Arbeitswelt
Immer wieder in der Diskussion: die Vier-Tage-Woche. Hier wird auf einer Mai-Kundgebung des DGB dafür geworben. © picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild / Michael Reichel
Vier-Tage-Woche – ein Zukunftsmodell?
Nur vier Tage in der Woche zu arbeiten, macht die Mitarbeitenden glücklicher, ist gesünder und genauso produktiv: Das legen Studien und Pilotprojekte nahe. Ist die Vier-Tage-Woche ein Modell für alle Branchen, die gesamte Volkswirtschaft?
Die Ergebnisse einer Studie aus Großbritannien klingen verheißungsvoll: 61 Unternehmen haben dort ein halbes Jahr die Vier-Tage-Woche getestet. 56 davon wollen erst einmal dabei bleiben. Die Mitarbeiter sind ausgeglichener, gesünder und die Produktivität hat sich sogar erhöht.
Auch in Deutschland wagt man nun einen Modellversuch. In mehr als 50 Unternehmen soll die Vier-Tage-Woche getestet werden. Zudem fordert die IG Metall die Vier-Tage-Woche für die Stahlbranche schon länger. Könnte sie zum Standard werden?
Vier-Tage-Woche: Welche Varianten gibt es?
Die Vier-Tage-Woche ist ein Arbeitszeitmodell. Dabei gibt es zwei Varianten. In der ersten erledigt der Arbeitnehmer sein Arbeitsvolumen an nur vier Tagen. Bei einer 40-Stunden-Woche kann sich ein Arbeitstag so von acht auf zehn Stunden verlängern.
Bei der zweiten Variante arbeitet der Arbeitnehmer einen Tag weniger, die Arbeitstage bleiben gleich lang, nur dass beispielsweise der Freitag wegfällt. Es gibt Modelle, bei denen er trotz der verringerten Arbeitszeit denselben Lohn wie vorher bekommt. Gängiger ist aber, dass er auf einen Teil seines Gehalts verzichtet, um einen Tag frei zu haben.
Vier Tage arbeiten und drei Tage frei: Das klingt für viele verlockend. Eine Umfrage für die HDI-Versicherung ergab, dass mehr als drei Viertel aller Berufstätigen in Deutschland eine Vier-Tage-Woche begrüßen würden. Junge Berufstätige interessieren sich mehr für eine Vier-Tage-Woche als ältere. Sie sind auch eher bereit, auf einen Teil des Gehalts zu verzichten. Zu ähnlich hohen Zustimmungswerten kommt auch eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Auch der Arbeitszeitreport Deutschland von 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass mehr als die Hälfte der Befragten die Arbeitszeit gern reduzieren würde. Im Schnitt wünschen sich Beschäftigte in Deutschland eine Wochenarbeitszeit von 34,3 Stunden.
Warum ist die Vier-Tage-Woche in der Diskussion?
Die Diskussion um die Vier-Tage-Woche kocht immer wieder hoch. Beispielsweise durch die Industriegewerkschaft Metall. Die fordert für die Tarifrunde im November eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich für die Beschäftigten der Stahlbranche.
Getragen werden diese Forderungen durch immer mehr Studien, die einen positiven Effekt der Vier-Tage-Woche bei vollem Lohn auf Produktivität und Gesundheit der Mitarbeiter nahelegen. Im Februar 2022 erschien eine Studie des Thinktanks Autonomy. Darin analysieren die Autoren die Auswirkungen der Vier-Tage-Woche in 61 britischen Unternehmen über einen Zeitraum von sechs Monaten. Ein Jahr zuvor hatte derselbe Thinktank auch ein Pilotprojekt in Island ausgewertet.
Insgesamt ist die Diskussion aber nicht neu. So hatte Volkswagen 1993 die Vier-Tage-Woche wegen einer Absatzkrise beschlossen. Die Arbeitszeit in den Werken betrug ab 1994 nur 28,8 Stunden statt zuvor 36. Massenentlassungen konnten damals auf diese Weise verhindert werden. Die Angestellten bekamen zehn Prozent weniger Lohn bei 20 Prozent weniger Arbeit. Im Jahr 2006 schaffte VW das Modell ab und passte die Arbeitszeit wieder nach oben an.
