"Viele Fakten liegen noch nicht auf dem Tisch"

Ehrhart Körting im Gespräch mit Claudia van Laak und Michael Groth |
Der Verfassungsschutz dürfe nicht für alle Fehler im Zusammenhang mit den rechtsextremistischen Morden verantwortlich gemacht werden, meint Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD). V-Leute in der NPD seien zur Informationsbeschaffung nach wie vor nötig.
Deutschlandradio Kultur: Heute mit dem SPD-Politiker Ehrhart Körting, seit zehn Jahren Innensenator in Berlin. In der kommenden Woche, am Mittwoch, scheidet Ehrhart Körting aus. An die Ressortspitze rückt dann ein Christdemokrat. So sieht es die Verteilung der neuen rot-schwarzen Stadtregierung vor.

Nach zehn Jahren als Innensenator, Herr Körting, und mitten in einer weitgehend ungeklärten Terrorismusdebatte scheiden Sie jetzt aus, wie man sagt, in großer Sorge. Oder ist es auch ein Stück Erleichterung?

Ehrhart Körting: Ich glaube, man kann beides nicht sagen. Ich scheide aus zu einem Zeitpunkt, zu dem es eine notwendige Diskussion über Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland gibt. Viele Fakten liegen noch nicht auf dem Tisch. Und ich hoffe, dass wir noch ganz, ganz viele Fakten bekommen, um das abschließend beurteilen zu können.

Zurzeit sieht es so aus, dass wir eine kleine Gruppe von Rechtsterroristen haben, wie wir uns das nicht vorgestellt haben. Wir haben uns zwar immer auch Gewalttäter rechts vorgestellt, gerade auch in Berlin haben wir immer darauf hingewiesen. Aber der Umfang dessen, was dort offenbar wird, der war höchstwahrscheinlich für viele von uns außerhalb der Vorstellung. Und es ist für mich eine ganz wichtige Frage: Wie viele Helfer hatte diese kleine Serienmördergruppe und wie weit war sie verzweigt? Dazu liegen die Fakten noch nicht auf dem Tisch.

Deutschlandradio Kultur: Was sind denn Ihre Erklärungen? Wie konnte dieses Trio denn 13, 14 Jahre lang unbemerkt agieren? Hängt es nur damit zusammen, dass es keine Bekennerschreiben gibt oder gab?

Ehrhart Körting: Es hängt, glaub ich, von der Größe einer solchen Gruppe ab. Sie erinnern sich, als wir die Kofferbomber hatten seinerzeit, hatte die auch keiner auf dem Schirm und keine Sicherheitsbehörde.

Wenn Sie ganz kleine klandestine Gruppen haben, die Anschläge vorbereiten, dann ist es ungeheuer schwer für Sicherheitsbehörden, in solche kleinen Gruppen reinzukommen. Und wenn diese Gruppen nach Taten auch keine nennenswerten Indizien am Tatort hinterlassen, dann ist es auch für die Ermittlungsbehörden sehr, sehr schwer, solchen Tätern auf die Spur zu kommen. Das hängt also wesentlich von der Größe der Gruppe ab.

Hier überrascht, dass diese Gruppierung, die sich ja einen Namen gegeben hat, mit diesem Namen offensichtlich fast überhaupt nicht oder überhaupt nicht in der Öffentlichkeit aufgetreten ist, so dass es auch keinen Anhaltspunkt gab, wo man irgendwelche anderen hätte finden können, die mit dieser Gruppe zu tun gehabt haben.

Deutschlandradio Kultur: Wollen Sie damit sagen, es gab keine Fehler auf Seiten der Ermittlungsbehörden?

Ehrhart Körting: Ich will damit nicht sagen, dass es keine Fehler auf Seiten der Ermittlungsbehörden gab. Es gibt für mich viele Fragen, auch an die Ermittlungsbehörden. Das beginnt mit der Frage: Wie hat man eigentlich 1998, als man diese Gruppe erstmals sozusagen durchsucht hat und dann mit Haftbefehl gesucht hat, wie hat man eigentlich die Fahndung nach dieser Gruppe betrieben? Damals haben sie Bomben, funktionsfähige Rohrbomben hergestellt und sind abgetaucht. Da hätten bei mir alle Alarmglocken geschrillt.

