"Vielleicht können wir Frau Ashtiani retten"

Mina Ahadi im Gespräch mit Ulrike Timm · 11.11.2010
Die in Köln lebende iranische Menschenrechtlerin Mina Ahadi hat die Hoffnung geäußert, die Iranerin Sakineh Ashtiani vor einer Hinrichtung retten zu können. Ein Sprecher der iranischen Justiz habe gesagt, der Fall sei noch nicht entschieden.
Ulrike Timm: Sie sollte bis zur Brust eingegraben und dann so lange mit kleinen, spitzen Steinen beworfen werden, bis sie stirbt: Die Iranerin Sakineh Ashtiani wird nicht gesteinigt, das hat die Weltöffentlichkeit mit ihren Protesten erreicht, aber ist das ein Erfolg? Jetzt lautet das Urteil: Tod durch den Strang. Die Anklage ist undurchsichtig, sie wurde auch gleich mehrfach umgeschrieben, Ashtiani soll Ehebruch begangen haben, zum Teil, nachdem ihr Mann schon tot war, der wurde ermordet von einem Verwandten, den die Ehefrau angestiftet haben soll. Der Verwandte ist frei, sie aber zum Tod verurteilt.

Am Schicksal von Ashtiani verdeutlicht sich die ganze Willkür des iranischen Regimes um Präsident Ahmadinedschad. Dieser Tage – niemand weiß genau wann – will die iranische Justiz das Todesurteil vollstrecken. Von Sakineh Ashtianis Schicksal wüssten wir nicht, wenn die iranische Menschenrechtlerin Mina Ahadi den Protest nicht koordiniert hätte. Sie gründete das Internationale Komitee gegen Steinigung und ist uns jetzt zugeschaltet. Frau Ahadi, ich grüße Sie!

Mina Ahadi: Guten Morgen!

Timm: Frau Ahadi, gibt es aktuell eine neue Entwicklung? Was wissen Sie derzeit über das Schicksal von Sakineh Ashtiani?

Ahadi: Frau Ashtiani ist … seit Anfang August hat sie keinen Kontakt mit der Außenwelt, aber wir haben im Gefängnis und auch in Täbris sehr viele Leute, die uns helfen. Gestern habe ich gesprochen mit einer Person, sie hat gesagt, Frau Ashtiani lebt noch, ist okay, aber sie hat sehr viel Angst und sie hat auch gar keine Ahnung, zum Beispiel der Sohn ist im Gefängnis, der Anwalt ist im Gefängnis, aber Frau Ashtiani hat gar keine Information bekommen, und sie wartet also.

Timm: Und gestern hatten Sie auch ganz besonders viel Angst, denn der Mittwoch gilt als Haupthinrichtungstag im Iran.

Ahadi: Genau, das ist ein schwarzer Tag für mich, weil seit mehr als 20 Jahren kämpfe ich gegen Steinigung und Todesstrafe, und immer Mittwoch ist ein sehr wichtiger Tag, und ich bin immer wieder um fünf Uhr wach, weil in der Früh werden schon Menschen umgebracht im Iran. Aber gestern habe ich Nachricht bekommen, das ist nicht passiert, und auch Sprecher von Justiz hat gestern gesprochen, angeblich hat islamische Regime noch nicht entschieden über diesen Fall. Das heißt, das ist schon eine gute Nachricht, und wir warten also. Vielleicht können wir Frau Ashtiani retten.

Timm: Sie sagen, das Regime hat noch nicht entschieden. Ist das ein Zeichen dafür, dass das Regime zweifelt, ob es sich diese Tötung leisten kann?

Ahadi: Ich denke ja. Also wir haben schon mehrmals mehrere Menschen gerettet im Iran, weltweit wenn man protestiert, wenn die Menschen auf die Straße gehen und besonders, wenn die Regierungen sich einmischen und bei diesem Fall war es sehr gut, also von Frankreich bis Italien oder USA, alle haben darüber gesprochen und beschweren sich, da haben wir sehr viele Chancen. Und das islamische Regime ist unter enormem Druck wegen Frau Ashtiani, und ich denke, man kann schon Hoffnung haben, dass Frau Ashtiani freigesprochen wird. Ich versuche oder wir versuchen, also noch mehr tun, bis Frau Ashtiani frei ist.