Wo gibt es die Vier-Tage-Woche bereits?
In Belgien ist die Vier-Tage-Woche seit Ende 2022 gesetzlich verankert. Hier können Angestellte ihre wöchentliche Arbeitszeit auch an vier Tagen absolvieren, alternativ kann gegen Gehaltsabzug die Stundenzahl verringert werden.
Island führt bereits seit 2015 Pilotprojekte und Studien durch, bei denen die Arbeitszeit reduziert wurde. Mittlerweile haben laut euronews rund 90 Prozent der Erwerbstätigen reduzierte Arbeitszeiten oder andere Anpassungen.
Nun gibt es auch in Deutschland einen Modellversuch: Fast 50 Unternehmen testen eine Vier-Tage-Woche in ihrem Betrieb. 100 Prozent der Arbeit sollen dabei in 80 bis 90 Prozent der Zeit erledigt werden.
Auch in Großbritannien, Australien und Irland laufen Modellprojekte, Spanien und Portugal haben ebenfalls Pilotprogramme gestartet.
Spanien testet die Einführung der Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Im April 2023 gab die Regierung Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten die Möglichkeit, sich für die Teilnahme an einem staatlich finanzierten Versuch zu bewerben. Es wird erwartet, dass sich die teilnehmenden Unternehmen mindestens zwei Jahre lang an die neuen Arbeitszeiten halten.
In Deutschland ist die Vier-Tage-Woche in einigen Betrieben zudem schon die Regel. Die Beschäftigten nehmen meist Lohneinbußen für eine reduzierte Arbeitszeit in Kauf. In vielen Betrieben, die im Schichtmodell arbeiten, ist das Modell ebenfalls schon etabliert. Hier sind die Arbeitstage länger – dafür haben Beschäftigte drei Tage frei.
Auch lokale Modellprojekte sind immer wieder in der Diskussion. So hat sich die Stadt Wedel entschieden, im öffentlichen Dienst die Vier-Tage-Woche einzuführen, um als Arbeitgeber attraktiver zu werden und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Welche Vorteile hat eine Vier-Tage-Woche?
Laut Philipp Frey, Arbeitsforscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), führt die Vier-Tage-Woche zu motivierteren Mitarbeitern, das Modell vereinfache die Mitarbeitergewinnung und verbessere die Work-Life-Balance. Die positiven Folgen zeigten sich schon bei Kleinigkeiten: „Leute haben weniger Schlafprobleme, fühlen sich weniger gestresst und haben mehr Zeit für ihre Kinder und Verwandte.“
Im Umkehrschluss habe sich auch gezeigt: „Je länger die Arbeitszeit, desto geringer die Produktivität und desto höher auch das Unfallrisiko in manchen Branchen.“
Die Studie aus Großbritannien deckt sich mit diesen Aussagen. Hier wurde bei weniger Arbeitszeit dasselbe Gehalt bezahlt. Von den 61 an der Studie beteiligten Unternehmen wollen 56 ein halbes Jahr nach Start am Vier-Tage-Modell erst einmal festhalten.
Die Mitarbeiter waren laut der Studie insgesamt zufriedener und gesünder und gaben an, mehr Zeit für persönliche Interessen, Hobbys, Familie und Freunde zu haben. Auch bei der Produktivität hat es laut der Studie keinerlei negativen Auswirkungen gegeben.
Der Wirtschaftsexperte Holger Schäfer vom Institut der Deutschen Wirtschaft Köln bezweifelte im SWR allerdings die Übertragbarkeit der Studie. Für den Versuch hätten sich Unternehmen beworben, "die ein inhärentes Interesse daran haben, die Arbeitszeit für ihre Arbeitnehmer zu verkürzen“, so Schäfer. Eine solche "Positivauswahl" beeinträchtige die Übertragbarkeit.
Einen klaren Zusammenhang zwischen zu viel Arbeit und gesundheitlichen Risiken hat die Weltgesundheitsorganisation WHO festgestellt. Vor allem Männer mit vielen Überstunden riskierten ein erhöhtes Risiko für Herzkrankheiten, so die WHO.