Deutschlandradio Kultur: Beziehungsweise, man hat einen nach Hause gehen lassen.

Ehrhart Körting: Man hat einen bei der Hausdurchsuchung nach Hause gehen lassen. Da hätten bei mir alle Alarmglocken geschrillt. Und da ist für mich natürlich die Frage - nicht nur an die Polizei oder an den Verfassungsschutz, der dann eigentlich damit nichts mehr zu tun hatte, sondern auch an die Staatsanwaltschaft: Was habt ihr eigentlich gemacht? Warum hingen die nicht in jedem Polizeirevier mit ihren Konterfeis wie bei anderen Leuten, die Bomben vorbereiten?

Natürlich stellt sich für mich auch die Frage bei den Ermittlungen wegen der Morde, die wir gehabt haben, und zwar die Morde, die ja unter diesem schönen Stichwort "Döner-Morde" bekannt geworden sind: Haben Ermittlungsbehörden zu schnell, weil es sich um Staatsangehörige gehandelt hat, die einen Migrationshintergrund gehabt haben, zu schnell gesagt, na, dann sind auch sicher die Täter mit Migrationshintergrund? Haben wir da sozusagen eine Schere im Kopf festzustellen, wenn bestimmte Opfer, dann kommen in erster Linie bestimmte Täter infrage?

Das sind aber Fragen, die ich noch nicht abschließend beantworten kann. Dazu gibt's jetzt eine Vielzahl von Untersuchungsgruppen, Untersuchungskommissionen. Man verliert langsam den Überblick, wo überall untersucht wird.Ich hoffe, man kommt dann auch zu Fakten. Und dann kann man auch über Folgen besser reden als heute.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, zunächst war ja der Thüringer Verfassungsschutz da im Fokus. Und es hieß, womöglich haben diese mutmaßlichen Terroristen sogar als V-Leute gearbeitet für den Verfassungsschutz. Das wissen wir, das war offensichtlich nicht so. Und Sie sagen, man muss sich auch die anderen Sicherheitsbehörden da genauer angucken und nicht nur auf den Verfassungsschutz gucken?

Ehrhart Körting: Wir werden auf den Verfassungsschutz gucken. Wir werden sehen, was gab es beim Verfassungsschutz für Informationen? Wie hat der Informationsaustausch geklappt? Das ist ja auch immer eine ganz wichtige Frage. Aber es ist für mich viel zu kurz gegriffen, nur auf den Verfassungsschutz zu blicken. Ich muss natürlich auch gucken, was hat die Polizei gemacht. Ich muss auch gucken, was haben die Bundesbehörden gemacht. Was hat das Bundesamt für Verfassungsschutz, was hat das Bundeskriminalamt gemacht? Was hat der Generalbundesanwalt gemacht in dem Verfahren? Oder warum hat er nichts gemacht?

Deutschlandradio Kultur: Er hat nichts gemacht.

Ehrhart Körting: Nein. Das ist ja immer eine Frage, die dann im Einzelfall zu prüfen ist. Und ich hüte mich auch davor, vorher zu sagen, die haben was falsch gemacht. Aber was hat die Staatsanwaltschaft in den Verfahren gemacht? Wie hat sie die Verfahren betrieben oder betreiben lassen? Also, man muss schon eine Vielzahl von Fragen stellen. Ich darf aber noch was anderes sagen, was mir fast wichtiger ist als diese Im-Nachhinein-Betrachtung, wo ist was schief gelaufen, wo ist was handwerklich schief gelaufen oder wo haben wir ein Systemfehler eventuell.

Für mich ist viel entscheidender: Wie kann es zu solchen Taten kommen? Und wie kann es dazu kommen, dass es für solche Taten denn in irgendeiner Form auch noch Unterstützer gibt? Das ist für mich eine Frage des Klimas. Und das ist für mich eine Frage auch: Wie gehen wir in der Bundesrepublik Deutschland mit Migranten um? Wie gehen wir in der Bundesrepublik Deutschland mit Deutschen um, die einen anderen Hintergrund der Herkunft haben?

