Vielseitige Zierpflanze

Von Udo Pollmer |
Bambus etabliert sich hierzulande als Lebensmittel. In ihrer asiatischen Heimat sind Bambussprossen seit alters her Bestandteil des Speiseplans - die Bambusblüte aber gilt als Naturkatastrophe.
Weltweit sind es etwa zwei Milliarden Menschen, die den Bambus auf irgendeine Weise nutzen: Die Blätter dienen als Tierfutter, die Stangen als Jagdspeere oder als Baumaterial und die Schößlinge als Gemüse. In großem Stil verarbeitet die Industrie Bambus zu Papier, mittlerweile wird er auch als Rohstoff für Bioethanol erprobt. Für die Küche erntet man die jungen Schößlinge, möglichst bevor sie ihr Köpfchen aus dem Boden strecken, und sticht sie geradeso wie bei uns den Spargel.

An und für sich ist der Bambus eine robuste Pflanze, die bisher züchterisch nur wenig bearbeitet wurde. Vielfach werden Bambuswälder ausgebeutet, die weder Düngung noch Pflanzenschutz erfahren. Dort, wo er in Plantagen angebaut wird, ist die Gabe von Kunstdünger üblich. Das Pflanzgut wird gern mit Hormonen behandelt und mit Fungiziden vor einer Pilzkrankheit geschützt, die vor allem durch Reispflanzen verbreitet wird. Ansonsten ist der Einsatz von Pestiziden eher selten, auch wenn gelegentlich Stengelbohrer oder Spinnmilben bekämpft werden müssen.

Pflanzen, die kaum Pflanzenschutz benötigen, pflegen sich selbst zu schützen. Dazu bilden sie Abwehrstoffe, also natürliche Pestizide. Der Bambus wehrt sich mit einer Substanz namens Taxiphyllin. Wird das Gewebe verletzt, beispielsweise durch Insektenfraß, setzt das Taxiphyllin Blausäure frei, den Wirkstoff von Zyankali. Die 50 Milligramm, die für einen Erwachsenen lebensgefährlich sind, können schnell erreicht sein. Dazu kommen noch andere Gifte wie beispielsweise Alkaloide oder Anthrachinone. Nicht umsonst werden diverse Bambusarten zur Abtreibung verspeist. Die Gehalte an Gift schwanken stark, deshalb ist es erforderlich die Pflanze korrekt zu verarbeiten. Denken Sie bitte daran, bevor sie versuchen Ihren ungenießbaren Zier-Bambus im Garten ernten und in Kokosmilch im Wok dünsten.

Die Bambussprossen werden geschält, gewässert und lange gekocht. In vielen Kulturen ist eine Fermentation üblich. Die dauert je nach Bambussorte und Verfahren bis zu einem Jahr. Dabei sind die Sprossen auch nicht nahrhafter als andere Gemüse: Sie bestehen zu 90 Prozent aus Wasser, ihr Eiweißgehalt liegt bei 3 Prozent. Dazu kommen ein paar Kohlenhydrate, deshalb schmecken sie manchmal leicht süßlich. Der geringe Nährwert und die natürlichen Gifte sind wohl auch der Grund, warum manche Völker den Bambus zwar als Baumaterial schätzen, aber als Nahrung verschmähen.

Bei allen Meriten – eine Tücke hat er der Bambus: die berüchtigte Bambusblüte. Blüht der Bambus, dann blüht der ganze Wald, und zur gleichen Zeit blühen auch Bestände, die 1000 Kilometer weiter weg sind – sofern sie zur selben Sorte gehören. Niemand weiß warum. Niemand weiß, wie die Pflanzen ihre Blüte synchronisieren. Manche Bambusarten blühen alle paar Jahre, andere lassen sich dafür über 100 Jahre Zeit. Es dauert dann Jahre, bis wieder ein neues Wäldchen entstanden ist.

Die Blüte hat natürlich auch ein großes Angebot an Früchten zur Folge, das auf einen Schlag zur Verfügung steht. Genau darin liegt das Problem: Diese Früchte bilden eine Leibspeise der Ratten, und der reich gedeckte Tisch sorgt für eine explosionsartige Vermehrung der Nager. Ist die Nahrungsquelle erschöpft, macht sich das Heer der Ratten über die Felder und Vorratslager der Menschen her.

In Asien gilt die Bambusblüte als Naturkatastrophe, die Folgen sind so verheerend wie von einer Überschwemmung oder einem Erdbeben. Doch von diesen Opfern erfahren wir meist nichts. Hungersnöte durch blühendes Sprossgemüse rufen bei uns gewöhnlich keine Hilfsorganisation auf den Plan. Rein werbetechnisch sind Blütenträume auch kaum geeignet die Spendenbereitschaft anzukurbeln. Schließlich sind "blühende Landschaften" das, worauf die Menschen in Deutschland noch vielerorts warten. Mahlzeit!

Literatur:
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