobald das Virus in der Zelle ist, benutzt es die zelleigenen Mechanismen, um sein Genom zu kopieren. Zuerst werden Proteine gemacht im Fall von so einem Coronavirus zum Beispiel, diese Proteine bilden dann einen so genannten Replikationskomplex, da kommen mehrere Proteine zusammen und sorgen dann dafür, dass das genomische Material kopiert wird.
Damit kann das Virus unheimlich viele Kopien von sich selbst anfertigen. In der Zelle baut das Virus sich dann zusammen zu neuen Viren, und die können aus der Zelle wieder entlassen werden und die benachbarten Zellen und andere Zellen wieder weiter infizieren. Und so verbreitet sich das Virus von Zelle zu Zelle.

Sars-CoV-2 kann Immunerkennung verzögern

Heller: Jetzt weiß man ja inzwischen, dass es ein paar Tage dauert, bis infizierte Personen Antikörper bilden gegen das eindringende Virus, woran liegt das?
Pfänder: Ja, wir sprechen hier von verschiedenen Immunantworten. Es gibt einmal die so genannte angeborene Immunantwort, die ist wirklich sehr, sehr schnell. Und dann gibt es die adaptive oder die erworbene Immunantwort. Diese erworbene Immunantwort sind dann diese Zellen, die wir kennen, diese T-Zellen, B-Zellen, die zum Beispiel auch Antikörper machen.
Das dauert ein paar Tage, aber diese angeborene Immunität, sobald ein Virus die Zelle betritt, wird das normalerweise erkannt, dann kommt es zu verschiedenen Signalwegen innerhalb der Zelle, es kommt zur Bildung von Botenstoffen, Signalmolekülen, sogenannten Zytokinen. Das kann innerhalb von ein paar Stunden passieren, zwölf Stunden, 18 Stunden, 24 Stunden, je nachdem. Und das ist etwas, was so ein erster Schutz ist, was im Grunde alle Zellen auch leisten können.
Das Sars-CoV-2 hat aber wie viele andere Viren auch die Möglichkeit, die Immunerkennung quasi zu verzögern oder zu verhindern, da gibt es mehrere Mechanismen, weil das Virus - man kann nicht immer sagen, das Virus möchte irgendwas, aber für einen Virus ist es nicht vorteilhaft, vom Immunsystem erkannt zu werden -, deswegen gibt es da andere Mechanismen, dass ein Virus das verhindern kann.

Wenn sich Viren maskieren

Wir können Schlüsse ziehen von anderen Coronaviren, die haben bestimmte Mechanismen, das heißt, sie können unter anderem zum Beispiel ihr Genom so maskieren, dass es nicht gleich als fremd erkannt wird.
Die Coronaviren haben ein sehr großes Genom, die codieren für viele Proteine auch, und einige von diesen Proteinen können direkt mit der Erkennung beziehungsweise Weiterleitung von diesen Signalen interferieren – und damit verhindern, dass dann das Immunsystem sofort aktiviert wird. Aber auch da laufen gerade natürlich die Studien, und Leute gucken sich das spezifisch an.
Heller: Forscher in den USA testen gerade einen potenziellen Impfstoff gegen das neue Coronavirus – können Sie kurz skizzieren, wie dieser Impfstoff wirken soll?
Pfänder: In den USA wird meines Wissens jetzt ein genbasierter Impfstoff getestet, und zwar ist das, dass ein bestimmtes Gen dieses Virus in Form von einer mRNA, einer messenger RNA, in die Zelle gegeben wird und diese codiert für das Spike-Protein. Das Ziel des Ganzen ist, dass im Grunde dieses Virusprotein, also das isolierte Protein, dieses Spike-Molekül, in den Zellen gebildet wird – und dass da dann spezifisch eine Immunreaktion des Körpers nur auf dieses Protein gebildet wird, das heißt Antikörper, die dann dieses Spike-Protein targeten und damit das Virus neutralisieren können.
Und das ist jetzt das, was in den USA gerade angelaufen ist, dass man sich wirklich nur ein Teil des Genoms anschaut und das isoliert in die Zellen gibt und damit das Immunsystem trainiert auf diesen einen Teil.