Und da habe ich den Eindruck, da haben wir in den letzten Jahren - ich sage "wir" ganz bewusst, da ich mache keine Schuldzuweisung an andere, sondern will ich uns alle mal betrachten - da haben wir in den letzten Jahren offensichtlich Debatten zugelassen, die nicht eine Willkommenskultur für Menschen, die bei uns wohnen, darstellen, sondern eher eine Abgrenzungskultur.

Das fängt in den 90er-Jahren an, geht dann Ende der 90er Jahre weiter mit der Debatte um die doppelte Staatsangehörigkeit und zieht sich hin bis ins letzte Jahr zu der Debatte um das Buch von Sarrazin.

Deutschlandradio Kultur: Wir kommen später noch zu dem Migrationsthema. Herr Körting, lassen Sie uns zunächst noch mal bei dem anderen Komplex bleiben. Die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger fordert Veränderung. Sie möchte zum Beispiel die Landesämter für Verfassungsschutz zusammenlegen. Der Föderalismus sei hinderlich, heißt es dann immer wieder. Wie sehen Sie das?

Ehrhart Körting: Meine persönliche Erfahrung ist, dass zentralistische Behörden nicht automatisch besser sind als Behörden vor Ort. Für mich ist der Verfassungsschutz in erster Linie ein Frühwarnsystem, um bestimmte Entwicklungen zu erkennen, die sich gegen unsere demokratische Grundordnung richten. Dieses Frühwarnsystem funktioniert nur, wenn die Leute, die das beobachten sollen, vor Ort sind. Es funktioniert nicht, wenn ich einen riesigen Wasserkopf als Behörde irgendwo habe und ab und zu dann Leute nach außen ausschicke. Deshalb bin ich kein Fan von einer Zusammenlegung von Verfassungsschutzbehörden.

Das kann im Einzelfall sinnvoll sein. Es kann sinnvoll sein, dass zwei Bundesländer sich zusammentun, genauso, wie wir das mit Gerichten in Berlin machen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger scheint mir aber eher abzulenken. Sie hat sehr schnell erkannt, ohne dass die Fakten auf dem Tisch liegen: Schuld ist der Verfassungsschutz. Sie hat noch nicht erkannt und ich hoffe, das kommt bei ihr irgendwann noch mal, dass man auch über Kommunikation und Datenaustausch reden muss. Und da hat sie immer ein apodiktisches Nein. Das ist für sie eine heilige Kuh, an die sie nicht rangeht. Und jetzt hat sie also einen anderen Schuldigen gefunden. Das ist der Verfassungsschutz. Da kann man rüber reden, aber nüchtern und nicht so vorwurfsvoll, wie sie das tut.

Deutschlandradio Kultur: Also, bei der Speicherung von rechtsextremen Daten sind wir noch nicht so weit, wie Sie sich das wünschen würden?

Ehrhart Körting: Wir sind da noch nicht so weit. Wir sind generell noch nicht so weit. Wir haben ein System der Verfassungsschutzbehörden, Daten zu speichern. Da werden Namen gespeichert und dann kann man sich mit der anderen Verfassungsschutzbehörde in Verbindung setzen. Wir haben dieses System jetzt ertüchtigt bundesweit, dass wir neben dem Namen auch Querverbindungen und andere Vorfälle mit zu den Namen speichern können.

Bisher ist das gescheitert an Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die nicht ihr Okay gegeben hat für eine Änderung der dafür erforderlichen Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Und sie hat neulich in der Sitzung, als wir gemeinsam zusammen gesessen haben, generös gesagt, na, sie wäre bereit, das mal zu prüfen in Ruhe.

Ich glaube, sie hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Also, wir müssen, glaub ich, stärker zu einer Datenvernetzung kommen - unter Beachtung des Datenschutzes, übrigens auch unter Beachtung er Frage, wann ich Daten wieder lösche.

