Von der Fabrik zur Kulturstätte
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Die "Villa Heike" ist einer der ersten Stahlbeton-Bauten Berlins und beherbergt einen wilden Mix aus Historismus und Art Deco. Nach zwei Jahrzehnten Leerstand wurde sie saniert und dient der Kunst- und Kreativszene als Atelier- und Ausstellungsraum.
Schwer fällt die eiserne Haustür der "Villa Heike" ins Schloss. Lange hallen die Geräusche nach. Acht mächtige Säulen, der griechischen Antike nachempfunden, darüber eine Kassettendecke, die einen Hauch von Bauhaus-Architektur in sich trägt. Alles sandsteinfarben saniert, der Terrazzoboden gut erhalten: Das riesige Vestibül, wie eine solch repräsentative Eingangshalle in der Architektur der Neuzeit genannt wird, erstrahlt in neuem Glanz.
Christof Schubert ist Architekt. Er hat dieses, wie er es nennt „merkwürdige Gebäude“ im Stilmix aus Historismus und Art Deco saniert. Die "Villa Heike" ist einer der ersten Stahlbeton-Skelettbauten Berlins. Für die damalige Zeit modern, multifunktional, avantgardistisch. Richard Heike ist der Fabrikant, der die Villa vor 111 Jahren erbauen ließ. In dem riesigen Saal im Hochparterre, den man vom Vestibül aus betritt, stellte er die Produkte zur Schau, die ihn zu einem der wohlhabenden Männer Berlins machten: Maschinen und Gerätschaften zur Verarbeitung von Fleisch.
Heute dient der Saal wieder als Ausstellungsraum, nun aber für die Berliner Kunst- und Kreativszene, und als Ort für Filmaufnahmen und Fotoshootings. Im ersten und zweiten Stock waren Büros untergebracht, im dritten wohnte der Fabrikant. Hier hat nun Architekt Schubert sein Büro:
„Das Ziel war, dieses Gebäude möglichst so zu nutzen, dass man es wenig verändern muss. Wie es quasi dem, wie es angelegt ist, entspricht, und da wir hier im Hochparterre diese Ausstellungsbereiche hatten, diese ehemaligen, war es naheliegend, das auch weiterhin in dieser Großzügigkeit zu erhalten.“
Mitstreiter dank Kleinanzeige
Doch bis dahin war es ein weiter Weg. Nach dem Fall der Mauer gab es zunächst ein paar Zwischennutzer, dann stand das Gebäude mehr als zwei Jahrzehnte leer. Die Denkmalschutzbehörde verbot den Abriss, der Bebauungsplan verhinderte, dass die Fabrikantenvilla zum Wohnhaus umgebaut wurde.
Bis heute ist an dieser Stelle gewerbliche Nutzung vorgeschrieben. 2015 bekam Christof Schubert die Chance, das Haus zu kaufen. Weil das aber seine finanziellen Möglichkeiten überstieg, suchte er nach Mitstreitern. Auf die Kleinanzeige meldeten sich 50 Interessenten.
Und tatsächlich: Nach drei Monaten war die Eigentümergemeinschaft komplett. Fünf Parteien unterschrieben den Kaufvertrag und machten sich daran, das akut vom Verfall bedrohte Haus zu sanieren und in ein Atelier- und Bürohaus umzuwandeln.
Der Fotokünstler Michael Schäfer gehörte zu denen, die abenteuerlustig genug waren, sich auf das Projekt einzulassen. Er besitzt ein riesiges Atelier im Erdgeschoss. Mit der Größe und den Säulen habe er zunächst gefremdelt, sagt er, aber jetzt, drei Jahre nach Abschluss der Sanierungsarbeiten, ist er zufrieden.
Selbst die Graffiti sind Original
Den neuen Eigentümern war es enorm wichtig, die historische Bausubstanz freizulegen, gleichzeitig die Spuren der Geschichte zu erhalten. Christof Schubert beließ beispielsweise die Graffiti der Nachwendezeit an der Fassade der mächtigen Fabrikantenvilla.
In seinem Büro verwahrt der Architekt einen kleinen Pappkarton. Darin ein Originalkatalog der Fleischverarbeitungsmaschinen aus den 1930er-Jahren, ein paar Urkunden, wenige Fotos und Postkarten. Eine Freundin der Nichte von Richard Heike hatte Christof Schubert die Kiste vor einigen Jahren übergeben.
Der Fabrikant selbst wurde in den letzten Kriegstagen 1945 von der Roten Armee erschossen. Danach erlebte der Bau eine wechselvolle Geschichte. Zunächst war er Sitz des Geheimdienstes der sowjetischen Militäradministration, inklusive Gefängniszellen im Souterrain. Ab Mitte der 1960er-Jahre ging die Immobilie an das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Die Stasi brachte in der Villa und den dazugehörigen Fabrikhallen das Geheimarchiv für NS-Akten unter – mehrere Kilometer Original-Akten und Millionen von Mikrofilmaufnahmen aus der Zeit vor 1945.
Günstiger Raum für die gebeutelte Kreativszene
Die bewegte deutsch-deutsche Geschichte fasziniere ihn auch an dem Gebäude, sagt Christof Schubert. Am liebsten würde er im Vestibül eine Dauerausstellung dazu einrichten. Das ehemalige Stasi-Gefängnis, die heutige Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, befindet sich in direkter Nachbarschaft. Wenn der Architekt am Tag des Offenen Denkmals öffentliche Führungen durch die "Villa Heike" macht, holt er sich regelmäßig einen Historiker der Gedenkstätte hinzu.
Doch jetzt sind Christof Schubert und die vier Miteigentümer froh, dass sie das Gebäude in überschaubarem Zeit- und Kostenrahmen sanieren konnten. Und dass sie der Kunst- und Kreativszene Berlins, die im Stadtzentrum keine bezahlbaren Räume mehr findet, einen neuen Schaffensort anbieten können.