Virologe Thomas Mettenleiter

"Ohne Viren würden wir nicht existieren"

33:43 Minuten
Thomas Mettenleiter sitzt vor einer vertäfelten Wand an einem Schreibtisch und blickt in die Kamera.
Der Virologe Thomas Mettenleiter © Mandy Jörn
Moderation: Annette Riedel · 19.01.2022
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Riems sei die gefährlichste Insel Deutschlands, heißt es oft. Hier arbeitet der Virologe Thomas Mettenleiter. Das hier ansässige Forschungsinstitut befasst sich mit aggressiven Tierseuchen und wie Viren von Tieren auf Menschen übergreifen.
Das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Insel Riems im Greifswalder Bodden bietet einen landschaftlich schön gelegenen Arbeitsplatz, verlangt den Forscherinnen und Forschern aber auch einiges ab. „Schnell geht in dem Kontext nix“, sagt Thomas Mettenleiter, der Präsident des Instituts.
Damit meint er auch den Toilettengang. Eine halbe Stunde braucht es, bevor man sich aus seinem Schutzanzug befreit hat, der zuvor in einer Desinfektionsdusche abgesprüht wurde.
Das Friedrich-Loeffler-Institut forscht zu ansteckenden Tierseuchen und Viren, zu den Übertragungswegen zwischen Mensch und Tier und umgekehrt.

Alcatraz der Forschung

„Wir verändern die Erreger, um festzustellen, welche Eigenschaften sie haben“, präzisiert Mettenleiter, „aber auch, welche Achillesfersen sie haben. Das heißt: wo man dann auch entsprechend eingreifen kann, ob mit Impfstoffen oder antiviralen Medikamenten."
Als „gefährlichste Insel Deutschlands“ oder „Alcatraz der Forschung“ (in Anspielung auf die Gefängnisinsel vor San Francisco) wird Riems daher oft bezeichnet. Auf der Insel herrscht Sicherheitsstufe vier, die höchste überhaupt. Privatpersonen erhalten nur mit Genehmigung einen Zugang.
Dennoch, „gefährlichste Insel Deutschlands“, das passe eher nicht, meint der Mettenleiter. Seit 1996 leitet der Virologe das Institut. Ein Virus sei in dieser Zeit nicht entkommen.
Hundertprozentige Sicherheit gebe es natürlich nicht. Früher, „bevor es diese hochtechnisierten Bedingungen gab“, habe es Vorfälle gegeben. Zuletzt 1982, als der Erreger der Maul- und Klauenseuche entkam.

Die Insellage ist kein Zufall

Das FLI ist eines der ältesten virologischen Forschungsinstitute. Gründet wurde es 1910, benannt ist es nach dem Bakteriologen Friedrich Loeffler. Der „Entdecker der Viren und Begründer der Virusforschung“, betont Thomas Mettenleiter. Die Insellage des Instituts wurde auch nicht zufällig gewählt.

Die Geschichte der Virenforschung: Zermürbende Misserfolge, dramatische Fehleinschätzungen, aber auch wissenschaftliche Sternstunden und ruhmversessene Datenmanipulation – das zeigt ein historischer Blick auf die Virenforschung. Und alles begann mit dem „Bazillenjäger“ Robert Koch. Hören Sie hier dazu ein Feature von Matthias Eckoldt .

Anfang des 20. Jahrhunderts „bestanden die technologischen Möglichkeiten noch nicht, gerade solche kleinsten Erreger zurückzuhalten. Die Experimente am Maul- und Klauenseuchevirus haben immer wieder zu Ausbrüchen in der Gegend hier in Greifswald geführt. Loeffler wurde dann 1907 aufgefordert, seine Versuche einzustellen. Außer er findet einen sicheren Platz dafür“.
So kam das Institut auf die Insel Riems, die heute dem Bund gehört.

"Weiterhin auf Versuchstiere angewiesen"

Bis heute werden hier auch Tierversuche an Mäusen, Hamstern oder Frettchen durchgeführt. Auch wenn man die Zahl deutlich reduziert habe, müsse es weiterhin Versuchstiere geben, so der Präsident des FLI.
„Heutzutage kann man schon sehr viel außerhalb des tierischen Wirtes machen. Es gibt Zellkulturen, es gibt Organsysteme. Aber wenn ich das komplexe Zusammenspiel zwischen Erreger und Wirt, zum Beispiel im Blick auf die Entwicklung von Impfstoffen verstehen will, dann sind wir auch weiterhin auf das Versuchstier angewiesen.“

"Ein Herz für Viren"

Thomas Mettenleiter begann seine wissenschaftliche Karriere mit Arbeiten zu einem Schweinevirus. Seither werden ihm Schweinefiguren aus Plüsch, Holz oder Plastik geschenkt Die Sammlung schmückt heute sein Büro.
Mit 15 habe Mettenleiter bereits gewusst, dass er Virologe werden will. „Das ist mein Traumberuf.“ Diese Begeisterung ist dem bald 65-Jährigen noch immer anzuhören, etwa wenn er über Grippeviren spricht.
„Das sind sehr wandelbare Erreger, die mit einem sehr geringen genetischen Potenzial auskommen und uns doch immer wieder große Probleme bereiten. Die stellen auch uns Virologen durchaus vor Herausforderungen. Ähnliches sehen wir gerade bei Sars-CoV-2. Der Erreger hat sich in einigen biologischen Eigenschaften als sehr wandelbar erwiesen. Da sind wir schon etwas überrascht.“
Dass er Viren bewundert, dieser Aussage würde Mettenleiter auch nicht wiedersprechen.
„Manchmal sage ich etwas salopp: `Ein Herz für Viren`. Mich faszinieren Viren jetzt nicht ausschließlich auf der Basis, dass sie uns auch krank machen. Viren zeigen die höchste genetische Vielfalt. Sie sind ein essenzieller Bestandteil unserer Ökosphäre. Ohne Viren würden wir nicht existieren.“
(ful)
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