Deutschlandradio Kultur: Ja, das wäre jetzt meine Frage gewesen. Wir haben ja jetzt gelernt, dieses Trio war ja nicht mehr auf dem Schirm, weil ja auch die Daten nicht mehr da sind. Das macht es ja auch jetzt schwierig, den ganzen Fall noch einmal zu rekonstruieren. Das heißt, die Daten sollten Ihrer Ansicht nach länger gespeichert werden als diese zehn Jahre zum Beispiel?

Ehrhart Körting: Das hängt meines Erachtens von der Gefährlichkeit ab. Wenn ich ein Trio habe, das Bomben baut, dann muss ich in der Tat überlegen, ob Löschung der Daten nach zehn Jahren angemessen ist. Wenn ich sonstige Verbindungen habe, die weniger gravierend sind, meine ich, gilt im Rechtsstaat eben auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Und das bedeutet: Wenn gegen Menschen aktuell nichts mehr vorliegt, weil sie sich die letzten zehn Jahre, jedenfalls nicht erkennbar, (nicht) falsch verhalten haben, dann meine ich auch nicht, dass sie bis an ihr Lebensende gespeichert werden sollten - was auch immer es ist. Das haben wir selbst bei denjenigen, die straffällig werden. Da haben wir ein Bundeszentralregistergesetz und haben die Regel, dass nach einer bestimmten Zeit die Lösung im Bundeszentralregister erfolgt. Und das gilt natürlich für verfassungsfeindliche Bestrebungen ganz genauso.

Wer zu erkennen gibt, dass er sich an derartigen Dingen nicht mehr beteiligt, der muss auch nicht bis an sein Lebensende in Dateien bleiben.

Deutschlandradio Kultur: Wie wichtig sind V-Leute in der NPD?

Ehrhart Körting: Also, V-Leute, das sind also Extremisten, das sind also bei der NPD NPD-Anhänger, die gleichzeitig einzelne Informationen an den Verfassungsschutz weitergeben - aus verschiedenen Gründen, aus Gründen der Rache gegenüber einzelnen Leuten in der eigenen Organisation, aus finanziellen Gründen ganz häufig und ähnliches.

Wir brauchen in bestimmten Bereichen V-Leute, um rechtzeitig über bestimmte Aktivitäten zu erfahren, etwa nicht angemeldete Demonstrationen oder ähnliches, um uns darauf vorbereiten zu können. Wir brauchen auch V-Leute, um negative Entwicklungen, etwa Radikalisierungen in bestimmten Organisationen, rechtzeitig zu erkennen.

Insofern ist es für mich nicht die Frage, ob wir V-Leute brauchen, sondern die Frage ist, wo wir sie brauchen. Wo wir sie nicht brauchen, wo ich von Anfang an und seit vielen Jahren die Auffassung auch öffentlich gemacht habe, ist: Wir können als demokratischer Staat nicht mit Leuten zusammenarbeiten, die in Vorständen von Organisationen sitzen, die diesen demokratischen Staat abschaffen wollen.

Das heißt, unabhängig von der Frage, ob das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, das ist ganz schwierig mit einem Verfahren, wenn da V-Leute in Vorständen sitzen, finde ich, das gehört sich nicht für einen demokratischen Staat, mit seinen Feinden zusammenzuarbeiten und sie auch noch zu bezahlen.

Wenn da Mitläufer sind, die uns mal so Informationen zuspielen, die übrigens immer höchst kritisch zu bewerten sind - ich weiß nicht, wie echt die sind, und ich weiß nicht, aus welchen Gründen die uns das wirklich zuspielen -, das ist notwendig. In Vorständen halte ich sie nicht für notwendig.

Deutschlandradio Kultur: Was wäre denn ein gangbarer, ein vielleicht erfolgreicher Weg dann hin zum Verbot der NPD? Mit V-Leuten, ohne V-Leute, nur V-Leute in der unteren Ebene?

