Vielsprachiges Prag
Der 1922 geborene Peter Demetz, langjähriges Mitglied der Klagenfurter Bachmann-Preis-Jury, nennt sich selbst einen "Halbjuden" aus Prag. Er flüchtete 1948 in den Westen. Seine Erinnerungen an die Prager Zeit erzählen von einer Stadt, die noch Spuren jener Zeit trägt, die einen Platz in der deutschen Literaturgeschichte innehat.
Man kennt Peter Demetz als langjähriges Mitglied der Klagenfurter Bachmann-Preis-Jury, als klug abwägenden und nachdenklichen Kopf, dessen leicht amerikanischer Akzent auf seine jahrzehntelange Professur in Yale verwies. Sein breiter bildungsbürgerlicher Hintergrund verriet jedoch vor allem auch die Ursprünge seiner Biografie: Der 1922 geborene Demetz nennt sich selbst einen "Halbjuden" aus Prag, und er flüchtete von dort 1948 in den Westen.
Seine Erinnerungen an die Prager Zeit erzählen von einer Stadt, die noch Spuren jener Zeit trägt, die eine zentrale Stelle in der deutschen Literaturgeschichte innehat. Es geht um das vielsprachige Prag der Zwischenkriegszeit, der Ära von Tomas Masaryk, deren erste Jahre noch die Lebenszeit von Franz Kafka miterfassten. Demetz zentrale Jahre sind diejenigen der deutschen Okkupation nach 1938. Sein Buch ist ein bedeutsamer kulturgeschichtlicher Beitrag zu den Diskussionen um Mitteleuropa, multikulturellen Problemen und zu dem versunkenen liberalen Bürgertum.
Demetz’ Großväter zeigen bereits die gesamte Bandbreite des Alltags in Prag: der eine kam aus dem bäuerlichen Südtirol (das vor dem 1. Weltkrieg natürlich ebenfalls zum Habsburgerreich gehörte), der andere aus einer jüdischen Familie in der böhmischen Provinz. Um 1900, schreibt Demetz, muss Prag, mit seinen verschiedenen Volksgruppen und Glaubensrichtungen, genauso gewesen sein wie das alte New York.
In der liberalen Republik unter Masaryk gelang es dann, die verschiedenen Interessen auf weite Strecken vernünftig auszugleichen. Selbst dem letzten Präsidenten dieser Republik, Emil Hácha, der unter demütigenden Umständen von Hitler nach Berlin zitiert und wegen seiner Kapitulation vor Hitlers Aggression stark in Misskredit geriet, versucht Demetz, gerecht zu werden.
Das kulturelle Leben während der Okkupation in Prag, in das der junge Demetz durchaus als Bohemien, fast als Dandy hineinwuchs, beschreibt er äußerst differenziert. Sein Buch ist eine Mischung aus historischem Quellenstudium und persönlicher Erinnerung. Demetz greift für seine Darstellung der Fakten auf neueste tschechische Untersuchungen zurück, was zu einigen unerwarteten Erkenntnissen führt – selbst Kenner können dabei überrascht werden. Die Rolle des Jazz zum Beispiel, die für den späteren Amerikaner Demetz schon damals prägend war, die Beschreibungen des Theaterlebens und der Literatur. Kafkas Geliebte Milena wird detailliert porträtiert, Demetz setzt auch dem Dichter Jiri Orten ein eindringliches Denkmal.
Demetz entgeht, im Gegensatz zu seiner Mutter, dem KZ Theresienstadt – durch Geschick und instinktive Einschätzung der Lage. Die zeichnet ihn schon als jungen Buchhändler in der frühen Okkupationszeit aus: mit einem Blick erkennt er die Kunden und weiß, ob sie etwas Deutschnationales wollen oder, und da wurde es gefährlich, nach dem "Antiquariat" fragten. Dort waren unter anderem die Bücher von Thomas und Heinrich Mann, und die mussten in die richtigen Hände geraten, schon aus den unmittelbar persönlichen Interessen des Buchhändlers heraus...
Ein beeindruckendes Buch über Bildung und Kultur als Mittel zum Überleben.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Peter Demetz: Mein Prag. Erinnerungen 1939 bis 1945.
Aus dem Englischen von Barbara Schaden
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007,unw 400 Seiten, 24,90 EUR
Seine Erinnerungen an die Prager Zeit erzählen von einer Stadt, die noch Spuren jener Zeit trägt, die eine zentrale Stelle in der deutschen Literaturgeschichte innehat. Es geht um das vielsprachige Prag der Zwischenkriegszeit, der Ära von Tomas Masaryk, deren erste Jahre noch die Lebenszeit von Franz Kafka miterfassten. Demetz zentrale Jahre sind diejenigen der deutschen Okkupation nach 1938. Sein Buch ist ein bedeutsamer kulturgeschichtlicher Beitrag zu den Diskussionen um Mitteleuropa, multikulturellen Problemen und zu dem versunkenen liberalen Bürgertum.
Demetz’ Großväter zeigen bereits die gesamte Bandbreite des Alltags in Prag: der eine kam aus dem bäuerlichen Südtirol (das vor dem 1. Weltkrieg natürlich ebenfalls zum Habsburgerreich gehörte), der andere aus einer jüdischen Familie in der böhmischen Provinz. Um 1900, schreibt Demetz, muss Prag, mit seinen verschiedenen Volksgruppen und Glaubensrichtungen, genauso gewesen sein wie das alte New York.
In der liberalen Republik unter Masaryk gelang es dann, die verschiedenen Interessen auf weite Strecken vernünftig auszugleichen. Selbst dem letzten Präsidenten dieser Republik, Emil Hácha, der unter demütigenden Umständen von Hitler nach Berlin zitiert und wegen seiner Kapitulation vor Hitlers Aggression stark in Misskredit geriet, versucht Demetz, gerecht zu werden.
Das kulturelle Leben während der Okkupation in Prag, in das der junge Demetz durchaus als Bohemien, fast als Dandy hineinwuchs, beschreibt er äußerst differenziert. Sein Buch ist eine Mischung aus historischem Quellenstudium und persönlicher Erinnerung. Demetz greift für seine Darstellung der Fakten auf neueste tschechische Untersuchungen zurück, was zu einigen unerwarteten Erkenntnissen führt – selbst Kenner können dabei überrascht werden. Die Rolle des Jazz zum Beispiel, die für den späteren Amerikaner Demetz schon damals prägend war, die Beschreibungen des Theaterlebens und der Literatur. Kafkas Geliebte Milena wird detailliert porträtiert, Demetz setzt auch dem Dichter Jiri Orten ein eindringliches Denkmal.
Demetz entgeht, im Gegensatz zu seiner Mutter, dem KZ Theresienstadt – durch Geschick und instinktive Einschätzung der Lage. Die zeichnet ihn schon als jungen Buchhändler in der frühen Okkupationszeit aus: mit einem Blick erkennt er die Kunden und weiß, ob sie etwas Deutschnationales wollen oder, und da wurde es gefährlich, nach dem "Antiquariat" fragten. Dort waren unter anderem die Bücher von Thomas und Heinrich Mann, und die mussten in die richtigen Hände geraten, schon aus den unmittelbar persönlichen Interessen des Buchhändlers heraus...
Ein beeindruckendes Buch über Bildung und Kultur als Mittel zum Überleben.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Peter Demetz: Mein Prag. Erinnerungen 1939 bis 1945.
Aus dem Englischen von Barbara Schaden
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007,unw 400 Seiten, 24,90 EUR