Viel vertrauter

Von Axel Schröder · 18.02.2013
In Hamburg versucht sich eine Klinik für Altersmedizin an einer besonderen Ansprache für ihre Patienten: Das Pflegepersonal lernt Plattdeutsch für den Krankenhausalltag und will so das Wohlbefinden von erkrankten, alten Hanseaten verbessern.
"De Lektion een" ist die Lektion Nummer eins. Die zwölf Schüler bei diesem Plattdeutsch-Kurs tragen weiße Kittel oder die typischen blauen Hemden und Hosen. Ärzte und Pflegepersonal der Hamburger Asklepios-Klinik, Abteilung Altersmedizin, sitzen unter in einem kleinen Schulungsraum, müssen Texte sprechen, Plattdeutsch pauken:

"Schiet! Wie hebbt verslopt.
Het de Wecker denn nicht pingelt?
Hat he woll. Aber ick heb nix hört!"

Vorn steht der eigentlich schon pensionierte Lehrer Achim Böker. Groß und schlaksig, breiter Schnauzer, runde Brille. Die Klinik hat den Plattdeutsch-Experten für die hauseigenen Kurse angeheuert. Als Kind hat Böker Plattdeutsch gelernt. Er liebt die Sprache, ihre Eigenheiten, die unterschiedlichen Färbungen. Seit Anfang des Jahres bringt er dem Personal die alte Sprache bei:

"Die Lautverschiebung auf Seite 12 ist eine entscheidende Sache. Diese "P", "T" und "K", das anders gesprochen wird. Also: "Appel". Und "Weten". Und "Holt" und "Moken" und "Dag". Das sind die entscheidenden. Man versteht sich doch, man versteht sich ohne Weiteres."

Die Kurse sind ausgebucht und die Teilnehmer überzeugt: Plattdeutsch schafft gerade älteren Patienten gegenüber Vertrauen und Nähe. Immerhin kommt die Sprache auch ohne förmliches "Sie" aus. Es gibt dieses "Se", aber wie im Englischen ist es kaum ein Problem, sich auf Platt auch zu duzen. In der Pause geht der junge Masseur und medizinische Bademeister Marco Behrends seinen Lernzettel noch mal durch:

"Normalerweise ist es ja so: wenn wir zu den Patienten hingehen, und wenn man dann mit Plattdeutsch ankommt, dann ist die Ebene gleich ganz anders. Dann ist das viel vertrauter, das kennen die Leute dann. Und es ist ein bisschen amüsanter. Die ganze Art und Weise ist halt lockerer."

Und bei seiner Arbeit mit der Patienten kann das Plattdeutsche Situationen entschärfen, die manch einem peinlich sind, so Behrends:

"Wenn ich zu jemandem sage: "Sie müssen jetzt den Po zusammenkneifen!", dann klingt das ganz anders als wenn ich sage: "Mütt do mol den Mors tosamkneepen!" - Dann lachen die ein bisschen. Ist auch eine ältere Generation, die verstehen, die verstehen das auch anders. Das ist ein und derselbe Begriff, aber es kommt anders an."

Neben ihm, auf den Tisch liegen Bücher auf Platt, eine Grammatik und kopierte Vokabel-Zettel: "Haben Sie Kinder oder Verwandtschaft in Hamburg?" heißt übersetzt: "Hebbt Se Kinners oder anner Familje in Hamborg?". Vor dem Raum bespricht sich Ann-Kathrin Meyer der Geriatrie mit dem Pflegepersonal. Sie leitet die Abteilung. Und auch sie macht mit beim "Plattdeutsch für den Klinikalltag". Meyer, die Hände in den Kitteltaschen, erklärt: bei bestimmten altersbedingten Krankheiten kann die Ansprache auf Platt helfen:

"Wenn man an Demenz erkrankt, dann ist das, was man früher als Kind oder als junger Erwachsener gelernt hat, häufig sehr viel länger abrufbar als das aktuellere. Somit auch die plattdeutsche Sprache. Die plattdeutsche Sprache ist ja auch viel bodenständiger. Sie ist nicht so abgehoben, sie kennt nicht die lateinischen Fachausdrücke, sondern man drückt eben alles so gut man es eben kann, in diesen plattdeutschen Wörtern aus und nimmt damit manchmal auch etwas Angst und Schrecken vor der Medizin und sicherlich auch diese Sterilität, die wir im Krankenhaus sonst haben."

Die Ärztin räumt ein: Ursprünglich waren die Kurse eine Idee der Marketingabteilung. Die Asklepios-Kliniken sind in privater Hand und stehen im Wettbewerb um Patienten mit anderen Häusern. Allerdings, so Meyer schulterzuckend, ist eine Idee ja nicht allein deshalb schlecht, weil sie aus der Marketingabteilung stammt:

"Die Mitarbeiter sind offen darauf zugegangen, haben sich gefreut. Das Interesse für diesen Kurs war sehr viel größer als wir Plätze zur Verfügung haben. Und schon deshalb wird es einen Folgekurs geben. Und es macht Spaß! Wir machen mal etwas gemeinsam auf einer Ebene, die wir ja sonst nie bedienen. Neulich haben wir mal zusammen ein plattdeutsches Lied gesungen. Diese Hamburger Nationalhymne. Das sind Dinge, die haben wir in zehn Jahren noch nicht gemacht. Das macht Spaß und es bringt uns Mitarbeiter zueinander und das kann für die Patienten nur von Vorteil sein!"

Der Plattdeutsch-Lehrer Achim Böker ruft seine Schüler wieder in den Unterricht. Verteilt Liedzettel. "Lütt Anna Susanna", altes plattdeutsches Liedgut:

Der Gesang schallt über den Flur. Bis ins Zimmer von Patient Karl-Heinz Schönnagel:

"Do hebb ick nix gegen! Do hebb ick nix gegen! Mi stör dat nech."

Seit gestern ist er im Krankenhaus, erzählt Schönnagel. Und ja, das mit dem Platt ist eine nette Sache. Aber am Ende zählt für ihn doch etwas anderes:

"Ick hoff, dat ick bald wedder nen Abflug mook. Ick wurd mi freien. Umbedingt."

Möglichst bald raus will er, einen Abflug machen. Schönnagel ist zuversichtlich und versichert: das wird schon wieder! Dat löppt sich alens trecht!