Ehrhart Körting: Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung wesentlich darauf gestützt, dass bei der Ideologie der NPD nachher nicht mehr abschließend geklärt werden kann, wie weit sie eventuell durch V-Leute beeinflusst ist, wenn die in den Vorständen sitzen.

Das Bundesverfassungsgericht hat nicht gesagt, dass die Erkundung derartiger verfassungsfeindlicher Organisationen wie der NPD durch V-Leute unzulässig ist. Sie haben dann noch was gesagt, wenn man V-Leute hat, wann man die abschalten muss, dann endgültig. Man kann natürlich in einem solchen Verfahren etwa nicht auch V-Leute im Anwaltsbüro der NPD dann haben oder ähnliches.

Ich meine, dass das, was wir über NPD wissen, was NPD offen nach außen verlautbart, was die Vorstände da beschließen, was im Internet steht, was auf Versammlungen gesagt wird, dass das ausreichend ist, um festzustellen, dass es eine verfassungswidrige Partei im Sinne des Grundgesetzes ist und dass sie deshalb vom Bundesverfassungsgericht verboten werden kann.

Da muss man nur die Frage stellen: Will man sie verbieten oder will man sie nicht verbieten? Ich persönlich halte viel davon, eine derartige Organisation auch organisationsrechtlich zu zerschlagen, damit den Schleier der Legitimität wegzureißen. Ich habe das in Berlin gemacht bei den Kameradschaften Tor und BASO und im Jahr 2009 dann noch mal bei der Kameradschaft Frontbann 24. Alle drei Verbote haben vor der Gerichtsbarkeit standgehalten. Und alle drei Verbote haben nach unseren Erkenntnissen auch dazu geführt, dass ein Teil der Leute, die in der Organisation waren, sich dann sozusagen völlig zurückgezogen hat.

Deutschlandradio Kultur: Als Sie Ihr Amt antraten vor zehn Jahren gab es den Terrorangriff von New York, wenig später die Attacken in London und Madrid. Hat man sich nach Ihrer Ansicht, Herr Körting, seitdem zu sehr auf den islamistischen Terror konzentriert und vielleicht andere Ebenen vernachlässigt?

Ehrhart Körting: Also, für Berlin ziehe ich mir den Schuh nicht an, weil wir immer neben dem islamistischen Terrorismus, der natürlich eine besondere Art der Bedrohung, eine besondere Angst für uns alle darstellte, auch den Rechtsextremismus in den letzten zehn Jahren mit Vordringlichkeit gesehen haben. Wir haben nicht nur, wie ich dargestellt habe, diese Kameradschaften verboten. Wir haben es geschafft, hier praktisch jedes rechtsextremistische Konzert von extremistischen Liedermachern zu unterbinden. Wir haben eine öffentliche Diskussion über rechtsextremistische Gewalt, auch mit Veröffentlichungen meiner Verfassungsschutzbehörde, geführt.

Und wir haben unter der Verantwortung meiner Kolleginnen Knake-Werner und Bluhm, die für Extremismusbekämpfung durch gesellschaftliche Gruppen zuständig waren, viele Gruppen gefördert, die in der Gesellschaft gegen Rechtsextremismus geworben haben - mobile Beratung rechts - oder die sich um Opfer gekümmert haben wie Outreach oder etwas ähnliches. Also, für Berlin kann ich mir den Schuh nicht anziehen.

Ich habe aber schon den Eindruck gehabt, dass sozusagen durch die politische Brille, auch der jetzigen Bundesregierung, auch die Debatten, die wir jetzt im Sommer hatten, es immer opportuner war, auf islamistischen Terrorismus zu gucken und auf Linksextremismus als auf Rechtsextremismus. Blind war auch die Bundesregierung nicht, aber ich meine schon, dass sie dem Rechtsextremismus nicht die gleiche Bedeutung zugemessen hat wie anderen Extremismusformen.

