Vielfalt erzeugt den besten Klang

Rezensiert von Andreas Baum |
Oberflächlich betrachtet, haben Orchester und große Firmen wenig gemeinsam. In "Vom Solo zur Sinfonie" jedoch will der Musiker und ehemalige Musikproduzent Gansch zeigen, dass in beiden Bereichen Spitzenkräfte gut zusammenarbeiten müssen und die Teamfähigkeit zählt, um ein großes Ganzes zu schaffen. Obwohl der Vergleich hinkt, macht das Lesen des Buches Spaß.
Es sind Beispiele aus der Proben- und Aufführungspraxis bekannter Symphonieorchester wie dieses, die für dieses Buch typisch sind: Der Dirigent Sergiu Celibidache, Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker in den achtziger und neunziger Jahren, soll von seinen Streichern gefordert haben, in einem Punkt alles zu vergessen, was sie gelernt haben. Er verlangte von ihnen, den Bogen so träge und langsam über die Saiten zu ziehen, als klebe Honig an ihm.

Eigentlich lernen Streicher in ihrer Ausbildung genau das Gegenteil, und in der Tat kann eine einzelne Geige, zu langsam gestrichen, ziemlich kratzig klingen, weshalb die Musiker dem Meister eher widerwillig folgten. Nachdem sich Celibidache durchgesetzt hatte und alle Streicher kompromisslos quälend langsam strichen, entstand überraschenderweise ein kraftvoller, tiefer Sound, für den die Münchner Philharmoniker berühmt gewesen wurden: Die Gesamtheit aller Stimmen ist in einem Orchester wichtiger als die Summe der Einzelteile, und es hängt an den Fähigkeiten der Führungskraft, dies zu erkennen.

Was auch das folgende Beispiel illustrieren soll: Ein berühmter Dirigent, der ein ebenso anerkannter Geiger war, ließ sich zu dem Fehler hinreißen, seinen Streichern einen Fingersatz für eine schwierige Passage (in der 9. Sinfonie von Bruckner) vorzuschlagen. Darauf hin meisterten sie die Stelle technisch besser, aber das ganze Orchester klang plötzlich stockend und eindimensional, der Dirigent hatte den Fehler gemacht, nicht auf die Genialität des Einzelnen zu vertrauen, den eigenen, persönlichen Fingersatz zu finden. Warm und organisch klang dieses Orchester nur, wenn jeder Streicher die Passage ein bisschen anders spielte.

Die Moral aus diesen Beispielen, von denen Ganschs Buch voll ist, ist klar: Vielfalt erzeugt den besten Klang, die richtige Mischung macht’s, ein Kollektiv ist runder als eine Ansammlung von Solisten, und eine Führungskraft tut gut daran, auf die Fähigkeiten seines Teams zu vertrauen.

Es liegt auf der Hand, dass sich die Analogien zwischen dem Zusammenspiel in einem Orchester und in Unternehmen geradezu aufdrängen. Dass beide nach ähnlichen Mustern funktionieren, ist Ganschs Arbeitshypothese, die immer wieder bemüht wird, letztlich aber nicht überzeugend bewiesen wird. Zwar gibt es auch in Sinfonieorchestern verschiedene Abteilungen und Unterabteilungen – die Streicher, die Blechbläser, die Holzbläser, die jeweils von Führungskräften geleitet werden, die in ihren Unterabteilungen ebenso auf ein Gleichgewicht zwischen Hierarchie und Teamgeist zu achten haben, wie dies in Firmen und Betrieben der Fall ist. Und auch für Orchester gilt, dass ein Dirigent schlecht beraten ist, der alle Fäden selbst in der Hand halten muss und nicht delegieren kann.

Aber bei genauem Hinsehen hinkt dieser Vergleich; denn wenn Orchester auch differenzierter aufgebaut sein mögen, als dies der Konzertbesucher vermutet, so sind Unternehmen heute doch ungleich komplexer. Sie agieren international, und welches Orchester hat schon Holz- und Blechbläser auf unterschiedlichen Kontinenten. Unternehmen müssen sich bisweilen so schnell auf neue Verhältnisse und Märkte einstellen, als müssten die Berliner Philharmoniker sich von einer Saison zur nächsten damit abfinden, nur noch mit Dixieland ihr Geld zu verdienen.

Und der wohl größte Unterschied zwischen Sinfonieorchestern und Unternehmen ist, dass Orchestermusiker, zumindest in Deutschland, ab einem gewissen Alter fest angestellt sind, nicht selten faktisch unkündbar. Die Risiken, die sie tragen, sind mit denen vieler Angestellter in der freien Wirtschaft nicht zu vergleichen.

Aber wenn auch mancher von Ganschs Vergleichen hinkend daher kommt, macht dieses Buch Spaß. Denn es ist voll von Anekdoten aus dem Orchesteralltag, über die nicht nur solche Insider schmunzeln können, die sich gegenseitig Oboisten- und Bratschistenwitze erzählen. So ist es beispielsweise sehr kurzweilig, Geschichten aus dem Künstleralltag in den Vereinigten Staaten zu hören, wo die Gewerkschaften eine derart dominierende Stellung besitzen, dass sie mit der Stoppuhr neben dem Dirigenten stehen, damit die tarifvertraglich ausgehandelte Pause der Musiker auch nicht um eine Sekunde überschritten wird. Ob hieraus der Schluss zu ziehen ist, dass Gewerkschaften auch in den Unternehmen hierzulande nur hinderlich sind, bleibt allerdings fraglich.

Christian Gansch, Jahrgang 1960, kennt die Musik ebenso wie die Wirtschaft. Er ist klassisch ausgebildeter Musiker und Dirigent, hat aber über den Umweg als Musikproduzent auch die internationale Business-Welt kennen gelernt. Er macht Musik nicht nur, sondern verkauft sie auch. Darüber hinaus arbeitet er inzwischen als Coach und Referent für Unternehmenskommunikation, was dem Buch nicht selten anzumerken ist. Es erinnert in Stil und Duktus gelegentlich an PowerPoint-Präsentationen, denn wenn der Autor alle zwei oder drei Seiten ein Resümee fett vom Fließtext absetzt, merkt auch der unaufmerksamste Leser: Obacht, jetzt kommt es drauf an.

Ganschs Sprache ist einfach und eingängig, er hat gelernt, dass es darum geht, Kernthesen zu vermitteln wie:

"Ohne Leidenschaft keine Kreativität, Gefühle sind ebenso wichtig wie die Vernunft und allzu viel ist ungesund, ohne Pausen keine Leistung."

Wem diese auf 200 Seiten hart erarbeiteten Ratschläge wie Binsenweisheiten vorkommen, überlasse dieses Buch den Liebhabern klassischer Musik, die lediglich unterhalten werden wollen und nicht die Aufgabe vor sich haben, ein Unternehmen neu strukturieren müssen.

Christian Gansch: Vom Solo zur Sinfonie. Was Unternehmen von Orchestern lernen können.
Eichborn, Frankfurt am Main 2006
203 Seiten, 19,90 Euro