Ein positives Ergebnis einer Vier-Tage-Woche könnte laut Arbeitsforscher Philipp Frey vom KIT auch mehr Gleichstellung von Mann und Frau sein. Bisher arbeiteten viele Frauen nur Teilzeit, weil sie sich um die Familie kümmerten. Wenn Männer mehr Zeit für die Kinder hätten, könnten wiederum die Frauen mehr arbeiten.
Welche Nachteile hat eine Vier-Tage-Woche?
In Studienergebnissen lässt sich kaum etwas Negatives über die Auswirkungen der Vier-Tage-Woche auf den Menschen finden. Kritische Einschätzungen beziehen sich vor allem auf die möglichen gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen.
Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz, sieht vor allem Probleme bei der Produktivität. „Natürlich wünschen sich alle geringere Arbeitszeiten bei Lohnausgleich. Aber man kann in vielen Bereichen die Produktivitätssteigerungen nicht erzielen, um das zu erwirtschaften“, betont er. Zwar seien viele Branchen im Laufe der Jahre immer produktiver geworden. Das reiche aber nicht, um 20 Prozent weniger Arbeitszeit bei gleichem Lohn abzudecken.
Für Sell ist der volle Lohnausgleich – ja oder nein – die zentrale Frage bei einer Diskussion um eine Vier-Tage-Woche. Er gibt zudem zu bedenken, dass bei geringeren Löhnen auch die Rentenansprüche sinken.
Zusätzlich müsse man bei einer Vier-Tage-Woche auch die Auswirkungen auf die Schwarzarbeit im Blick behalten. Bei der Einführung der Vier-Tage-Woche bei VW 1994 habe sich beispielsweise eine Zunahme der Schwarzarbeit in Wolfsburg gezeigt. „Ein kleiner Teil wird auch ausweichen in Mehrfachbeschäftigung“, warnt Sell.
Hinzu komme, dass eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit zu einem größeren Fachkräftemangel führen könnte. Vor allem bei Pflege, Einzelhandel und Logistik gebe es bereitet einen eklatanten Personalmangel. „Das muss mitgedacht werden, wenn das Arbeitsvolumen noch verringert wird.“
Arbeitsforscher Philipp Frey hält dagegen: Fachkräftemangel ist ein Ergebnis schlechter Arbeitsbedingungen. „Wenn man Fachkräftemangel bekämpfen will, muss man bessere Arbeitsbedingungen schaffen.“ Das könne die Vier-Tage-Woche bieten.
Wird die Vier-Tage-Woche der neue Standard?
Noch ist eine Vier-Tage-Woche in Deutschland eher ein Zukunftsmodell. Von den politischen Parteien hat sich Die Linke für die Vier-Tage-Woche ausgesprochen. Von gesetzlichen Rahmenvorgaben wie in Belgien ist die Bundesrepublik noch weit entfernt.
Auch lässt sich eine Vier-Tage-Woche in manchen Branchen wie in der Pflege, im Einzelhandel und in der Logistik schwerer realisieren als in anderen. Leichter hingegen ist es bei Bürojobs. Derzeit bleibt es den Arbeitgebern vorbehalten, den Mitarbeitenden neue Arbeitszeitmodelle anzubieten. Für viele Angestellte könnten Unternehmen mit einer Vier-Tage-Woche bei der Arbeitsplatzsuche durchaus attraktiv wirken.
Vor allem Branchen im Wandel könnten auf ein solches Modell zurückgreifen. So ist es nicht verwunderlich, dass die Stahlbranche damit vorpreschen könnte. Sie muss weg von fossilen Energien und sich neu aufstellen – sehr wahrscheinlich, dass dabei weniger Arbeit übrig bleibt. Hinzu kommt, dass in der Stahlbranche die Arbeitszeit momentan nur 35 Stunden beträgt. Eine Verkürzung auf 32 – sprich vier Tage à acht Stunden – wäre kein großer Sprung.
„Wir stehen an einer Schwelle großer Transformationen“, sagt der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber. Die Möglichkeiten von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz seien enorm, es seien Produktivitätsfortschritte von 0,3 Prozentpunkten pro Jahr möglich. Mit dieser Perspektive wäre dann Arbeitszeitverkürzung auch gesamtwirtschaftlich wieder realistischer.
nm, lkn, pto