Deutschlandradio Kultur: Wir hatten schon das Thema Sarrazin angesprochen, ein bestimmtes Milieu, was es gab, was es gibt auch in der Gesellschaft. Obwohl Sie ja eigentlich für dieses Thema Integration nicht zuständig waren, haben Sie sich das ja auch persönlich auf den Schreibtisch gezogen. Uns wurde berichtet, auf Ihrem Schreibtisch liegt auch eine Ausgabe des Koran. Stimmt das?

Ehrhart Körting: Das stimmt.

Deutschlandradio Kultur: Und Sie können auch Arabisch?

Ehrhart Körting: Ich hab die ersten zwei Semester meines Jurastudiums auch ein bisschen Arabisch gemacht. Das beschränkt sich aber inzwischen weitgehend darauf, dass ich die Buchstaben erkennen kann und nicht etwa Texte lesen kann.

Das mit dem Koran ist auch richtig. Ich persönlich halte für das zentrale Thema der nächsten Jahre und auch der Vergangenheit, wie wir in einer globalisierten Welt integrieren und wie wir mit Gruppen umgehen, die in dieser globalisierten Welt leben und die häufig in Berlin leben oder Leute aus Berlin gehen nach New York oder gehen nach Istanbul oder wie auch immer.

Das heißt, wir sind nicht mehr in einer Welt, wo ich meinen Gartenzaun um unser Land mache und da lebe. Das ist das, was ich Sarrazin vorwerfe, das ist sozusagen sein Denken, man könnte ja so schön lieblich in Deutschland leben und bräuchte sich um die übrigen Dinge nicht zu kümmern. Wir leben in einer Welt, in der die Kommunikation immer stärker geworden ist, in der die Flexibilität, die Reisen, die Arbeitsaufnahme irgendwo anders immer stärker geworden ist.

Deshalb habe ich einen Schwerpunkt eben auch darauf gelegt, nach außen deutlich zu machen, alle die, die hier in Berlin sind, sind Berliner und Berliner und gehören zu uns. Deshalb bin ich durch viele Moscheen gelaufen. Deshalb bin ich viel auch bei etwa türkischen oder auch arabischen Verbänden gewesen, übrigens auch bei russischen Verbänden, die dann eben eher in Marzahn-Hellersdorf oder so tätig sind. Das wird eine der zentralen Aufgaben sein.

Für mich gehört auch der interreligiöse Dialog dazu. Unsere Gesellschaft ist fast unfähig zu akzeptieren, dass Leute religiös sind und Leute glauben. Und deshalb, meine ich, müssen wir auch einen Dialog dazu führen, dass ich den anderen so akzeptiere und ihn auch in seinem Glauben so akzeptiere, wie er ist - gegenseitig.

Deutschlandradio Kultur: Welche Spuren hat denn die Sarrazindebatte hinterlassen?

Ehrhart Körting: Also, ich glaube, die Sarrazindebatte hat schon Schaden in dieser Republik angerichtet. Sie hat vielen Bürgern zwar scheinbar aus dem Bauch heraus gut getan - was wir schon immer an Zweifeln hatten gegenüber Leuten, die sich anders verhalten oder anders leben als wir. Sie hat aber, glaube ich auch, und das unterstelle ich nicht Thilo Sarrazin, der ist für meine Kenntnis frei von jedem rechtsextremistischen Gedankengut, also, da ist er beinhart, da bin ich ganz sicher, aber die Debatte und einige seiner Thesen machen Vorurteile salonfähig und schaden damit der Integration.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben in einem anderen Interview mal gesagt: Vor allem auf die Migranten hat es sehr verunsichernd gewirkt.

Ehrhart Körting: Das ist richtig. Also, ganz viele Menschen aus diesem Bereich haben nach der Sarrazindebatte das Gefühl oder noch mehr das Gefühl, sie sind nicht willkommen in diesem Lande.
Und ich habe ja ein Projekt laufen, was wir machen mit jungen Leuten, junge Muslime oder junge Gläubige, da sind dann nachher auch Christen, Juden und Bahai dabei, die miteinander diskutieren. Und dort hab ich sehr deutlich gemerkt, dass die jungen Leute, die ein ganz bestimmtes religiöses Weltbild haben, durch diese Debatte das Gefühl gehabt haben, eigentlich sind wir nicht willkommen.
Die sprechen Deutsch, die gehen zur Schule, die machen Abitur. Die kriegen dann keinen Job. Und Sarrazin wirft ihnen noch vor, dass sie Hartz IV kriegen. Die sind ausgegrenzt und wir werfen ihnen vor, dass die Folgen der Ausgrenzung von ihnen nicht bewältigt werden können. Das finde ich das, was ein bisschen verheerend an der Debatte ist.