Das Immunsystem trainieren

Heller: Das wäre also sozusagen so, als würde man die Tür verschließen, durch die das Virus in die Zelle eindringt – oder den Weg in die Zelle hinein versperren. Gibt es andere Ansätze, die man verfolgen würde?
Pfänder: Genau, verschiedene Mechanismen, es gibt unter anderem auch für das Sars-CoV-2 Lebendimpfstoffe. Das heißt, dass man nicht nur ein isoliertes Protein reingibt, sondern man benutzt ein so genanntes Vektorsystem, das basiert auf einem anderen meist bekannten oder harmlosen Virus.
Dieses Virus verändert man so, dass es dann zum Beispiel das Spike-Protein codiert, sodass es dann ein gemischtes Virus ist. Und das Virus kann sich dann gezielt auch in den Zellen vermehren und damit auch das Immunsystem trainieren. Man gaukelt quasi dem Immunsystem auch eine Sars-CoV-2-Infektion damit vor, sodass spezifische Antikörper gebildet werden.
Und jetzt in diesem Fall ist es auch ähnlich, dass das Immunsystem trainiert wird, aber man gibt wirklich nur eine mRNA, also eine messenger RNA, in die Zellen, dass dann wirklich nur dieses eine Protein gebildet wird – und damit trainiert man das Immunsystem.

Heller: Wie erklärt man sich die unterschiedlich schweren Verläufe?
Pfänder: Worüber Sie jetzt sprechen, über die schweren Verläufe, das sind viele Faktoren, die eine Rolle spielen, und die sind vermutlich auch immunsystemvermittelt. Das heißt, in einigen schweren Fällen wird ja vermutet, dass es zu einer Überreaktion des Immunsystems kommt, zu einem so genannten Zytokinsturm, das ist eine überschießende Reaktion von dem Immunsystem, was dann einfach auch weitere Konsequenzen hat, wo dann Lungenzellen zerstört werden und so weiter.
Aber warum jetzt einige Individuen diese schweren Verläufe haben und andere nicht, warum haben das besonders Ältere, Jüngere – da gibt es viele Theorien. Aber auch da ist meines Wissens das noch nicht wirklich geklärt, welche Faktoren spielen jetzt eine Rolle. Auch genetische Faktoren kann man in diesem Fall nicht ausschließen. Da ist die Forschung intensiv daran, das genau herauszufinden.
Heller: Viel konnte man in den letzten Tagen ja auch hören und lesen über verschiedene Mutationen des neuen Coronavirus – was weiß man da über die Ursachen? Warum oder wann mutieren Viren?
Pfänder: Verschiedene Viren haben unterschiedliche Mutationsraten, auch das Sars-CoV-2 verändert sich da natürlich laufend. Die Coronaviren haben da aber noch so eine kleine Besonderheit, und zwar codieren die für ein Protein, was so eine proof reading, so nennt man das im Englischen, macht, das heißt, dass das Genom noch mal überprüft, sodass es zu weniger Mutationen kommt als im Vergleich zum Beispiel mit einem Influenzavirus.
Aber nichtsdestotrotz verändert sich das Virus laufend, das ist ganz klar. Mutationen entstehen natürlich auch durch "Immun-Pressure", durch Immundruck. Das Virus verändert sein Genom, um diesem Immundruck ein bisschen auszuweichen, und dadurch kommt es natürlich auch zur Evolution.

Mutationen nicht immer positiv für das Virus

Heller: Und wenn ein Virus mutiert – bedeutet das dann immer auch, dass es gefährlicher wird?
Pfänder: Zum einen kann es natürlich sein, dass ein Virus sich verändert, dass es mutiert und dass es dann infektiöser wird. Das ist ja das, was jetzt auch diskutiert wird, wir haben vielleicht eine höhere Affinität zum Rezeptor, sowas kann durch Mutationen passieren. Das heißt, die Verbreitung von so einem Virus kann verbessert werden.
Mutationen müssen aber nicht immer positiv sein für den Virus, es kann auch sein, dass eine Mutation bewirkt, dass das Virus sich schlechter verbreiten kann, das ist genauso möglich, also wir können nicht sagen, in welche Richtung geht das. Es ist auch denkbar, dass ein Virus im Laufe der Zeit mutiert und sich besser an den Wirt anpasst und dann weniger pathogen wird oder eine geringere Letalität verursacht, denn für Viren ist es vorteilhafter, wenn sie länger unerkannt bleiben, also nicht so schwere Symptome hervorrufen, dadurch können sie sich besser verbreiten zwischen den Wirten.
Wenn ein Virus natürlich sehr letal ist, eine hohe Mortalitätsrate aufweist, stirbt der Wirt im schlimmsten Fall – und damit hat das Virus dann nicht mehr so gute Möglichkeiten, sich zu verbreiten.
Bezüglich einer Therapie muss man sagen, man weiß natürlich von anderen Viren, wenn man die jetzt mit gewissen Therapeutika behandelt, zum Beispiel antiviralen Medikamenten, das hört man besonders immer bei chronischen Infektionen, die auch lange im Körper bleiben, dass das Virus sich dann irgendwann anpasst und diese Medikamente dann nicht mehr wirken.
Sowas muss man auch immer im Hinterkopf haben, dass das Virus dadurch auch sein Genom verändern kann, dass gewisse antivirale Medikamente in diesem Fall dann nicht mehr so gut wirken, dass man wirklich so Resistenzen bekommt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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