Viel schwarzer Humor

01.01.2009
Über die Heimat zu schreiben, bedeutet, mit Südjütland abzurechnen - in diesem Sinne hat der Däne Erling Jepsen seinen Roman "Die Kunst im Chor zu weinen" verfasst. Es geht Schlag auf Schlag um Mord, Inzest, Brandstiftung und Psychoterror - und moralische Skrupellosigkeit und Falschheit, die sich wie Salzsäure in die Gemüter frisst.
Der Ich-Erzähler in Erling Jepsens Roman ist enttäuscht:

"Ich habe immer gedacht, wenn Vater sich das Leben nimmt, dann nur mit dem Jagdgewehr."

Jeder Todessüchtige in der beschaulichen Kleinstadt erschießt sich normalerweise mit einem Jagdgewehr. Nun läuft der Vater, anders als erwartet, mit einem Strick im Garten umher und sucht verzweifelt nach einem Baum. Wie kann man sich einem ungeschriebenen Gesetz derart widersetzen?

Doch der elfjährige Allan ist noch aus einem anderen Grund empört. Er und sein Vater waren bislang für die Grabreden im Ort zuständig. Niemand versteht es besser, die Gemeinde im Chor zum Weinen zu bringen. Nach seinem Tod würde er ein wunderbares Erbe antreten. Wie soll er sich auf eine Rede freuen, in der eines Verbliebenen gedacht wird, der so kläglich und unprofessionell aus dem Leben schied?

Die Szene bildet den Höhepunkt in Jepsens grandios erzählter schwarzen Tragikomödie, in der es Schlag auf Schlag um Mord, Inzest, Brandstiftung und Psychoterror geht. Ganz zu schweigen von der moralischen Skrupellosigkeit und Falschheit, die sich wie Salzsäure in die frommen Gemüter der Gemeinde frisst.

Der 1956 geborene Autor hat keinen Thriller geschrieben. Er versucht, eine normale Kindheit in den 1960er Jahren in Dänemark zu beschreiben, genauer gesagt, in seiner Heimat Südjütland. Eine Region, die neben dem dänischen Grundgesetz ihr eigenes Recht etabliert hat:

"Es gibt die Selbstjustiz oder man schließt die Augen."

So geschehen zwischen dem Morgen- und Abendgebet der frömmelnden Reihenhausbesitzer brutale Dinge. Der Nachbar wird verprügelt, weil beim Schneiden der Hecke einige Blätter auf falschem Grund und Boden liegen. Die sexuellen Übergriffe des Vaters auf die Tochter werden von der Mutter unter den Teppich gekehrt, damit der kleinbürgerliche Haussegen bewahrt bleibt.

Um die Konkurrenz vom Erfolg abzuhalten, wird beim Sterben nachgeholfen. Die letzte Ölung holt man sich schließlich aus dem Fernsehprogramm, das allmählich auch die kleinste Provinz erobert und gemeinsam mit dem verfeindeten Nachbarn im muffigen Wohnzimmer erlebt wird.

Erling setzt einen kindlichen Erzähler ein, aus dessen Perspektive das Geschehen subtil beobachtet, gewertet und in fatale Handlungsstrategien umgesetzt wird. So erstellt Allan eine Todesliste, auf der auch die engsten Verwandten stehen. Aus ihm spricht die gottlose Einsamkeit eines Individuums, das, in einem dichten Netz familiärer Bindungen gefangen, den Zustand seelischer Unbehaustheit erfährt.

Indem Jepsen mit den Mitteln des schwarzen Humors arbeitet, versucht er das Groteske und Menschenverachtende auf Distanz zu halten. Humor, so erklärt er in einem Interview, ist "eine Festung, um sich zu verteidigen". Mit fremden Menschen über "etwas zu lachen, das ich für das Fürchterlichste überhaupt halte", ist eine lebensbejahende Geste.

In den drei Romanen, die Jepsen bislang geschrieben hat, sind die autobiografischen Parallelen unübersehbar. Über die Heimat zu schreiben, bedeutet, mit Südjütland abzurechnen. Erling Jepsens Roman diente auch als Vorlage für eine dänische Verfilmung, die 2008 für den Oscar nominiert wurde.

Rezensiert von Carola Wiemers

Erling Jepsen: Die Kunst im Chor zu weinen
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
Suhrkamp Nova 2008
267 Seiten, 12,90 Euro