Timm: Erst mal klingt das ja ungeheuer makaber: Die weltweiten Proteste, zwei Millionen Menschen haben unterschrieben, der französische Staatspräsident hat persönlich gesagt, sie steht unter der Verantwortung Frankreichs, also ein weltweiter Protest hat die Steinigung abwenden können mit der Konsequenz, dass das Gericht genehmigt hat, sie zu erhängen. Das klingt erst mal wie die letzte Perfidie des Regimes.

Ahadi: Genau, ich denke aber auf der anderen Seite eben, aus meiner Sicht, das Internationale Komitee gegen Steinigung hat bis jetzt sehr viele Proteste organisiert. Wir haben Einzelfrauen geholfen und gerettet, nicht nur im Iran, sondern weltweit. Aber ich denke, diese Kampagne für Frau Ashtiani war sehr, sehr gut und sehr groß, und ich sage schon, wir haben ein Ende gesetzt, also das islamische Regime kann nicht mehr Frauen oder Männer steinigen. Das ist meine tiefe Überzeugung, weil wenn noch einmal so etwas passiert, wir werden weltweit noch einmal einen großen Protest organisieren. Das heißt, das ist schon ein Erfolg.

Aber das islamische Regime versucht zu erklären, ich gebe nicht auf und ich werde Frau Ashtiani hinrichten. Und wir versuchen, gegen diese Hinrichtung auch Menschen zu mobilisieren. Aber ich muss noch einmal betonen: Das war sehr, sehr gut, zwei Millionen Menschen haben unterschrieben, sehr viele sind auf die Straße gegangen, hunderte Städte haben demonstriert, und Frau Ashtiani ist jetzt eine sehr beliebte und bekannte Person weltweit. Und ich denke, wir haben geschafft, das islamische Regime zurückzuschieben, und ich denke, also dieses Regime kann nicht mehr Frauen steinigen.

Timm: Ihre Hoffnung hört man. Nun ging es ja in den letzten Tagen auch nicht mehr um Steinigung, sondern die haben ja sehr cool gesagt, dann hängen wir sie eben. Und sie sprechen von der weltweiten Öffentlichkeit, ich frage mich aber: Wie viel Öffentlichkeit gibt es für diesen und für ähnliche Fälle im Iran?

Ahadi: Im Iran natürlich alle Menschen oder mehrere Familien haben diese Probleme erlebt, also wir haben sehr viele Hinrichtungen in unserer Familie gesehen, also sehr viele Menschen wurden im Iran umgebracht, soweit es Hinrichtungen betrifft. Und ich denke, es gibt im Iran eine sehr große Bewegung gegen Hinrichtung, Diskussionen und sehr viele Webseiten, Blogs, also besonders Jugendliche haben gegen Hinrichtung, gegen Todesstrafe als staatlicher Mord organisiert, und das ist schon eine sehr, sehr wichtige Bewegung im Iran. Aber natürlich, die Menschen können nicht auf die Straße kommen. Das ist nicht einfach, demonstrieren, aber ich bekomme sehr viele E-Mails, sehr viel Lob aus dem Iran, und die Menschen beobachten genau alles, was in Ausland also geschah über Frau Ashtiani oder diese sehr große Bewegung. Das ist schon eine Hoffnung von Menschen, die im Iran leben, und gegen islamische Regime und gegen Todesstrafe sind.

Timm: Diese Dorflehrerin aus einem iranischen kleinen Ort, die Frau Ashtiani, ist inzwischen eine weltweite Berühmtheit. Ist es nicht zu vermuten, dass, falls man sie retten kann, dass das Regime dann sein Mütchen kühlt an Unbekannten, an ähnlich gelagerten Todeskandidaten, die dann in aller Stille wenn nicht gesteinigt dann doch vermehrt erhängt werden?

Ahadi: Das ist genau ein Problem, also genau in der Zwischenzeit vor zwei Wochen hat das islamische Regime zehn Menschen hingerichtet im Mashhad-Gefängnis, und vor einer Woche fünf Menschen in Zahedan. Das heißt, wenn wir nicht darüber reden, dann werden schon noch mehr Menschen umgebracht im Iran, und deswegen: Wir können nicht auch als eine internationale Organisation über alle Fällen so viel Arbeit leisten. Man kann über also einige bestimmte symbolische Fälle arbeiten. Frau Ashtiani war eine Frau, und das war das erste Mal Steinigungs… also das war ein Steinigungsfall, und wir haben versucht, diesen Fall mithilfe von Frau Ashtianis Kindern weltweit veröffentlichen. Die Kinder haben geholfen. Allein die Tatsache, ein Kind hat geschrieben, meine Mutter wird gesteinigt, das hat die Weltöffentlichkeit sehr aufmerksam gemacht.