Und ich habe die Hoffnung, dass unsere Aufarbeitung der Zwickauer Zelle, nenne ich sie jetzt mal, nicht nur dazu führt, dass wir Pseudodebatte über Strukturen führen, sondern dass wir eine Debatte darüber führen: Was läuft eigentlich an innerer Diskussion in der Republik falsch? Und wodurch haben sich solche Mörder eventuell ermutigt gefühlt?

Deutschlandradio Kultur: Herr Körting, am Mittwoch ist Ihr letzter Arbeitstag. Haben Sie für sich schon eine Bilanz gezogen? Was haben Sie erreicht? Wo sind Sie vielleicht gescheitert?

Ehrhart Körting: Ach, wenn Sie so einen Job zehneinhalb Jahre machen, dann haben Sie immer Höhen und Tiefen. Sie haben immer Sachen, wo Sie sagen, na, da ist aber halbwegs gut gelaufen - weiß nicht, der 1. Mai in Berlin, Deeskalationsstrategie oder auch Terrorismusbekämpfung ist bisher in Berlin gut gelaufen, wir haben sozusagen das Glück oder meine Mitarbeiter haben das Glück des Tüchtigen gehabt, immer rechtzeitig was zu erfahren, wenn was Kritisches anstand - und Sie haben natürlich auch viele Sachen, wo was schief gelaufen ist. Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich die nicht aufzähle.

Deutschlandradio Kultur: Ach, schade. Ein Beispiel?

Ehrhart Körting: Nein. Also, die Debatte um unseren Polizeipräsidenten oder so. Also, da macht man irgendwo im Verfahren einen Fehler und, wie das dann so ist, der zieht sich dann so wie ein Wurm durch das weitere Verfahren durch.

Nein, man macht auch Fehler, wenn man arbeitet. Ich stehe da auch zu.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben als Innensenator oft Moscheen besucht, auch dort gebetet. werden Sie auch als Privatbürger Moscheen besuchen?

Ehrhart Körting: Ich werde das auch weiter machen. Insbesondere werde ich auch den Kontakt, den ich da zu vielen Leuten habe, weiter suchen. Und das ist keine falsche Anbiederung, wenn ich das mache.

Wenn ich in eine Moschee gehe und dort spreche, ich werde dann ja gebeten, auch ein paar Worte an die Muslime zu sagen, dann mache ich ganz deutlich: Ich bin Christ und ich habe meinen Glauben und ich akzeptiere euch mit eurem Glauben. Aber, genauso, wie ihr sagt, na, eigentlich hast du den falschen Glauben, hab ich auch die Meinung, ihr habt auch ein paar Sachen, die falsch sind. Insofern kann man schon auf Augenhöhe mit ihnen reden und kann sich auch zu dem bekennen, was man tut. Man sollte sich nicht anbiedern. Man sollte schon seine eigene Meinung behalten.

Deutschlandradio Kultur: Die letzte Frage sollten wir noch stellen. Vielleicht gibt es ja eine Schlagzeile. Was macht ein so erfahrener und lang im Amt dienender Mann wie Sie, nachdem er ausscheidet?

Ehrhart Körting: Diese Frage werde ich Ihnen nicht beantworten. Die gehört jetzt sozusagen in meinen privaten Bereich, jedenfalls einstweilen gehört sie in meinen privaten Bereich. Und eines, was ich nicht machen werde nach meinem Ausscheiden aus dem Amt als Innensenator des Landes Berlin und als Sportsenator, ist, dass ich mein Privatleben vermarkte.
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