Das heißt, wir müssen schon einige, also Herausforderungen wir möchten, und wir müssen auch einige Leute haben, die im Iran uns helfen. Wir haben über Frau Ashtiani gesprochen, gearbeitet, aber das ist ein Symbol, dass die Frauen im Iran haben gar kein Recht, dass die Gesetze im Iran sind frauenfeindlich, menschenfeindlich und chauvinistisch. Und ich denke, haben wir schon weltweit gezeigt noch einmal, und wie die Justiz im Iran arbeitet. Auf einmal der Präsident des islamischen Regimes sagt, wir haben gar keine Steinigung gegen Frau Ashtiani gesprochen, und Justiz sagt, ja, haben wir gesprochen. Also das ist schon eine Justiz, die erste Arbeit von diesem Justizministerium ist Mord, und dann haben alle Menschen weltweit gesehen.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit der heute in Deutschland lebenden iranischen Menschenrechtlerin Mina Ahadi. Bei ihr laufen viele Fäden zusammen, wenn es um das Schicksal der Iranerin Sakineh Ashtiani geht. Die Todesstrafe für Ehebruch – lassen Sie uns einen Moment die Tatsache hinnehmen, dass es das überhaupt gibt, auch wenn es schwerfällt, aber es spricht zudem noch alles dafür, dass die Schuld, die die Frau auf sich geladen haben soll, dass die gar nicht zutrifft, dass die iranische Justiz den gesamten Prozess und auch ähnliche Prozesse manipuliert, und auf dieses Urteil wirklich hingerichtet hat. Kann man im Iran – bei aller Ihrer Hoffnung, die Sie formulieren –, kann man im Iran derzeit mit Frauen machen, was man will?

Ahadi: Ich denke nicht. Also von Anfang an hat dieses Regime es nicht geschafft mit Frauen meiner Generation, wir haben gekämpft gegen Kopftuchzwang und gegen alles, was zum Beispiel damals geschah nach der Revolution im Iran. Und seit 30 Jahren das islamische Regime kämpft mit Frauen, aber Frauen haben nie aufgegeben, also über Kopftuch, es gibt immer wieder sehr viele Proteste, und Frauen haben nie akzeptiert diese schwarze Tschador, zum Beispiel Frauen in Universitäten sind 53 Prozent und versuchen, sich durchzusetzen, und ich denke, das islamische Regime hat bis jetzt nicht die Chance gehabt, alle Frauen im Iran zum Beispiel zu islamisieren, soweit islamische Regime wollte. Das heißt, wir kämpfen weiter, und ich denke, so wie ich gesagt habe, es gibt im Iran eine sehr große Frauenbewegung gegen diese Unterdrückung.

Timm: Das heißt, die Proteste der Weltöffentlichkeit sind von Fall zu Fall eine Art Lebensversicherung, und sei es eine von Tag zu Tag?

Ahadi: Genau. Also ich denke ja.

Timm: Frau Ahadi, Sie selbst haben Morddrohungen erhalten. Wie steht es denn um Ihre Sicherheit hier in Deutschland?

Ahadi: Ich habe schon vor zwei Jahren sechs Monate ganz, also 100 Prozent Personenschutz gehabt, und nachher auch, ich bin unter Polizeischutz, und also die letzte Morddrohung habe ich vor einer Woche in einem Chatroom, deutschem Chatroom gehabt, da haben Islamisten einen Raum also organisiert, und dort haben sie geschrieben, wir verlangen die Steinigung von Frau Mina Ahadi. Also das war eine extreme Morddrohung, und die Polizei ist schon informiert, und also wir beobachten alles, aber auf der anderen Seite, ich sage immer wieder: Wenn wir uns einschüchtern lassen, dann das geht alles weiter, und das ist nicht in Ordnung, und ich lebe schon seit 30 Jahren mit diesen Morddrohungen, und irgendwie habe ich mich gewöhnt, weiterzuleben.

Timm: Die iranische Menschenrechtlerin Mina Ahadi. Frau Ahadi, ich bedanke mich, auch für Ihren Mut, immer wieder und hier im Gespräch mit uns über dieses Thema zu reden. Alles Gute für Sie!

Ahadi: Dankeschön!
Mehr zum Thema